Rainer Seuring

Eringus - Freddoris magische Eiszeit


Скачать книгу

      „Ich finde nichts. Ich finde einfach nichts.“, murmelt er vor sich hin.

      Bruder Urban ist ernsthaft geneigt, die verbotene Schrift in die Ecke zu werfen. Trotz intensivster Bemühungen ist es ihm nicht gelungen, genaueres über die Prophezeiung zu finden. Die Texte davor und danach beziehen sich auf andere Aussagen. Die ganze Rolle hat er gelesen und gelesen, überdacht und gelesen. Nichts. Kurzzeitig war er geneigt, einen späteren Text als mögliche Erklärung zu deuten. >Erst wenn eines zu Ende kommt, wird das Neue beginnen.<, hieß es da. Doch das konnte sich durchaus auch auf eine Stelle dazwischen beziehen. Es war nicht unlogisch. Andererseits, wenn man so wollte, konnte es auch bedeuten dass der Winter zurückkommen würde.

      Diese Überlegung hat er aber dann doch wieder verworfen. Selbst wenn er den Abt von seiner Auslegung überzeugen könnte, wäre dies nur ein Aufschub des Problems. Und was, wäre die Vermutung falsch? Andererseits hätte die Wahrheit dieser Aussage dann eine fürchterliche Wirkung. Saatgut - erfroren, Obstblüte – erfroren. Keine Vegetation, kein Gott weiß was noch alles. Oh Gott, warum musste er diese Prophezeiung entdecken?

      „Ich finde nichts, Bruder Abt. Es ist nur diese kurze Zeile vorhanden. Kurz vor dem Ende der Schrift steht noch diese Zeile hier. Wenn ihr mal schauen wollt?“

      Fast schon hoffnungsfroh tritt Laurentz mit etwas beschleunigtem Schritt an das Pult und besieht sich den kurzen Text. Enttäuscht meint er dann: „Solch ein allgemeiner Schwachsinn sagt doch nichts aus. Das kann hierhin passen oder hierhin.“ Dabei deutet er auf verschiedene Stellen in der Rolle.

      „Oder es passt überall hin.“, wagt Urban den Einwand.

      „Selbstverständlich passt das überall. Deswegen kann man nicht sagen, dass es auch für unseren Text gilt.“ Das auch hat er besonders betont.

      „So bleibt nur die Hoffnung, dass den Zwergen größere Weisheit geschenkt wurde.“

      * * * * *

      Fast überfallartig empfängt Urban den Zwerg Wilbalt.

      „Hast du etwas gefunden? Steht bei euch Näheres über den Beginn?“

      „Aber rein kommen darf ich doch noch oder?“, versucht der Zwerg zu scherzen.

      „Entschuldige. Ja, natürlich. Doch versteh meine Lage. Bruder Abt drängt auf Klärung. Das Erntegut droht zu verrotten. Entweder es wird jetzt bald wieder Winter oder …“ Den Rest der Möglichkeit lässt Urban unerwähnt.

      „Beruhige dich, mein Lieber. Wenn es gar zu schlimm wird, flüchtest du zu uns Zwergen.“

      „Da wird mich der Abt doch zu allererst suchen.“, jammert der Mönch.

      „Ganz bestimmt sogar. Doch wird er dich nicht bekommen. So einfach ist das. Natürlich haben wir keinen Fehler gemacht, wir haben immer darauf hingewiesen, dass es so passieren könnte, wenn man der Schrift Glauben schenken will. König Sigurd hat zugestimmt und wird mir nun deswegen nicht den Kopf abreißen. Andererseits ist meine Weissagung von dem großen Gilbret Steinschleifer. All seine Prophezeiungen sind getreulich eingetroffen. Ich glaube nicht, dass wir falsch liegen.“

      „Du Glücklicher.“

      „Das wird schon. Doch nun zu deiner Frage, mit der du mich empfangen hast. Die Antwort lautet: Ja und Nein.“

      Merkwürdig bekannt kommt Urban dies vor. Fragend blickt er den Zwergen an.

      „Nein, weil zu dieser Weissagung keine weitere Aussage getroffen ist. Sie steht ohne Weiteres da. Das Ja aber bedeutet, dass ich eine zweite Vorhersage gefunden habe. Sie muss nicht unbedingt zu dem von uns erwarteten kalten Winter gehören, wäre aber möglich.“

      „Was besagt sie?“, will Urban gespannt wissen.

      „Sie stammt aus dem Buch der ungelösten Sprüche. Sie lautet:

      Das Kind schläft lang und kurz danach

      wird der Großkönig im langen Winter wach“

      Voller Spannung sieht Wilbalt Urban an.

      „Na, was sagst du?“

      „Nichts.“ Der Mönch kann den Gedankengängen seines Gegenübers nicht folgen.

      „Also für mich bedeutet das viel. So viel, dass ich es meinem König nur ganz vorsichtig sagen kann.“

      „Wieso?“

      „Verstehst du nicht? Wenn der lange Winter da ist, kommt ein neuer Großkönig und König Sigurd ist entmachtet. Welchem König behagt das schon? Hinzu kommt, dass ich glaube, den neuen Großkönig zu kennen.“

      „Das ist wahrlich schlimm, für den König und auch für dich. Und was hat das mit dem Winter jetzt zu tun?“

      „Wenn der Winter nochmal zurück kommt haben wir doch einen langen Winter, oder?“

      „Ja, wenn.“, konstatiert Urban enttäuscht.

      Das war wohl nichts.

      Ein großer Verlust

      Die Dämmerung beginnt, als ein Handelszug mit fünf schweren Ochsenwagen vor Magdas Herberge halt macht. Durch die offene Tür hat die Hausherrin dies bemerkt.

      „Jungs, Arbeit und Lohn kommt auf uns zu.“, ruft Magda, die kleine Methildis auf dem Arm. Auf der Stelle erscheint Odo, ihr ältester 18jähriger Sohn, und übernimmt seine kleine Schwester, diese in die Kammer zu bringen. „Gute Nacht, mein Schatz, für dich wird es sowieso jetzt Zeit zu schlafen.“ Dabei küsst sie ihr Jüngstes auf die Stirn unter den von Natur aus lockigen Haaren. Rudwin, der 20 Atemzüge jünger ist als Odo und Magnus und Markward, das zweite Zwillingspärchen, bleiben bei ihrer Mutter stehen und harren der Dinge, die da kommen. Markward, der jüngste Junge, weil wenige Augenblicke nach Magnus geboren, hat Magdas Kampfstock mit gebracht und ihn ihr gereicht.

      Auf sie zu kommt ein kräftiger, etwa 40jähriger Mann, vornehm, fast fürstlich gekleidet. Das dunkle Haar wird langsam grau, doch Brauen und Backenbart zeigen noch kein graues Härchen. Die blaugrünen Augen blicken streng und befehlsgewohnt. Die großen Hände an den starken Armen sind zupacken gewohnt. Im Moment hält die Rechte einen Wanderstock mit dickem Knauf. Unter der Tunika ist kein Bauch zu erkennen. Mit langen Beinen in dicken schwarzen Hosen erreicht der Mann eine Größe von gut fünf und einen halben Fuß. Sein Blick schweift durch die Gaststube. Mit Verwunderung nimmt er zur Kenntnis, dass hier Tische und Bänke in drei verschiedenen Größen vorhanden sind. Im Hintergrund findet sich der große Schanktisch, auf dem große Fässer ruhen. Verschieden große Trinkgefäße warten daneben darauf, gefüllt zu werden. Dickbauchige Kannen beinhalten sicherlich leckeren Wein. Daneben führt eine Tür in dahinter liegende weitere Räume und auch auf der linken Seite sind drei Türen. Wahrscheinlich sind dort die Schlafkammern für die Gäste.

      Mit kratzig dunkler Stimme herrscht er Magda an: „Ich brauche eine Kammer für mich für diese Nacht und ein ordentliches Mahl. Meine Leute können im Stall schlafen und, falls vorhanden, könnt ihr ihnen einen Kanten altes Fladenbrot geben. Die brauchen nicht viel und kosten mehr, als sie leisten. Wasser können sie sich aus dem Brunnen holen.“ Bei diesen Worten baut er sich vor Magda breit auf und stützt dabei seine Hände auf den dicken Stockknauf.

      Ungerührt von diesem Ton erwidert Magda freundlich. „Auch Euch wünsche ich einen guten Abend, Herr.“ Dann wird ihre Sprache zunehmend bestimmter: „Wie ihr mit eurem Gesinde umgeht, überlass ich getrost euch, doch mir und meinen Söhnen gegenüber benehmt euch gefälligst freundlich und respektvoll. Andernfalls könnt ihr euch umdrehen und gleich wieder diese Herberge verlassen. Es wird sich dann keine Kammer für euch finden.“

      Im Gesicht des Händlers rührt sich kein Muskel. Ausgiebig mustert er die Frau und ihre Söhne. Rechts außen steht Markward, links außen Magnus, die 15jährigen Zwillinge. Gleich neben der Mutter haben