Sabine von der Wellen

Das Vermächtnis aus der Vergangenheit


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weiß es nicht! Aber er hat das so komisch geschrieben und ich war bewusstlos und sie haben Tim trotzdem zu mir gelassen.“

      Erneut schlägt die unglaubliche Fassungslosigkeit über mich hinweg und abermals kommen mir deshalb die Tränen.

      „Was sagt Erik?“, fragt Ellen entsetzt und legt wieder ihre Arme um mich.

      „Nichts! Das Tim mir nichts getan hat und ich mir keine Sorgen machen soll. Er ist so komisch. Er würde mich lieben … egal was passiert und was man mit mir anstellt. Das hat er echt gesagt, wo er sonst nicht mal ertragen kann, wenn ich mit jemandem telefoniere.“

      Eine Zeit lang scheint Ellen meine Worte wirken zu lassen, bis sie raunt: „Er hat Angst, dass du ihm wieder nichts sagst, wenn dir etwas zustößt. So wie beim letzten Mal, als Tim dich überfallen hat.“

      Ich löse mich aus ihrer Umarmung und sehe sie an. Natürlich, das wird es sein.

      „Aber egal!“, meint Ellen abwinkend. „Du verhütest doch noch? So ganz vorschriftsmäßig, meine ich.“

      „Warum?“, frage ich sie, nicke aber.

      „Und deine Pille ist auch noch deine Pille? Hast du das gecheckt? Es bringt ihnen nichts, dir Tim auf den Hals zu schicken und du verhütest“, murrt sie leise.

      „Nein, ich nehme die Pille nicht mehr. Ich habe mir eine Dreimonatsspritze geben lassen. Da brauche ich die Pille nicht mehr.“

      „Eine was?“

      Ich erkläre ihr, wie die Spritze wirkt und sie nickt. „Hauptsache du verhütest. Aber Tim kann ja auch nicht wissen, wann du deine Pille nehmen musst und wann du deine Tage hast.“

      Ich sehe sie betroffen an. „Das weiß Tim schon. Er weiß zwei Daten, wo ich meine Tage hatte und damit könnte er schon meinen ganzen Zyklus herausfinden. Ein Wochenende früher hätten sie mich nicht entführen brauchen. Aber dieses Wochenende war eigentlich auch denkbar schlecht zum Schwanger werden. Von daher!“, antworte ich und eine Hoffnung schleicht durch meine Adern, dass sie doch nicht zuließen, was ich befürchte.

      Es klingelt und ich wische mir durchs Gesicht. „Du hast recht. Den Al Kimiys hätte es nichts gebracht, wenn Tim über mich hergefallen wäre.“

      Ich bin etwas beruhigter und habe nicht mehr das Gefühl, dass Tim auf alle Fälle die Gunst der Stunde nutzen durfte. Sofort geht es mir etwas besser und ich kann in der Klasse schon Sabine und Andrea ein Lächeln schenken, als sie erneut meinen Brief an Erik versuchen zu rekonstruieren, was ihnen nur misslich gelingt. Erik konnte das weitaus besser.

      Am Nachmittag fahren wir wieder mit dem Bus zur Fahrschule. Erwarteter Weise sehen uns die Mitstreiter von Dienstag zurückhaltend entgegen.

      Aber zu meiner Überraschung verschwinden Nina und Sarah sofort in das Gebäude, bevor wir sie erreichen können. Auch sie erliegen scheinbar der Ansicht, dass Erik mit seinem Auftreten, seinem Äußeren und seinem Zuhälterschlitten in die Kategorie fällt, dass brave Mädchen die Flucht ergreifen sollten.

      Dafür schenkt mir ein Mädchen mit schwarzen Stumpfhosen, Springerstiefeln, schwarz gefärbten Haaren, etlichen Klimbim im Gesicht und dunkler Kriegsbemalung ein Lächeln. Und auch die jungen Männer, denen wir vorher nicht aufgefallen waren, sehen mich und Ellen mit anderen Augen an.

      Es muss schon etwas an uns dran sein, wenn solche Typen hier auflaufen und uns ziemlich theatralisch abholen.

      Ich kann nur den Kopf deswegen schütteln. Es ist für mich immer noch nicht leicht ertragbar, dass Erik mich wieder einmal in ein Licht gerückt hat, das eigentlich nicht meins ist. Aber ich weiß mittlerweile, ich liebe ihn auch damit. Und würde er irgendetwas ändern wollen … den Mustang gegen einen Audi eintauschen oder seine Muskeln auf die eines Nerds verkümmern lassen … ich wollte es nicht. So wie er ist, will ich ihn auch haben. Mit all seinen Facetten. Und dass er seine Locken wieder etwas wachsen lässt, ist für mich das einzige, was ich gerne als Änderung hinnehme.

      „Komm! Gehen wir rein!“, meint Ellen, der diese zweigeteilte Aufmerksamkeit auch nicht entgangen ist.

      „Hallo!“, höre ich hinter mir Werner rufen und er drängt sich an zwei Kerlen vorbei, die mit coolem Gehabe Aufmerksamkeit erhaschen wollten. Sie sehen Werner fassungslos an, weil er einfach auf uns zusteuert und uns begrüßt.

      „Hi!“, antworte ich ihm und schenke ihm ein Lächeln.

      Mit einem Blick auf Ellen stelle ich mit Befriedigung fest, dass sie heute wenigstens nicht unfreundlich guckt.

      „Und bereit? Halbzeit! Noch mal so viel und ich fange mit meiner ersten Fahrstunde an“, erklärt Werner mit leuchtenden Augen. „Ich übe schon etwas auf den Feldwegen bei meinem Opa. Ich denke, dass ich den Führerschein schnell in der Tasche habe.“

      „Üben … das sollten wir vorher vielleicht auch mal“, sage ich zu Ellen und sie nickt mit diesem ängstlichen Flackern in den Augen.

      Werner lacht auf. „Auf was willst du üben? Auf dem Mustang von deinem Freund? Den zerlegst du doch in Nullkommanix. Die Pferde gehen mit dir schneller durch, als dass du bis zehn zählen kannst.“

      Ich sehe ihn aufgebracht an, weil er mir die Worte eher abfällig entgegenspukte.

      Ellen schaltet sich ein. „Dann nehmen wir halt den BMW.“

      „Ja! Klar! Als wenn der für Anfänger besser wäre. Mein Opa hat einen alten Golf. An dem kann nichts mehr kaputtgehen und der fährt sich sanft wie ein Kinderwagen. Mit dem ist Autofahren gar kein Problem.“

      Den Kopf etwas schief legend, sieht er mich an. „Wenn ihr wollt, nehme ich euch am Wochenende mit zu meinem Opa und ihr könnt auch üben. Dort gibt es viele private Wege, wo uns keiner krumm kommt, wenn wir ohne Führerschein herumfahren. Und auf dem Hof geht’s dann ans Einparken. Das klappt bei mir schon echt super! Und somit hat man seinen Führerschein echt billig und im Handumdrehen.“

      Ich sehe Ellen an und sie mich. Das ist ein Angebot. Zumal ich für meinen Teil nicht möchte, dass mein Führerschein teuer wird. Das wäre wie ein Zeugnis für Dummheit und Unfähigkeit. Damit möchte ich Eriks Eltern nicht gerade aufwarten. Da Ellen nichts sagt, erwidere ich nur unsicher: „Mal schauen.“

      Da der Vorplatz mittlerweile wie leergefegt ist, gehen wir in das Gebäude und durch den Gang zum Unterrichtsraum. Heute ist nicht viel los und Ellen murrt nicht, als Werner uns einen Platz weiterschiebt, um neben mir Platz zu haben.

      Zu meiner Überraschung ist sie es auch, die Werner am Ende der Stunde ihre Telefonnummer gibt. Er ist etwas verwirrt darüber und ich nicht weniger.

      „Wegen dem Üben! Das wäre keine schlechte Idee. Du kannst mich anrufen, wenn du das nächste Mal zu deinem Opa fahren willst“, sagt sie leichthin und mir fällt fast die Kinnlade runter.

      „Klar, mache ich“, sagt Werner, wirft seine langen Stirnhaare etwas zurück und grinst verschwörerisch. „Und zu keinem ein Wort. Eure BMW und Mustangfahrer werden bestimmt nicht glücklich sein, wenn ihr auf einem Golf üben wollt.“

      Ellen grinst und nickt zustimmend.

      Ich bin einfach nur sprachlos und als wir zum Bus gehen, frage ich bestürzt: „Du willst wirklich mit ihm üben?“

      Ellens Gesichtsausdruck schlägt um und sie sieht mich unglücklich an. „Ich habe so viel Schiss, das glaubst du gar nicht. Und wenn ich mich richtig blamiere, macht das bestimmt gleich die Runde. So viele Leute kennen meine Eltern und mich … und dann sagen alle, ich bin zu blöd zum Autofahren.“

      Dass Ellen immer unter einem selbsterdachten Leistungsdruck steht, war mir schon klar. Aber dass sie sogar zu solchen Maßnahmen greift!

      „Ich bin mir sicher, Daniel übt auch mit dir. Und Erik auch“, sage ich und wir steigen in den Bus ein, der neben uns hält. Als wir uns in einen Sitz fallen lassen, murrt sie: „Die sollen auch nicht wissen, wie blöd ich mich anstelle. Und du hast doch gehört! Die haben gar nicht die richtigen Autos zum Üben.“

      Nun