Sabine von der Wellen

Das Vermächtnis aus der Vergangenheit


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fährt mit zum Hasetor und geht mit zu mir nach Hause, weil Daniel sie sowieso von dort abholen will. Mir scheint das Ganze eher wieder wie eine angeordnete Rundumüberwachung. Wahrscheinlich hatten Daniel und Erik diese Notwenigkeit am Abend zuvor wieder in Erwägung gezogen.

      Als wir in meine Wohnung kommen, ist noch niemand da und ich gehe, gleich nachdem ich meine Jacke und Schuhe in der Flurgarderobe ließ, ins Schlafzimmer und hole das Handy. Ich möchte, dass Ellen die SMSen liest.

      In der Küche setzen wir uns an den Tisch und ich öffne die erste.

      „Hier, lies du die mal und sage mir, was du davon hältst.“

      Ellen sieht auf das Display und liest laut: „Carolin, bitte verzeih mir doch. Ich will dich nie wieder zwingen, aber überreden darf ich dich doch noch.“

      Sie raunt aufsehend: „Ist das ein Spinner!“

      Die nächste SMS öffnend, halte ich ihr das Handy hin: „Mein Herz ruft nach dir. Ich will nicht mehr hier sein! Wenn ich doch nur nicht ausgerastet wäre, dann hätte ich noch deine Freundschaft. Ich brauche dich! I Miss you so! Meine Sonne …“

      Ellen sieht mich verunsichert an und sagt nichts weiter dazu. Ich sehe an ihrem Gesicht, dass seine Worte sie nicht kalt lassen.

      Sie nimmt mir das Handy ab, öffnet die nächste und liest sie vor: „Mir ist egal, was alle sagen. Du gehörst zu mir. Du wirst das schon noch begreifen.“

      „Hm …“, macht Ellen nachdenklich.

      Sie öffnet eine weitere: „Julian, der Verräter. Er soll nicht so tun. Ich weiß, dass er auch mit dir ins Bett gehen will. Er soll mir nicht blöd kommen. Ich werde mich von ihm nicht aufhalten lassen.“

      Ellen sieht mich an und ich schüttele den Kopf. „Das stimmt nicht. Ich habe mit Julian gesprochen. Das will er nicht! Auf keinen Fall!“

      Eine weitere öffnend, raunt Ellen: „Wie viele sind das denn?“

      „Zwei noch“, erwidere ich und sie öffnet die nächste: „Weißt du noch? Mit mir in Alfhausen, in Wolfsburg oder auf einer einsamen Insel. Das sind deine Optionen! Ich habe von dir geträumt. Du liebst mich! Das weiß ich! Du hast es mir gesagt. Ich werde dich holen. Bald!“

      Erneut trifft mich Ellens beunruhigter Blick. „Langsam macht er mir Angst“, sagt sie.

      Ich nicke nur und sie öffnet die letzte: „Du warst mir so nah. Ich war in deinem Zimmer, konnte dich ansehen … berühren. Ich liebe dich! Sie haben dich wieder gehen lassen. Aber sie stellen sich mir nicht in den Weg. Ich werde wiederkommen. Ich werde eine neue Telefonnummer haben, damit der Typ mich nicht mehr erreicht. Du gehörst mir! Schon immer! Er wird daran nichts ändern. Du bist meine Frau!“

      „Gott!“, haucht Ellen bestürzt. „Das ist die vom letzten Samstag? Jetzt verstehe ich! Er war wirklich bei dir im Zimmer und du hast davon nichts mitbekommen. Verdammt! Da würde ich auch wer weiß was denken.“

      Ihr Ausruf entsetzt mich. „Glaubst du, er hat …?“ Weiter komme ich nicht, weil meine Stimme versagt.

      Ellen sieht an meinem Blick, wie entsetzt ich bin, wenn sie das jetzt bejaht und raunt: „Ne, ich glaube nicht. Aber trotzdem erschreckend, wenn man sich vorstellt, man schläft tief und fest und da ist einer, der dich berührt und vielleicht küsst. Poor! Gruselig!“

      Berührt und küsst? Oh Mann! Mir wird wieder übel.

      Daniel ruft ein lautes: „Hallo!“, vom Gang in die Wohnung und ich reiße das Handy aus Ellens Hand und mache es schnell aus. Eilig lasse ich es in der Küchenschublade verschwinden.

      Wenigstens schleicht Daniel sich nicht in die Wohnung, wie Erik das immer tut. Von ihm höre ich auch diesmal nichts, bis er im Türrahmen erscheint und Ellen ihm ein: „Hi!“, zuruft.

      Er kommt zu mir, gibt mir einen Kuss und setzt sich neben mich auf einen Stuhl. Mit dunkler Stimme raunt er: „Was macht ihr?“

      Ellen antwortet ihm: „Nichts! Quatschen! Und auf euch warten.“ Sie schenkt ihrem Bruder ein Lächeln und lässt sich von Daniel von hinten umarmen und küssen. Er hatte wohl einen Abstecher zur Toilette gemacht.

      „Kaffee oder lieber etwas anderes?“, frage ich schnell und Erik antwortet: „Kaffee wäre nicht schlecht.“

      Ich stehe auf und gebe Wasser in den Behälter und lege ein Pat ein. Für mich setze ich Wasser für meinen Tee auf. Der erste Kaffee läuft sprudelnd in eine Tasse und ich höre nur mit halbem Ohr zu, was am Tisch geredet wird. Meine Gedanken kreisen um Tims SMSen. Ich hatte heute Morgen gleich so geschockt reagiert, dass mir der eigentliche Sinn von vielem verborgen blieb. Zum Beispiel, dass er schreibt, dass er mich holen wird … bald!

      Ich sehe Erik an, der mich zu beobachten scheint. Sieht er mir an, wie sehr mich die SMSen immer noch beunruhigen?

      Im selben Moment fällt mir die Stille im Raum auf und mir wird bewusst, dass auch Ellen und Daniel mich ansehen. „Was?“, frage ich aus einem Reflex heraus.

      „Essen?“, fragt Ellen. „Möchtest du auch etwas?“

      Ich sehe Erik an, weil ich nicht weiß, was er geantwortet hat.

      „Bestellt ihr eine Hawaipizza mit“, sagt er nur und ich nicke brav.

      Mein Teewasser kocht und ich gieße meine Tasse mit Kräutertee auf. Der Kaffee läuft in die zweite Tasse und ich stelle Zucker und Milch auf den Tisch. Die vollen Tassen vor Erik und Ellen stellend, gebe ich den dritten Pat in die Maschine und fülle die dritte Tasse für Daniel. Meinen Tee zum Tisch balancierend, muss ich feststellen, dass meine Hände zittern. Als ich mich hinsetzen will, zieht Erik mich auf seinen Schoß, während Daniel zu seiner Jacke geht und den Pizzaservice anruft.

      „Hey, Schatz!“, raunt er leise und mit sanftem Blick, der mich gleich wieder Ellen ansehen lässt. Noch immer reagiere ich so, weil ich nicht weiß, wie weit sie sich schon daran gewöhnt hat, ihren Bruder so zu sehen.

      Ich sehe Erik wieder an und antworte auf seine nicht gestellte Frage: „Es geht mir gut! Ehrlich!“

      Er nickt leicht, aber seine Augen scheinen mir nicht ganz glauben zu wollen. Seine Arme legen sich fester um meinen Bauch und ich würde ihn gerne küssen und diese Sorgenfalte auf seiner Stirn wegwischen. Aber weil Ellen neben uns sitzt, ist mir das etwas unangenehm. So versuche ich mich von seinem Schoß zu hieven, um den letzten Kaffee zu holen, als Daniel wieder in der Küche erscheint und sagt: „Bleib sitzen, solange der Stuhl das mit sich machen lässt.“ Er grinst frech und holt sich seine Tasse.

      „Danke!“, sage ich und er beginnt sogar die Teller für die Pizzas, die in kürze geliefert werden sollen, auf den Tisch zu stellen und Besteck dazuzulegen.

      Ellen sieht ihm zu, rührt sich aber nicht und ich denke mir, sie und ihr Bruder sind von einem anderen Stern. Anders kann es nicht sein.

      Daniel zwinkert mir zu, als hätte er meine Gedanken erraten.

      „Ich gehe am Wochenende vielleicht schon mal Autofahren üben“, wirft Ellen in die Runde, während Daniel sich wieder an den Tisch setzt.

      Ich sehe sie entsetzt an. Warum muss sie das ausgerechnet hier ansprechen?

      Sie schenkt Daniel ein Lächeln und erklärt: „Welche, die auch mit uns in die Fahrschule gehen, haben außerhalb der Stadt ein großes Privatgelände und einen alten Golf, mit dem wir üben dürfen.“

      Ich bin platt, dass sie das so locker anzubringen wagt.

      Und ich bin noch viel platter als Daniel zurücklächelt und sagt: „Hm, das hört sich vernünftig an. Das wäre wirklich eine gute Möglichkeit schon mal ein bisschen Verständnis fürs Fahren zu bekommen.“

      Erik sieht mich an. „Aber wir beide üben zusammen, oder?“

      Ich will gerade nicken, als Ellen brummt: „Ja, meinst du denn, ich gehe da allein hin? Carolin kann erst da üben und dann in den Mustang steigen.“