Julia Fromme

Ehre und Macht


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Füße. „Kommt jetzt, wir haben keine Zeit für Befindlichkeiten. Ich höre immer noch die Hunde in der Ferne bellen. Zum Glück scheinen sie nicht näher zu kommen“, setzte er versöhnlicher hinzu.

      „Lasst mich hier zurück, dann könnt Ihr vielleicht entkommen“, sagte Krystina resigniert. „Mit meinen schweren Röcken kann ich mich kaum vorwärtsbewegen. Sie haben sich vollständig mit Wasser vollgesogen.“ Kläglich schaute sie an sich herab.

      „Dann zieht sie aus“, sagte Falk kurzerhand. „Sie behindern Euch ohnehin.“

      „Wollt Ihr, dass ich erfriere?“, fragte Krystina entrüstet.

      „Ob Ihr nun dieses verdammte Gewand anhabt oder nicht, es wird keinen Unterschied machen. Diese nassen Kleider wärmen Euch nicht.“ Falk zog Krystina mit sich Richtung Ufer.

      „Ich glaube, unsre Spur ist erstmal verwischt. Vielleicht ist es uns gelungen, die Kerle abzuschütteln, was uns allerdings nicht dazu verleiten sollte, hier herumzutrödeln.“

      Die junge Frau wollte zu einer scharfen Erwiderung ansetzen, doch Falk ließ sie nicht zu Wort kommen. Er holte kurzerhand das Messer, das ihnen Andris gegeben hatte, aus seinem Gürtel, und mit einem Ruck schnitt er ihr Obergewand von oben bis unten auf. Krystina keuchte entsetzt auf, als der Stoff um sie her zu Boden sank und verschränkte reflexartig ihre Arme vor der Brust.

      „Hier, legt die Decke um, damit Ihr nicht noch mehr auskühlt. Sie ist wenigstens noch halbwegs trocken.“ Damit löste Falk den Stick von seiner Schulter, mit dem er die alte Decke festgebunden hatte. Da es das einzige war, was sie besaßen, um sich in den Nächten wärmen zu können, hatte er sie mitgenommen. Das alte Seil hing in dem verlassenen Haus der Witwe an einem Balken und der Ritter war froh gewesen, dass es noch einigermaßen fest zu sein schien. Man konnte nie wissen, wozu man so etwas einmal gebrauchen konnte. Er rollte die Decke auf und legte sie Krystina um die bebenden Schultern. Zu sehr war sie sich seiner Nähe bewusst. Falk spürte sehr wohl, wie sie zitterte und schob es auf die Kälte. Er drehte die junge Frau kurzerhand um und zog sie zu sich heran an die Brust. Eigentlich wollte er sie nur etwas aufwärmen, doch als er jetzt ihre Arme zu reiben begann, um die Durchblutung in Gang zu bringen, stieg ihm ein leiser Duft in die Nase, ihn vage an Verbenen erinnernd, die seine Mutter gern in das Stroh mischte, mit welcher sie den Boden der Halle in Schellenberg bestreute. Er hielt in seiner Bewegung inne und senkte den Kopf, so dass sein Kinn ihren Scheitel berührte. Krystina erstarrte. Seine Wärme drang in ihren Körper und sandte ein wohliges Gefühl der Geborgenheit durch ihren Körper. Doch der Zauber des Augenblicks währte nur einen Moment. Schnell wurde sich Falk wieder der Tatsache bewusst, dass sie sich auf der Flucht befanden und jeder Aufenthalt ihren Tod bedeuten könnte. Er drehte Krystina erneut herum und schob sie ein Stück in die Richtung, in die sie gehen mussten.

      „Es wird Zeit“, sagte er unwirsch. „Wir haben uns schon viel zulange hier aufgehalten. Ich habe wahrlich keine Lust, mich wie einen Hasen fangen und abschlachten zu lassen.“ Er ging an ihr vorüber, es ihr selbst überlassend, ob sie ihm folgte oder nicht.

      Dieser Mistkerl, dachte sie wütend. Erst tut er so, als würde er meine Nähe suchen und dann lässt er mich einfach so im Hemd stehen. Sie raffte die Decke über ihrer Brust zusammen und begann langsam hinter ihrem Gemahl herzustapfen, nicht, ohne immer wieder leise vor sich hin zu schimpfen. Sie folgten weiterhin dem Lauf des Baches, hielten sich jedoch nahe an seinem Ufer. Auch Falk verspürte kein Bedürfnis, nochmals in das kalte Wasser zu steigen. Seine Stiefel, die man ihm wundersamerweise vor seiner geplanten Hinrichtung nicht abgenommen hatte, waren vollkommen durchweicht und begannen bereits an einigen Stellen zu scheuern. Wie musste es da erst dem armen Mädchen gehen, dessen Füße nur in dünnen Lederschühchen steckten. Bis jetzt hatte er sich darüber keine Gedanken gemacht. Doch die letzte Berührung seiner Frau hatte in ihm etwas ausgelöst, was er nicht einordnen konnte. Es war ein Gefühl der Nähe gewesen, das Gefühl, jemanden beschützen zu können, etwas, was er so noch nie empfunden hatte. Diese neue Erkenntnis jagte ihm aber auch Angst ein und er errichtete sofort eine Mauer um sich, die ihn abweisend und kalt erscheinen ließ.

      Nach einer guten halben Stunde, die sie schweigend hintereinander herliefen, erhob sich in der Ferne die Silhouette einer steinernen Burg, deren runder Turm hoch über die Mauern ragte. Krystina, die den Blick zu Boden gerichtet hatte, um den spitzen Steinen am Ufer zu entgehen, wäre fast in Falk hineingerannt, als dieser plötzlich stehenblieb.

      „Wir haben es gleich geschafft“, sagte er und wies nach vorne, so dass sie jetzt auch die trutzigen Mauern von Vildstejn erblickte. Ihr entfuhr ein Seufzer der Erleichterung. Falk nahm wieder ihre Hand und zog sie mit sich. Sie verließen das Flussufer und stiegen die leichte Anhöhe hinauf, die zur Burg führte. Rundherum war der Wald gerodet worden, und die Feste schon von weitem zu sehen. Doch bedeutete das leider auch, dass jeder, der ihnen auf den Fersen war, nun auch sie erspähen konnte. Falk meinte regelrecht, die Blicke seiner Verfolger im Rücken zu spüren und zog den Schritt mächtig an. Krystina rannte geradezu neben ihm her. Doch die Gewissheit, ihrem Ziel endlich nahe zu sein und der feste Druck von Falks warmer Hand verliehen ihr neue Kräfte.

      Kurze Zeit später standen sie am Rand eines Grabens, der die Ostseite von Vildstejn schützend umschloss und sich an den Seiten im Nichts verlor, da die Burg auf einem Felssporn stand, der an der rückwärtigen Seite steil in die Tiefe führte und von dort aus uneinnehmbar war. Es begann bereits langsam dunkel zu werden. Die Sonne sandte ein paar letzte Strahlen auf das kupferne Dach hoch oben auf dem Turm. Doch hier unten vor dem Tor wurden die Schatten bereits länger.

      „Und nun?“, fragte Krystina und schaute das mächtige Portal, dass ihnen gegenüber auf der anderen Seite des Grabens lag, ratlos an. „Glaubt Ihr, man wird uns hören?“

      „Ihr könnt gewiss sein, dass man uns schon längst erspäht hat. Auch wenn Ihr es nicht seht, aber dort oben hinter den Zinnen auf der Mauer stehen mit Sicherheit Wächter, die jede Bewegung ringsumher wahrnehmen.“ Er lachte leise auf. „Er ist schon ein Fuchs, mein Freund Ludek. Ihn wird hier keiner so leicht überraschen.“

      „Wart Ihr schon einmal hier?“, wollte Krystina wissen.

      „Ja, ein paar Mal. Doch nie in so einem desolaten Zustand wie jetzt“, stellte er achselzuckend fest und schaute an sich herunter. Falk wandte sich dem Tor zu. „He, Ihr da! Öffnet das Tor für zwei Reisende, die ein Lager für die Nacht suchen! Wir bitten Euch!“, setzte er vorsichtshalber noch hinzu, auch wenn er fast daran erstickte.

      Es dauerte nicht lange und über dem Tor erschien zuerst die Spitze einer Hellebarde, dann eine Kettenhaube und letztendlich das Gesicht eines bärtigen Mannes. Da er die zwei Gestalten draussen nicht als Bedrohung anzusehen schien, beugte er sich schließlich etwas über die Mauer und schaute zu ihnen hinunter.

      „Wer seid ihr und was habt ihr hier zu suchen fast mitten in der Nacht?“, fragte der Mann mit lauter Stimme.

      „So ein Trottel. Hat er nicht gehört, was ich gesagt habe“, beschwerte sich Falk an Krystina gewandt. „Wir sind zwei Reisende aus Prag, die nach Bamberg wollen“, schrie er nach oben, und Krystina fragte sich, warum er wohl nicht die Wahrheit sagte.

      „Er glaubt mir nie im Leben, wenn ich ihm sage, ich sei Falk von Schellenberg“, klärte er seine Frau auf, als hätte er ihre Gedanken erraten.

      „Seid ihr allein?“, fragte der Wächter nun von oben.

      „Das siehst du doch. Wo sollte sich hier meine Begleitmannschaft verstecken?“, antwortete Falk sichtlich genervt und machte mit den Armen eine ausholende Bewegung. „Wir bitten nur um ein bescheidenes Mahl und ein Lager für die Nacht, damit wir uns morgen wieder auf die Reise machen können.“

      Der Wächter schien zu überlegen, ob sich der Aufwand, das Tor zu öffnen wegen der beiden armseligen Gestalten da draußen lohnen würde. Doch schien er zu dem Schluss zu kommen, dass es die christliche Nächstenliebe befahl, Barmherzigkeit zu zeigen. Außerdem wollte er sich nicht den Zorn seines Herrn zuziehen, der oft auf Seiten der vom Schicksal Benachteiligten stand, wenn es darum ging, deren Rechte zu verteidigen. Nach einer kurzen Weile gab er einem unsichtbaren Kumpan ein Zeichen, die Zugbrücke herunterzulassen. Mit lautem Getöse und Geklirre der