Sabine von der Wellen

Das Vermächtnis aus der Vergangenheit


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so etwas studieren?“

      Die Antwort ist kurz und bündig: „Bei dir … in Osnabrück, denke ich.“

      Oh Gott! Nicht Tim auch noch!

      „Und du meinst, das ist was für dich? Spielst du nicht lieber auf Bühnen und in Orchestern mit?“, versuche ich ihn gleich davon abzubringen.

      „Das macht man da auch! Aber ich weiß halt noch nicht. Kommt auch darauf an.“

      Wieder liegt mir die Frage auf der Zunge: Worauf kommt es an? Und wieder schweige ich und erneut setzt eine Stille ein, die unangenehm ist.

      Tim räuspert sich und seine Stimme klingt unendlich traurig: „Ach Carolin! Könnte ich doch nur bei dir sein. Wärst du noch in meiner Wohnung und würdest auf mich warten, dann müsste ich das alles nicht tun. Dann könnten wir weggehen und woanders neu anfangen. Bei mir wärst du in Sicherheit. Ich würde dafür sorgen, dass dich keiner findet.“

      Sein Kauderwelsch verunsichert mich und lässt mich aufhorchen.

      „Bin ich denn nicht in Sicherheit?“, frage ich vorsichtig.

      „Nein, nicht solange du nicht bei mir bist. Ich war am letzten Wochenende bei dir. Ich musste dich sehen und ich wollte wissen, ob es dir gut geht und sie dir nichts tun. Und du hast dich denen ausgeliefert … für deine dummen Freunde! Ich hätte dich am liebsten da rausgeholt, aber sie ließen mich nur kurz zu dir. Als ich dich da so liegen sah hat es mir fast das Herz gebrochen. Es war fast so schlimm wie da, wo du mir sagtest, dass du mit diesem Erik zusammen bist.“

      Da ist es wieder. Wir sind erneut an dem Punkt angelangt.

      „Tim, es tut mir so leid, dass alles so gelaufen ist. Aber ich kann für meine Gefühle nichts. Ich liebe Erik und werde mit ihm zusammenbleiben. Er ist alles, was ich will. Und solange er mich will, wird sich daran nichts ändern.“

      Ich halte den Atem an und weiß nicht, was nun passieren wird. Aber nachdem er das mit Erik erneut angesprochen hat, musste ich ihm reinen Wein einschenken. Er muss wissen, dass es keine Hoffnung für uns beide gibt. Und ich weiß, dass ich ihn nicht liebe. Was uns verbindet ist höchstens noch ein Fünkchen Vergangenheit und dass er immer da war, wenn ich seine Hilfe brauchte.

      „Sag das nicht. Das kann nicht sein! Sie sagten mir, dass du für mich bestimmt bist. Dass wir ein gemeinsames Schicksal haben …“

      Ich schlucke. „Ich bin Doppelträgerin, wie Julian, und wie du wahrscheinlich auch. Das hat mir eine Wahrsagerin erklärt. Wir tragen das Schicksal in uns, das uns miteinander verbindet. Mich mit dir, mich mit Julian. Aber wir haben alle noch ein zweites Schicksal. Und das gehört einem anderen Menschen. Julian hat sein zweites Schicksal gefunden … Michaela! Und ich habe meins, das mich klar mit Erik verbindet. Und für dich gibt es auch ein zweites. Du musst es dich nur finden lassen“, versuche ich ihm klarzumachen.

      „Nein!“, faucht er aufgebracht. „Das stimmt nicht! Die haben mir nichts davon gesagt!“

      „Weil sie dir nur erzählen, wovon sie meinen, dass du das wissen darfst. Sie werden dir nichts anderes sagen als das, was für sie von Nutzen ist. Aber ich war bei dieser Wahrsagerin und das schon, bevor diese Al Kimiys bei mir aufkreuzten“, versuche ich ihm einzubläuen.

      Wieder ist es still in der Leitung und ich höre ein unterdrücktes Schluchzen, das mir doch ans Herz geht. „Du bist mein einziges Schicksal“, schnieft Tim und ich schüttele den Kopf. „Nein, das stimmt nicht. Wir haben alle zwei Schicksale. Ich bin klar mit Erik verbunden. Und du weißt, es ist besser, wenn wir uns alle an unser zweites Schicksal halten.“

      Dass ich noch mal so auf diese Schicksalsscheiße von dieser Frau Moinette herumreite hätte ich mir auch nicht träumen lassen.

      „Nein, ich will das nicht! Und sie wollen auch nicht, dass du mit dem zusammen bist. Ich brauche bloß warten und sie werden das Regeln, dass du ihn nicht mehr willst. Und dann überlege es dir bitte noch mal. Ich flehe dich an! Wir gehören zusammen und ich will, dass du wieder zu mir zurückkommst. Du bist bisher immer wieder zu mir zurückgekommen.“ Mit jedem Satz wird seine Stimme dumpfer. „Und ich werde dafür kämpfen, dass du wieder bei mir sein wirst. Und wenn du nicht willst, werde ich dich holen“, knurrt er den letzten Satz.

      „Tim, bitte!“, versuche ich ihn umzustimmen und stelle mit Entsetzen fest, dass mir nur noch ein Besetztzeichen entgegentönt.

      Ich starre auf das Handy und frage mich, was passiert ist. Vielleicht wurden wir versehentlich getrennt und er ruft gleich wieder an. Aber nichts passiert und ich lege das Handy auf das Nachtschränkchen. Zehn Minuten will ich ihm geben, dann will ich den Anruf aus der Liste löschen und werde das Handy ausschalten.

      Meine Armbanduhr zeigt mir an, dass es fast zwei Uhr ist. Jeden Moment kann Erik wiederkommen.

      Ich lege mich in sein Kissen zurück und atme seinen Geruch ein. In mir steigt der Wunsch hoch, mich in seine Arme zu schmiegen und ihn zu spüren. Und die Zeit vergeht und Tim ruft nicht zurück.

      So nehme ich das Handy wieder, lösche den Anruf daraus und schalte es aus. Es wieder in meine Schublade verstauend, habe ich nicht das Gefühl, dass mein Telefonat wirklich eine Hilfe für uns war. Ich kann nur hoffen, dass Erik davon nie erfährt.

      Tims Worte schleichen sich immer wieder in meinen Kopf und hindern mich am Einschlafen. Sie werden das Regeln, dass ich nicht mehr mit Erik zusammen sein will? Wie? Ich kann mir keinen Reim darauf machen. Aber Tim klang da zuversichtlich.

      Ich wälze mich im Bett hin und her und liege wach, bis endlich die Wohnungstür aufgeschlossen wird. Mich tiefer in seine Decke kuschelnd, warte ich, bis Erik ins Schlafzimmer kommt. Aber es dauert. Scheinbar geht er erst ins Badezimmer und dann in die Küche. Erst dann kommt er ins Schlafzimmer und sieht mich verwundert an. „Hallo, Schatz! Du bist ja wach!“, raunt er und ich sehe ihn von oben bis unten an, ob er irgendwelche Verletzungen oder zerrissene Klamotten aufweist. Seit er in Hamburg so zusammengedroschen wurde, habe ich das Gefühl, Erik passiert so etwas immer wieder, wenn ich nicht bei ihm bin.

      Mein zweiter Gedanke gilt einem Knutschfleck, den ich aber nirgends ausmachen kann und ich schüttele über mich selbst den Kopf.

      „Ich mache die Musik aus“, sagt er und kehrt in das Wohnzimmer zurück.

      Dass er nicht zu mir kommt und mir einen Kuss gibt, macht mich stutzig. Und er wirkt nicht betrunken.

      Die Musik geht aus, und das Licht im Wohnzimmer. Auch das Licht im Schlafzimmer löscht er, als er wieder zurückkehrt und ich mache die Nachttischlampe an.

      Er kommt unsicher auf mich zu und ich werde noch misstrauischer.

      „Hey, ich dachte du schläfst schon“, raunt er erneut und beugt sich über mich, mir einen Kuss gebend.

      „Ich konnte nicht mehr schlafen, nachdem du mich angerufen hast“, antworte ich und er beginnt sich auszuziehen.

      Ich beobachte ihn dabei und sehe ihn mir so genau an, wie das wenige Licht der Nachttischlampe es zulässt.

      „Du liegst in meinem Bett“, raunt er und lacht leise und ich sehe seine Augen dunkel funkeln.

      „Ja, ich fühlte mich einsam“, antworte ich ihm und er schiebt sich unter die Decke.

      „Und, wie war´s?“, frage ich.

      „Gut! Rene und David wollten wissen, was damals passiert ist, als ich nicht mehr zur Schule kam, und ich habe ihnen die ganze Story erzählt.“ Erik zieht mich in seinen Arm. „Aber … Schatz! Die beiden waren nicht allein gekommen. Sie hatten einen Bekannten mitgebracht. Der war eigentlich erst ganz lustig und locker drauf …“

      Wie er den Typen erwähnt, das macht mich stutzig und ich sehe ihn an. Etwas stimmt nicht an ihm. Und er weicht meinem Blick aus.

      „Ja?“, frage ich lauernd, weil ich das Gefühl habe, da kommt noch etwas Unerfreuliches nach.

      „Gerrit heißt der. Und Rene kennt ihn erst seit kurzem.“

      Erik druckst herum und das