Sabine von der Wellen

Das Vermächtnis aus der Vergangenheit


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funktioniert?“ Langsam werde ich auch lockerer und seine gute Laune steckt mich an.

      „Und wie! Umso mehr wir trinken, umso besser spielen sie“, sagt er und lacht wieder.

      „Und wie kommst du nach Hause?“, frage ich, wie mit einem erhobenen Zeigefinger.

      Es dauert einen Moment, bis Marcel antwortet. „Wenn ich hier versacke, schlafe ich in deinem Zimmer“, raunt er leise.

      Ich schlucke krampfhaft. „Ich dachte, Julian hat sich das umgebaut?“

      „Ne, noch nicht. Ich hoffe, es macht dir nichts aus?“

      „Nein, natürlich nicht. Es ist gut, wenn du dableibst. Das ist mir lieber.“

      „Ja?“, fragt er nur und ich weiß, die gute Laune ist dahin. „Würde dir das was ausmachen, wenn ich einen Unfall hätte?“

      Ich hasse das! Warum tut er das immer? Soll ich nein sagen? Verdient hätte er es. Aber das kann ich nicht. Seine Stimme hat mich wieder mal im Griff und noch immer spüre ich bei ihm etwas in meinem Herzen.

      „Natürlich! Das wäre ganz schlimm! Und darum bin ich froh, wenn du bei mir schläfst.“

      Marcel lacht auf. „Ich wäre auch froh, wenn ich bei dir schlafen dürfte.“

      „Haha!“, raune ich und weiß, er will nur die Laune wieder hochtreiben. „Okay, dann wünsche ich euch noch einen schönen Abend und das Papas heiß geliebte Mannschaft gewinnt.“

      „Danke! Wir trinken ordentlich, dann wird es schon werden. Übrigens … ich wurde als bester Spieler des Jahres gekürt. Vielleicht habe ich Glück und bekomme ein tolles Angebot und ich habe eine Anfrage von einem Verein in Osnabrück.“

      Er klingt so stolz und fast schon glücklich und ich freue mich: „Wow! Das ist ja super! Ich wusste schon immer, dass du etwas Besonderes bist.“

      „Ja?“, fragt er wieder, als würde er das in Frage stellen.

      „Natürlich! Und es würde mich riesig freuen, wenn du weiterkommst“, raune ich ein wenig niedergeschlagen, weil er alles von mir als wenig glaubhaft abtut.

      „Hm!“, macht er nachdenklich. „Gut! Willst du noch mal deinen Vater sprechen?“

      „Nein, nein. Er ist ja gut versorgt und in guten Händen. Ich wünsche euch einen schönen Abend. Mach´s gut, Marcel!“ Ich will auflegen, als er ins Telefon ruft: „Warte!“

      „Ja?“, frage ich verunsichert, was nun folgt.

      „Warte“, ruft Marcel noch mal, als wäre er wie gehetzt. Es ist einige Sekunden still in der Leitung und ich will schon fragen, was er noch auf dem Herzen hat, als er leise raunt: „Wie geht es dir? Geht es dir gut?“

      Ich schlucke wieder schwer. „Ja, danke! Alles in Ordnung.“

      „Gut! Okay! Hm, … das ist gut. Wirklich!“

      „Okay, Marcel. Wir können noch mal ein anderes Mal …“

      „Ja, bestimmt!“, höre ich Marcel resigniert sagen und werfe ein schnelles „Tschüss“ ein. Ich lege eilig auf, sonst wird das Ganze noch unangenehm. Außerdem soll er nicht das halbe Spiel verpassen, sage ich zu mir selbst. Aber Marcel zu hören, versetzt in mir immer noch etwas in eine traurige Schwingung.

      „Ach verdammt!“, knurre ich und puste die Kerzen aus. Ich gehe zum Laptop und mache die Musik aus und lösche alle Lichter. Es ist fast neun und ich hole mein Fahrschulfragenbuch hervor und gehe damit ins Schlafzimmer.

      Im Licht der kleinen Nachttischlampe und tief in Eriks Decke gekuschelt, weil ich mich in seinem Bett wohler fühle, beginne ich zu lernen.

      Aber lange kann ich mich nicht konzentrieren, da fallen mir schon die Augen das erste Mal zu und nach drei weiteren Fragen, die ich kaum noch wirklich wahrnehme, lege ich das Buch zur Seite und lasse mich in den Schlaf sinken.

      Von einem Geräusch werde ich wieder wach und lausche in die Dunkelheit hinein, als das Geräusch erneut erklingt. Es ist mein Handy, das noch irgendwo im Sofa unter der Decke begraben liegt.

      Mich aus dem Bett schiebend, schleiche ich müde durch das nur von der Straßenbeleuchtung erleuchtete Schlafzimmer zum Lichtschalter. Als ich ihn andrücke, blendet mich das grelle Licht der Deckenlampe, die ihre fünfundzwanzig Watt über Nacht in hundert Watt umgewandelt haben muss und laufe zu dem nicht ruhe gebenden Handy. Als ich es endlich in der Hand halte, sehe ich auf das Display und es zeigt Erik an. In dem Moment verstummt es, beginnt aber im nächsten Augenblick wieder nervtötend durch die Wohnung zu hallen.

      Ich nehme ab, ein: „Ja!“, raunend.

      „Hey, Schatz! Ich dachte schon, du wärst gar nicht zu Hause“, höre ich Erik ungehalten sagen.

      „Natürlich bin ich zu Hause. Ich habe schon geschlafen“, sage ich leise und noch völlig benommen.

      „Ich wollte nur hören, ob bei dir alles in Ordnung ist. Aber wenn du schon geschlafen hast …“

      „Ja“, raune ich nur. „Bei mir ist alles okay. Und bei dir?“

      Erik scheint überrascht zu sein, dass ich das frage. „Sicher, bei mir auch. Ich komme dann auch bald.“

      „Okay, bis dann“, raune ich müde und frage mich, warum er überhaupt angerufen hat.

      „Bis bald, Schatz. Dann schlaf schön weiter.“

      Ich lege auf, weil mich ein wenig der Unmut darüber packt, dass er mich aus dem Schlaf geklingelt hat. Bestimmt kann ich jetzt gar nicht wieder einschlafen.

      War das ein Kontrollanruf?

      Ich gehe zur Toilette und danach in die Küche, um etwas zu trinken und zu meinem Erstaunen sagt mir ein Blick zur Küchenuhr, dass es schon nach eins ist. Erik hat es heute aber besonders vor, wenn er noch länger weiterzaubern will und ich spüre auch darüber einen leichten Unmut aufkeimen. Aber das unterdrücke ich sofort wieder, weil ich mich freuen sollte, wenn er auch noch andere Freunde als die Maasmännchen hat. Und so ein Wiedersehen nach langer Zeit und vielen alten Geschichten aufleben lassen … da vergeht schon mal einige Zeit.

      Ich gehe ins Bett zurück, nachdem ich ein Glas Milch getrunken habe und mir fällt der Tag wieder ein, an dem Ellen mich von der Arbeit abgeholt hat und in diese Bar schleppte. Plötzlich waren Daniel und Erik auch aufgetaucht, und dieser Pulk alte Bekannter, mit denen er sich dann an den Tisch gesetzt hatte. Sie freuten sich wirklich, ihn zu sehen, obwohl sie etwas davon sagten, dass sie ihn ab einem bestimmten Punkt aus den Augen verloren hatten. Ich fragte mich damals, ob es die Psychiatrie gewesen war oder der Knast, was ihn aus der Klassengemeinschaft gerissen hatte. Aber ich fragte ihn nie danach.

      Als ich gehen wollte, musste ich meine Tasche von seinem Tisch holen, die Ellen dort platziert hatte und er sah mich nur mit diesem unsicheren Blick an, der mir damals ans Herz ging. Als ich dann ging, war er plötzlich hinter mir gewesen und fragte mich, ob er mich zum Bahnhof bringen dürfe. Und er hatte sich darüber lustig gemacht, dass ich den falschen Weg eingeschlagen hätte, wenn er mir nicht gefolgt wäre. Das war unser erneuter Anfang gewesen.

      Wie zu erwarten war, kann ich nicht mehr einschlafen und nehme mir wieder das Fragenbuch vor. Aber ich kann mich nicht konzentrieren, weil meine Gedanken immer wieder zu Erik schwenken und ich diese leichte Unruhe nicht unterdrücken kann, die mir vermitteln will, dass ich ihm nicht ganz vertraue. Noch immer habe ich das schreckliche Gefühl, er könnte in sein altes Muster verfallen und sich mit einem Mädel einlassen. Und das ist etwas, was tief in mir nagt, seit ich gesehen habe, wie schnell und einfach er sich auf Michaela eingelassen hatte. Das war für mich wie ein Schlag in den Magen gewesen, obwohl ich mit Marcel zusammen war, und Erik und mich da noch nichts verband, außer ein paar SMSen, Telefongespräche und so mal ein paar Worte.

      Mir wird klar, dass ich damals schon eifersüchtig auf jede war, die ihm zu nahekam. Unglaublich! Eigentlich war ich ihm da schon verfallen gewesen und wusste das nicht mal. Gibt es ein unsichtbares Band, das zwei Menschen verbindet und zueinander zieht, bis sie