Philipp Porter

Es bleibt für immer ein Geheimnis


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ich den Landeanflug übernehmen?“, fragte Miller in die Stille hinein und Stein erschrak. In den letzten Minuten war außer dem gleichmäßigen Summen der Düsen, dem Rauschen der Luft und dem leisen Funkverkehr, der aus den kleinen Kopfhörern drang, nichts zu hören gewesen.

      „Was?“

      „Ich fragte, ob ich den Landeanflug übernehmen kann. Ich brauche noch einige Landungen“, antwortete Miller und Stein sah ihn völlig entgeistert an.

      „Von mir aus. Hat wohl noch Zeit, oder? Nerv mich also nicht.“

      „So viel auch nicht“, gab Miller zurück und deutete dabei selbstsicher aus dem Fenster. In der Ferne waren die verhangenen Bergketten der Alpen zu erkennen.

      Stein starrte völlig irritiert aus dem Fenster. Ein kurzer Blick auf die Borduhr und er wusste, was los war. Er hatte den gesamten Flug regelrecht verpennt. Er war mit seinen Gedanken so sehr beschäftigt gewesen, dass er noch nicht einmal den Richtungswechsel über Nürnberg mitbekommen hatte.

      „Du warst so in deine Gedanken versunken, dass ich dachte, ich lass dich einfach in Ruhe“, sagte Miller, der seinen irritierten und fassungslosen Blick offensichtlich bemerkt hatte.

      Stein sah ihn kurz an, um danach nochmals auf die näher herankommenden Alpen zu starren, die sich deutlich in dem blaugrauen Dunst am Horizont abzeichneten. „Ja, schon gut. Lande, wenn du möchtest. Mir soll’s recht sein“, sagte er verlegen. Noch nie in seiner gesamten Laufbahn war ihm so etwas passiert. Beim Autofahren hatte er es schon des Öfteren erlebt, dass er eine bekannte Strecke fuhr und am Ende nicht mehr wusste, ob die Ampel nun grün oder rot gewesen war. Aber beim Fliegen? „Ich geh mir mal kurz die Beine vertreten und informiere die Passagiere, dass wir bald landen. Du kannst ja schon mal das Nichtraucherzeichen einschalten. Den Rest übernehme ich“, murmelte Stein, kletterte vom Sitz und verschwand durch die schmale Cockpittür.

      Miller war dies überaus recht. Er musste sich auf den bevorstehenden Landeanflug konzentrieren und wollte ihn, wenn möglich, ohne Stein durchziehen. Er meldete sich bei der Flugsicherung in Salzburg an, gab Höhe, Kurs und die momentane Fluggeschwindigkeit durch und erhielt die Freigabe für einen ILS-Anflug.

      *

      Stein betrat in dem Moment das Cockpit, als die Kontrollanzeigen erloschen, die Instrumentenzeiger in Richtung null fielen und die Maschine anfing, rechtsdrehend abzuschmieren. Er wollte auf seinen Sitz, als sich plötzlich das Flugzeug mit einem gewaltigen Ruck nach links drehte, so als ob Miller das Steuerruder verrissen hätte. Stein wusste, als er die Situation nur eine Sekunde später völlig begriff, dass sie keine Chance mehr hatten. Die Cessna war bereits zu weit außerhalb einer stabilen Fluglage, die er noch korrigieren hätte können, und irritiert nahm er im gleichen Moment wahr, dass sich der Schub der beiden Triebwerke bis zum Maximum erhöhte.

      Miller zerrte wie ein Verrückter am Steuerruder und brüllte ständig: „Up, up, up …“ vor sich hin. Es war eine menschliche Reaktion auf das Unvermeidliche, das in wenigen Sekunden passieren würde. Auch aus dem Passagierraum der Cessna hörte Stein verzweifelte Schreie, als er von einer unsichtbaren Faust gegen die Flugzeugwand gepresst wurde und den Erdboden vor sich bereits in greifbarer Nähe sah. Wie unter Hypnose starrte er aus dem Cockpitfenster und erkannte zwischen den laubfreien Bäumen bereits den felsigen Untergrund, der im hellen Sonnenschein glänzend auf ihn zuraste.

       Kapitel 2

      „Das kann nicht sein! Sie war eben noch hier …“, rief der Fluglotse der Flugsicherung in Salzburg fassungslos. Jörg Schmidt, der gerade zu seinem Büro unterwegs war, blieb stehen, sah auf den Schirm und fragte, was los sei.

      „Sie war eben noch hier und plötzlich ist sie verschwunden. Ich habe noch vor einer Minute mit dem Piloten gesprochen und jetzt ist sie weg, einfach weg.“

      „Versuch sie zu rufen. Vielleicht liegt ja nur eine Störung vor“, sagte Schmidt, der Leiter der Flugsicherung, und blieb, den Schirm mit einem ruhigen Blick nicht aus den Augen lassend, hinter Heribert Mögli stehen.

      „Cessna Citation two, hier Flugsicherung Salzburg, bitte um Bestätigung“, rief Mögli in sein Mikrofon hinein. Aber nur ein Rauschen drang wie eine Drohung aus dem Lautsprecher zurück. Er starrte sekundenlang auf das feine schwarze Gitter des Lautsprechers und hörte verbissen in das stumme Rauschen hinein. Doch so angespannt er sich auch auf dieses Nichts konzentrierte, er bekam keine Antwort.

      Schmidt nickte Mögli aufmunternd zu, es nochmals zu versuchen.

      „Cessna Citation two, hier Flugsicherung Salzburg, bitte melden Sie sich“, rief Mögli erneut in das Mikrofon hinein. Doch es kam abermals nur ein stummes Rauschen zurück.

      Jörg Schmidt schob einen Stuhl an den Kontrollmonitor heran und setzte sich zu dem Fluglotsen. Er drückte mehrere Knöpfe an dem Schaltpult und tippte einige Befehle in die Tastatur ein, die direkt unter dem Schirm installiert war. „Jetzt werden wir gleich sehen, was mit Ihrer Cessna ist“, murmelte er dabei vor sich hin, als die Aufzeichnung startete, und nahm alle Informationen, die er nicht benötigte, vom Schirm.

      Nach wenigen Sekunden waren nur noch einige Signale zu erkennen, die sich träge über den Monitor bewegten. Im oberen linken Drittel wanderte die Buchstabenkombination CC550 über den Monitor und hinterließ eine dünne, fast unscheinbare Leuchtspur: der Flug aus Berlin.

      „Achtung! Gleich … gleich ist sie weg“, versicherte Mögli und deutete dabei auf das Signal, das langsam über den Monitor glitt. Dann zeigte er wortlos auf den Bildschirm, als das Signal, wie einige Minuten zuvor, plötzlich verschwand. An der Stelle, an der eben die Markierung zu sehen gewesen war, schimmerte nur noch der dunkle Hintergrund.

      Schmidt griff zum Telefon, informierte den Tower und kurz darauf die Polizeiinspektion von Freilassing. Die Cessna war laut Radar noch auf deutschem Gebiet, in der Nähe des Grenzflusses Saalach, abgestürzt.

      *

      Die Rettungsaktion bei Freilassing lief bereits auf Hochtouren, als der Anruf der Flugsicherung Salzburg eintraf. Der Absturz der Cessna war von verschiedenen Personen beobachtet worden und daher lagen bereits die ersten Meldungen aus der Bevölkerung vor. Nach wenigen Minuten war auch das Ausmaß des Unglücks bekannt. Ein Polizeihubschrauber, der in der Nähe das Autobahnstück bei Piding überprüft hatte, kreiste bereits über der Absturzstelle und setzte einen detaillierten Bericht über Funk ab.

      Schmidt, der den Funkverkehr des Hubschrauberpiloten mit abgehört hatte, schaltete enttäuscht den Empfänger aus. Für ihn stand bereits fest, dass es keine Überlebenden gab. Die Maschine hatte sich anscheinend mit vollem Schub in den vereisten Waldboden gebohrt.

      Sichtlich bekümmert verließ er den Kontrollraum und klopfte beim Hinausgehen dem jungen Fluglotsen fürsorglich auf die Schulter. Er hasste solche Momente, und Erinnerungen aus seiner Fluglotsenzeit drängten sich ihm auf.

      In seinem Büro angekommen, nahm er sein Telefonregister aus der Schublade des Schreibtisches und schlug es auf. Schnell fand er den Namen, den er suchte. Klaus Gerbig, ein Beamter der BFU, war ihm in den vielen Jahren seiner Laufbahn ein guter Freund geworden. Sie hatten schon so manche Zechtour nach einem Absturz, zumeist waren es kleinere Sportmaschinen gewesen, miteinander durchgestanden und waren sich auf diesem Wege nähergekommen. An der langjährigen Freundschaft störte Schmidt von Mal zu Mal nur eines: Es war die Tatsache, dass sie beide sich immer nur dann trafen, wenn ein Unglück seine Schatten warf.

      *

      „Hallo, Klaus, hier Jörg. Ich habe mal wieder was für euch“, sagte Schmidt hörbar zerschlagen in den Hörer hinein, als sich am anderen Ende der Leitung nur ein knurriges „BFU, Gerbig“ meldete. Er massierte sich dabei mit Daumen und Zeigefinger das Nasenbein, denn die wenigen Minuten, die er an dem Kontrollschirm verbracht hatte, hatten bereits ausgereicht, seine Augen zu ermüden. Er hätte schon längst eine Brille benötigt, aber die Eitelkeit stand zwischen ihm und einem Drahtgestell auf seiner Nase.

      „Oh“,