Klaus Hammer

Artikel 20.4


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Bildausschnitt. Nun konnte man es genau erkennen: Es waren kleine Kastenförmige Gegenstände. Fast so groß wie Schuhkartons. Und jeder der Typen in schwarz hatte so einen Kasten in den Händen. Es sah aus, als ob die Kästen schwer wären. Zumindest schwerer, als wenn sich Schuhe darin befunden hätten.

      „Kannst Du etwas erkennen?“

      Jovi zischte nur ein kurzes: „kleine weiße Kästen.“

      „Bomben? Meinst Du die haben Bomben dabei?“

      Jovi schüttelte den Kopf. „Das glaube ich nicht. Dafür sind die Kästen zu klein. Es sei denn, sie würden sie zu einer großen Bombe zusammenfügen.“

      Monika schluckte. Das war ihr immer weniger geheuer. „Wir müssen hier weg. Wenn die Polizei mitbekommt, dass wir jetzt immer noch hier waren, als die ihre Bomben aufgebaut haben, kommen wir nicht wieder so schnell an das Tageslicht.“

      „Verdomme!“ Jovi fluchte in voller Lautstärke, so dass auch auf der Aufzeichnung sein Fluchen zu hören sein würde.

      „Was hast Du?“

      „Ich bin jetzt hier voll in diesen Matsch getreten. Schau Dir meine Schuhe an!“ Er verzog das Gesicht, als ob ihm dein Butterbrot beim Frühstück vom Tisch auf die Marmeladenseite gefallen wäre.

      Monika achtete nicht auf sein Zetern. Sie hatte eine Veränderung in den Bewegungen der schwarz gekleideten Menschen mit Guy Fawkes Masken entdeckt. „Schau mal, die fangen an, die Kästen abzulegen!“ Ihr schlug der Puls bis zum Hals. Was sollte das alles werden?

      Die schwarz Gekleideten blieben alle stehen und legten die weißen Kästen, die sie eben noch in den Händen gehalten hatten, vorsichtig vor ihren Füßen ab. Dann richteten sie sich wieder auf und legten die Hände wie zu einem Gebet übereinander. Dabei richteten sie ihre Gesichter zu Boden.

      „Das sieht ja aus, wie auf einer Beerdigung. Hast Du das im Kasten, Jovi?“

      „Ach, auf einmal soll ich die Kamera laufen lassen? Keine Angst mehr vor dem Gefängnis?“ Er grinste von einem Ohr zum anderen. Natürlich hatte er die Kamera weiter laufen lassen. In seiner Heimat galt das Presserecht noch etwas im Gegensatz zu Deutschland, wo die meisten Presseleute entweder von Politikern oder irgendwelchen Konzernen geschmiert wurden. Und ein Gesetz wie das Gesetz zur Sicherheit der Bürger, dass das Demonstrationsrecht faktisch abschaffte, gab es in den Niederlanden auch noch nicht.

      Inzwischen löste sich die Menschenmenge langsam wieder auf. Die schwarz gekleideten Personen zogen in verschiedenste Richtungen davon. Nach wenigen Augenblicken war niemand mehr zu sehen.

      Das ganze hatte gerade einmal fünf Minuten gedauert. Nun war alles wieder so ruhig wie zuvor. Mit dem Unterschied, dass Monika und Jovi bis zu den Knöcheln im matschigen Gras standen und sich hunderte weiße Kisten auf der großen gepflasterten Fläche vor dem Reichstag befanden.

      „Was soll das Ganze?“ Monika war ratlos.

      „Nach Bomben sieht das für mich immer noch nicht aus.“ Jovis Augen erhellten sich. „Ich weiß was das ist es ist: Ein Muster!“

      „Aber wie sollen wir das erkennen können. Dafür müssten wir ziemlich hoch hinauf.“

      Jovi schlug sich die flache, rechte Hand vor die Stirn. „Gut dass ich mich um die Technik kümmere.“ Er lief, so schnell das mit seinen schlammigen Schuhen ging, zum Ü-Wagen. Zum Glück hatten sie den Wagen direkt in der Nähe, am Rand der Scheidemannstrasse abgestellt. „Das gibt Ärger im Sender, wenn ich jetzt mit den Schlammschuhen da rein gehe. - Egal. Ich hab keine Zeit für solchen Kleinkram.“

      Er sprang durch die seitliche Schiebetür in den Übertragungswagen und riss im hinteren Bereich ein paar Schubladen auf. Die Laden waren etwas höher als normale Schreibtischschubladen. In ihnen wurden ja auch keine Stifte und Blätter verstaut. Zumindest nicht hauptsächlich. Sondern überwiegend Geräte für die Übertragung.

      Endlich, nachdem er die dritte Schublade geöffnet hatte fand er, was er gesucht hatte: Eine der kleinen Kameradrohnen, die seit etwa zwei Jahren zur Ausstattung jedes Ü-Wagens gehörten. Ein kurzer Druck auf die Ladekontrolle zeigt ihm, dass die Drohne voll geladen war. Er stieg wieder aus dem Wagen und startete die Drohne. Er steuerte das Fluggerät von innen, über einen der Bildschirme im Ü-Wagen, wobei er die unter der Drohne hängende Kamera als Orientierungshilfe benutzte.

      Er lies das kleine Gerät immer höher steigen, so dass er auf dem Bildschirm zu der Flugkamera einen immer größeren Ausschnitt vom Platz der Republik erkennen konnte.

      „Und? Kannst Du schon etwas erkennen?“

      Jovi erschrak. Er hatte nicht mitbekommen, dass Monika ihm gefolgt war und inzwischen auch den Übertragungswagen betreten hatte. Sie zog ihre inzwischen vollkommen mit Schlamm überzogenen Pumps aus und warf sie aus dem Wagen.

      „Gleich. Ich muss noch etwas höher“

      „Sind das Buchstaben?“

      „Keine Ahnung. Sieht aus wie h.02.“ Jovi bewegte einen der beiden Joysticks zwischen Daumen und Zeigefinger ein wenig nach rechts. Das Bild begann sich im Kreis zu drehen. Nach etwa einer halben Drehung lies er den Joystick los. Sofort kam die Drehung zum Stillstand.

      Auf Monika Holtzmanns Stirn zeigte sich eine steile Falte. Sie kniff die Augen zusammen. „20.4“

      „Sagt Dir das etwas?“ Jovi schien ratlos.

      „Wenn das ein Datum ist: Dann wäre das der 20. April“ Monika riss die Augen auf. „Oh mein Gott. Kann das sein, dass das gottverdammte Nazis waren?“

      Jovi zog die Augenbrauen zusammen. „Nazis! mit Guy Fawkes Masken? Ist das nicht ein bisschen - merkwürdig?“

      „Der 20. April!“ Monika konnte es nicht fassen und musste sich setzen. „Das ist Hilters Geburtstag. Da fahren diese Nazi Typen voll drauf ab.“

      „O.K. Nehmen wir einmal an, dass Du recht hast. Warum sollten Nazis am heutigen Tag den Geburtstag Hitlers auf dem Platz der Republik auslegen? Und dazu noch in Guy Fawkes Masken?“

      Monika war ratlos. Das schien alles keinen Sinn zu ergeben. Da musste etwas anderes dahinter stecken.

      „Wir müssen an dem Thema dranbleiben! Das ist unsere Chance!“ Monika nahm ihr Handy aus der Tasche und blickte auf das Display. Nur zwei, drei Wischgesten und sie hatte die Nummer der Sendeleitung. Das war ihre Chance. Nun konnte sie als Journalistin zeigen, dass sie mehr konnte als nur langweiligen Statistikkram ablesen. Hier war etwas großes im Gange. „Paul? Ich bin hier vor dem Reichstag auf etwas unglaubliches gestoßen... Ja. ...Natürlich haben wir Bilder... ...Wir haben hier eine mögliche Nazisache direkt vor dem Reichstag. Und das heute..!“

      Das Gespräch dauerte nicht sonderlich lange. Nach wenigen Minuten hatte sie ihren Chef überzeugt, dass heute über mehr zu berichten sei, als nur über die konstituierende Sitzung des neuen Bundestages.

      Paul Fiedler, ihr Chef beim Sender Phoenix schien zwar nicht sonderlich überzeugt, aber er dachte sich: Was soll sie schon großes haben? Also schickte er ihr noch zwei Kollegen mit einem PKW hinterher. Und die gewünschten frischen Pumps aus ihrem Spind im Sender auch.

       Er schüttelte den Kopf, und sah das Display seines Handys lange an, nachdem das Gespräch beendet war. „Da wird heute schon keine Revolution beginnen.“ dachte er sich.

      Er sollte sich täuschen.

      *

      9:10h Die Sitzung beginnt

      Bundespräsident Gauck machte sich langsamen Schrittes auf den Weg zum Rednerpult im deutschen Bundestag. Er war erst im Frühjahr für eine weitere Amtsperiode wiedergewählt worden. Dies war für die meisten Menschen in Deutschland nicht unerwartet gewesen, schließlich hatte die große Koalition im Bundestag wie auch bei den Vertretungen der Länder in der Bundesversammlung eine ausreichende Mehrheit bei der Wahl gehabt, so dass das Ergebnis von vornherein fest stand. Außerdem hatte es keinen Gegenkandidaten gegeben.

      Kanzlerin Merkel hatte im Vorfeld