Philipp Porter

Es bleibt für immer ein Geheimnis


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den traurigen Anlass ihres Besuches zu sprechen kommen.

      Doch bereits wenige Sekunden später meldete sich die Stimme erneut, und gleichzeitig schwang das Tor langsam zu beiden Seiten auf. „Fahren Sie bitte bis zum Haus vor und parken Sie Ihren Wagen auf den Lieferantenparkplätzen rechts des Haupteingangs.“

      „Rechts des Haupteingangs“, äffte Hofer mit aufgesetztem, vornehmem Klang die Stimme aus dem Lautsprecher nach und verzog dabei sein Gesicht zu einer Grimasse. „Denen wird ihr vornehmes Getue gleich vergehen, wenn sie die gute Nachricht hören.“

      Schimmer schaute Hofer aus den Augenwinkeln heraus an und schüttelte den Kopf. Er mochte solche Leute auch nicht sonderlich, aber er besaß wenigstens so viel Anstand, dass er sich bei solch einem traurigen Anlass zu benehmen wusste.

      „Ich glaube, ich bleibe im Wagen. Du kommst doch alleine zurecht, oder?“, sagte Hofer, als Schimmer den Wagen auf dem Lieferantenparkplatz abstellte und den Motor ausschaltete.

      Schimmer war noch nicht einmal überrascht über Hofers Frage und nickte daher zustimmend. „Ja, natürlich. Ich denke auch, es wird wohl das Beste sein, wenn immer nur einer die schlechte Nachricht überbringt.“

      „Da hast du recht. Und du bist die geeignete Person für diesen Job. Ich biete dir diese pietätvolle Aufgabe hiermit gerne an“, gab Hofer lachend zurück und kurbelte seine Rückenlehne nach hinten. „Ich werde mir mal zwei, drei gemütliche Stunden machen“, hängte er noch gähnend an und schloss dabei die Augen.

      Schimmer stieg aus dem Wagen aus, ohne auf dieses Angebot seines Kollegen etwas zu erwidern. Er kannte Hofers Arbeitseinstellung. Auch dass sie beide bei ihren Kollegen und den Vorgesetzten nicht sonderlich beliebt waren, machte ihm nichts aus. Sie hatten eine gute Quote bei ihren Ermittlungen, und Hofer war für das Spiel „Guter Bulle – Böser Bulle“ und für die harte Tour einfach brillant. Er erledigte – und das musste jeder ihm neidvoll zugestehen – diese Arbeit nahezu perfekt. Für Ermittlungen, komplizierte Zusammenhänge und Routinearbeiten, aus denen ihre Arbeit aber zum größten Teil bestand, war Hofer nicht zu gebrauchen. Aber hier kam Schimmer zum Einsatz und somit ergänzten sie sich optimal.

      *

      Das Haus, das in hellem Weiß, vermischt mit dezenten gelben Farben, angelegt war, wirkte jetzt, aus der Nähe betrachtet, noch fürstlicher. Schimmer schaute zu den großen Sprossenfenstern empor, die sich in das Bauwerk harmonisch einfügten und mit den aufgesetzten Sandsteinsäulen, die jeweils links und rechts der Fenster angebracht waren, ein abwechslungsreiches und dennoch graziles Bild erzeugten. Er überlegte, wie viele Zimmer dieses riesige Gebäude wohl haben mochte, und begann die Fensterreihen der drei Stockwerke abzuzählen. Er kam auf dreißig Fenster. Nahm er die Breite des Hauses hinzu, mussten in dem Gebäude mindestens fünfundzwanzig bis dreißig Zimmer vorhanden sein. Im Vergleich zu seiner Dreizimmerwohnung, die er mit Frau und Tochter Nicole, die erst zwei Jahre alt war, bewohnte, war dieses Gebäude ein Schloss.

      *

      Schimmer ging zur Eingangstür und wurde dort von einem Mann, vollkommen in Schwarz gekleidet, bereits erwartet. „Bitte treten Sie ein. Herr Weidmann erwartet Sie“, sagte der Bedienstete höflich mit einem feinen südländischen Akzent, den Schimmer nicht so recht zuordnen konnte. Verwundert über diesen doch schnellen Empfang betrat er das Haus.

      Der Angestellte deutete mit einer höflichen Geste an, dass er weiter in den Eingangsbereich hineingehen sollte, und schloss, ohne ein Geräusch zu erzeugen, die mächtige Eingangstür.

      Kommentarlos, sich nach allen Seiten umschauend, folgte Schimmer dem Mann weiter in das Gebäude hinein und betrat dicht hinter ihm einen der Räume, die direkt an den Eingangsbereich angrenzten.

      Mit den Worten „Herr Weidmann, Ihr Besuch“ wurde Schimmer von dem Angestellten bei Karl-Gustav Weidmann angemeldet.

      „Danke, Lopez“, gab Weidmann kühl zurück, der hinter einem riesigen Mahagonischreibtisch mit edlen Schnitzereien saß, löste seinen Blick aber nicht von den Papieren, die er in den Händen hielt.

      „Spanisch, vielleicht auch Portugiesisch“, dachte Schimmer, der langsam durch den Raum lief und sich dabei die Frage über die Nationalität des Angestellten selbst beantwortete. Er schaute sich bei jedem seiner Schritte gewohnheitsmäßig nach allen Seiten um und war mit jeder neuen, seltsam wirkenden Skulptur, die er in diesem monströsen Raum entdeckte, überrascht.

      Erst als Schimmer stumm vor dem Mahagonischreibtisch stand und ungeduldig von einem Bein auf das andere wippte, legte Weidmann die Schriftstücke zur Seite und sah ihn aus tief liegenden Augen an.

      „Haben Sie die Aufgabe bekommen, mir die Nachricht vom Tode meines Sohnes zu überbringen?“, fragte Weidmann mit feiner Stimme, kaum hörbar, und Schimmer wusste nicht, was er erwidern sollte. Auf diese Begrüßung war er keineswegs vorbereitet gewesen, und daher nickte er nur stumm.

      „Gut. Wissen Sie bereits, wie es zum Absturz kommen konnte?“ Weidmann ließ den Blick wieder sinken und faltete ein Blatt Papier sorgfältig in der Mitte, das vor ihm auf dem Schreibtisch lag.

      „Nein, bedauerlicherweise nicht. Die Untersuchungen dauern bislang noch an. Ich denke, es wird wohl noch einige Zeit vergehen, bis ein abschließender Bericht erstellt werden kann.“ Schimmer blickte auf Weidmann herab, der jetzt zusammengesunken in seinem schweren Ledersessel saß und wie erstarrt einen imaginären Punkt auf der Schreibtischplatte fixierte. „Ist Ihnen nicht gut, Herr Weidmann“, fragte er vorsichtig und war bereits im Begriff, um den Schreibtisch herumzugehen, als Weidmann mit einem schnellen Blick zu ihm aufsah.

      „Nein, danke. Mir geht es gut. Wissen Sie, ob mein Sohn schnell und ohne Schmerzen gestorben ist?“

      Schimmer überlegte, was er auf diese Frage antworten sollte. Er kannte die Hintergründe des Unglücks nicht. Er wusste nur, dass ein Flugzeug in der Nähe von Salzburg abgestürzt war und dass dabei zehn Menschen ihr Leben gelassen hatten. „Er hatte mit Sicherheit keine Schmerzen. Es ging zu schnell“, sagte er und vertraute darauf, dass jeder Mensch bei einem Flugzeugabsturz schnell und ohne Schmerzen sterben würde.

      „Gut“, gab Weidmann leise zurück und senkte den Blick, um den imaginären Punkt auf der Tischplatte neu zu fixieren. „Sie würden mir einen Gefallen erweisen, wenn Sie jetzt bitte gehen würden“, hängte er nach einigen Sekunden an, ohne Schimmer nochmals anzusehen.

      Schimmer war für diesen Satz fast schon dankbar. Er wusste bereits nicht mehr, wie er sich verhalten noch was er sagen sollte. „Mein Beileid, Herr Weidmann“, knurrte er deshalb nur und verließ eiligst den Raum.

      In der Eingangshalle wartete der Angestellte bereits und begleitete ihn mit einer höflichen Armbewegung, die wohl einen vornehmen Rausschmiss andeuten sollte, zur Tür.

      „Können Sie mir sagen, woher Herr Weidmann wusste, dass sein Sohn verstorben ist?“, fragte Schimmer den Angestellten und blieb in der geöffneten Eingangstür stehen. Er wusste selbst nicht, warum er dies fragte, aber es war wohl eine intuitive Eingebung und ein Schuss ins Blaue hinein.

      „Bedaure. Ich kann Ihnen nicht mitteilen, woher Herr Weidmann seine Informationen bezieht“, antwortete der Angestellte pflichtgemäß und zeigte mit einer erneuten Geste an, dass Schimmer das Haus verlassen sollte.

      Schimmer blieb aber im Türrahmen stehen und sah dem Mann eindringlich in die Augen. Doch sein strenger Kripo-Blick, den er in jahrelanger Arbeit regelrecht einstudiert hatte, zeigte keinen Erfolg. Nicht das kleinste Zucken war in dem Gesicht des Mannes zu erkennen. Entweder wusste der Angestellte wirklich nichts oder er hatte seine Gesichtsmuskeln besser unter Kontrolle als Schimmer seine.

      „Danke, Lopez“, sagte Schimmer, da ihm nichts anderes übrig blieb, trat ins Freie und ging zum Wagen zurück, in dem Hofer eine Zigarette rauchend auf ihn wartete.

      „Mann, das ging aber schnell. Ich hatte mich schon auf eine längere Pause eingestellt. Wie hat er es aufgenommen?“, fragte Hofer gähnend und schnippte einen Zigarettenstummel aus dem Seitenfenster hinaus, der in einem großen Bogen davonflog.