Philipp Porter

Es bleibt für immer ein Geheimnis


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      *

      Das Bild, das sich ihnen an der Absturzstelle bot, war bizarr. Schmidt und Gerbig blieben wie angewurzelt im Wagen sitzen und starrten durch die Windschutzscheibe des Jeeps. Eine seltsame Komposition aus einer strengen Schwarz-Weiß-Landschaft mit grellen, farbigen Gebilden darin breitete sich vor ihnen aus. Das Bild hätte in einer modernen Ausstellung mit Sicherheit den ersten Preis gewonnen.

      Die roten Feuerwehrwagen mit ihren blinkenden blauen Lichtern und die Besatzungen mit ihren orangefarbenen Jacken hoben sich vor dem Hintergrund der Landschaft in solch einem Kontrast ab, dass es schon wieder seltsam schön wirkte. Der Löschschaum, der über dem Waldboden lag und zwischen den Bäumen und Sträuchern hing, war in der eisigen Kälte zu seltsamen, fremden Formen erstarrt. Schwarze, verkohlte Stümpfe von verbrannten Bäumen ragten aus der erstarrten Schaumdecke hervor und wirkten wie versteinerte Säulen aus einem fremdartigen Mineral, das wie die bizarren weißen Gebilde in dem strahlenden Sonnenlicht irisierend glänzte.

      Das ganze Bild hätte verzaubernd gewirkt, wäre in der Mitte dieses scheinbaren Stilllebens nicht das Seitenleitwerk der Cessna zu sehen gewesen. Es ragte wie ein mahnender Finger aus der vereisten Schneelandschaft hervor, als wollte es daran erinnern, dass hier vor wenigen Stunden Menschen ihr Leben auf tragische Weise verloren hatten.

      *

      Schmidt und Gerbig stiegen fast gleichzeitig, ohne ein Wort miteinander zu wechseln, aus dem Jeep aus. Mit unsicheren Tritten, ständig stolpernd, kämpften sie sich durch den gefrorenen Schaum und die verbrannten Überreste von verkohlten Ästen hindurch. Wenige Schritte vor den ersten Wrackteilen blieben sie wie auf ein stummes Zeichen hin stehen.

      „Was denkst du? Hatte da jemand eine Chance?“, fragte Schmidt und starrte wie gebannt auf die verglühten Überreste des Flugzeuges, an dem Feuerwehrmänner mit schweren Rettungsscheren schweigsam arbeiteten. Lautes Knacken und Knirschen von Metall hallte dabei durch den verbrannten Wald, und Schmidt jagte dieses schweigsame Arbeiten einen kalten Schauer über den Rücken.

      Da Gerbig solche Situationen schon des Öfteren erlebt hatte, fasste er sich sehr schnell, und aus seinen Worten drang die Professionalität, die Schmidt an ihm kannte und eigentlich auch schätzte.

      „Nein. Hier hatte keiner eine Chance. Ich denke, dass sie alle auf der Stelle tot waren. Die Maschine hat sich, so wie es scheint, regelrecht in den Erdboden gebohrt. Man kann jetzt schon deutlich erkennen, dass sie fast senkrecht abgestürzt ist. Teile der Tragflächenhaut und auch die Triebwerke sind noch gut erhalten und wurden bei dem Aufschlag nach hinten gedrückt. Der Rumpf wurde gestaucht und die Kabinenbestuhlung wurde in den hinteren Teil des Flugzeuges geradezu hineingepresst. Ich bin mir sicher, dass hier keiner einer Chance hatte“, wiederholte er nochmals und sah Schmidt dabei mit dem sachkundigen Blick eines Beamten an, der fast jeden Tag mit diesen Dingen zu tun hatte.

      „Scheußlich, wie du redest“, antwortete Schmidt und ein Schauder jagte ihm dabei erneut über den Rücken.

      „Ich denke, es wird wohl besser sein, wenn du zurück zum Wagen gehst, anstatt hier zwischen den Trümmern herumzustehen“, sagte Gerbig, der den erschrockenen Ausdruck in Schmidts Gesicht richtig deutete.

      „Ja, ich denke auch, dass es besser ist“, gab Schmidt zurück und lief langsam, sich noch mehrmals nach den Trümmern umdrehend, in Richtung Wagen davon.

      Gerbig kletterte zu den Feuerwehrmännern, die schweigsam an der Cessna arbeiteten, zeigte seinen Ausweis vor und bat darum, glatte und gleichmäßige Schnitte zu machen. Er wollte bei der Untersuchung erkennen, was von den Männern verursacht wurde und was von dem Absturz herrührte. Danach lief er zum Wagen zurück, um einen Fotoapparat, ein Diktiergerät und eine kleine, handliche Filmkamera aus seinem Metallkoffer zu holen.

      „Was willst du mit der Filmkamera?“, fragte Schmidt, der auf dem Beifahrersitz saß und sich nach Gerbig umdrehte.

      „Ich mache immer erst eine Filmaufnahme von der Unglücksstelle, die ich mir später ansehen kann. Weißt du, in einem Film sieht so ein Absturz immer etwas anders aus als auf den Fotos. Die Bilder musst du erst richtig zuordnen. Was ich versehentlich nicht fotografiert habe, habe ich auf Band.“

      Schmidt nickte nur mechanisch und sah wieder zur Cessna hinüber, an der jetzt Leichensäcke aufgereiht wurden. Ein paar Minuten lang sah er Gerbig und den Männern bei ihrer grauenhaften Arbeit zu, bis er angewidert die Augen schloss. Den Anblick von abgetrennten Armen und verkohlten Stümpfen, die aus dem Wrack gezogen wurden, verkraftete er einfach nicht. Erst als Gerbig seine Utensilien im Wagen verstaut hatte, den Motor anließ und langsam losfuhr, öffnete er sie wieder.

      „Macht es dir denn gar nichts aus, wenn du so etwas Grauenhaftes siehst?“, fragte Schmidt, dem es sehr recht war, dass Gerbig jetzt am Steuer saß und die Fahrt nach Hause übernahm.

      „Natürlich. Was glaubst du denn. Denkst du, es lässt mich kalt?“

      „Ja. Es sieht jedenfalls so aus.“

      Gerbig lachte bedrückt. „Ja, es sieht mit Sicherheit so aus. Ich kann dir aber auch sagen, weshalb: Ich konzentriere mich auf meine Arbeit und schaue nicht auf das, was um mich herum passiert. Für mich zählen nur Fakten, abgerissene Triebwerke, wie das Flugzeug liegt, welche Teile zerbrochen sind und welche nicht. Es ist natürlich auch wichtig, wo die Passagiere gefunden wurden, aber das entnehme ich aus dem Bericht der Feuerwehr und nicht aus meinen eigenen Aufzeichnungen.“

      „Bist du fertig mit deiner Arbeit?“, fragte Schmidt, obwohl er wusste, dass dies nicht sein konnte.

      „Nein. Aber hier in der eisigen Kälte kann ich nichts tun. Die Wrackteile, die stellenweise einen halben Meter tief in der Erde stecken, müssen erst geborgen werden. Dann wird alles in Container verpackt und in unsere Rekonstruktionshalle transportiert. Ich werde mich dort mit der Cessna auseinandersetzen.“

      „Musst du morgen noch mal hier heraus?“

      „Ja. Morgen und vielleicht heute Abend noch mal. Kann ich den Wagen haben?“

      Schmidt überlegte kurz, warf einen Blick über die glänzende, noch neue Motorhaube und nickte.

      *

      Am darauf folgenden Morgen fuhr Gerbig, nachdem er Schmidt am Flughafen abgesetzt hatte, zur Absturzstelle. Drei Stunden später tauchte er in Schmidts Büro wieder auf. Er hatte einen ramponierten schwarzen Aktenkoffer in der Hand und sah nicht gerade glücklich aus.

      „Du bist ja schon wieder hier?“, rief Schmidt überrascht und sah Gerbig verwundert an.

      „Ja. Ich konnte nichts mehr tun und gab nur noch einige Anweisungen für den Transport. Die Männer brauchen mich dort nicht. Der Kommandant, ein gewisser Höflinger, hat alles im Griff und ich denke, dem Mann kann ich vertrauen.“

      „Und was ist das?“, fragte Schmidt und deutete auf den schwarzen Aktenkoffer.

      „Tja, das ist etwas, das mir nicht so recht gefällt“, gab Gerbig nachdenklich zurück. Er setzte sich auf einen der Stühle, die vor Schmidts Schreibtisch standen, legte den Koffer auf seine Knie und warf seinem Freund einen argwöhnischen Blick zu.

      „Und was heißt das?“, fragte Schmidt neugierig zurück, beugte sich über die Schreibtischplatte und nahm den Aktenkoffer in Augenschein.

      „Ehrlich gesagt, das weiß ich nicht. Ich kenne mich in der Berliner Politik nicht so aus. Ich glaube aber, dass einige Personen aus dem Berliner Senat nervös würden, wenn sie wüssten, dass der Koffer in falschen Händen ist.“

      „Wie? Geheime Dokumente und so?“, fragte Schmidt wissbegierig, den es vor Spannung nicht mehr auf seinem Stuhl hielt.

      „Kann ich nicht beurteilen. Ich muss jedenfalls die zuständigen Stellen in Berlin über den Fund informieren.“

      „Du denkst?“

      „Da der Absturz der Maschine schon mysteriös genug ist, wirft der Inhalt des Aktenkoffers noch weitere