Rainer Seuring

Eringus - Freddoris magische Eiszeit


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dem damals verletzten Krieger einfach in den Arm gedrückt, zum Schutze anvertraut. Es war nie ein Geheimnis für den Knaben, dass er einen Ziehvater hat.

      „Ich weiß. Man kann es sehen. Und?

      Du meinst, der Frühling des Jahres 620 muss nach dem kurzen Winter die Gefühle umso höher wallen lassen?“

      Der junge Zwerg überhört die Lästerung seines Ziehvaters. „Ich will mich der Prinzessin Carissima erklären und weiß nicht wie.“

      „Das schlag dir einfach aus dem Kopf und das Problem ist gelöst.“ Fast leidenschaftslos gibt Dankwart diesen Rat und verblüfft Anschild völlig.

      „Was? Wieso? Äh, warum aus dem Kopf schlagen?“ Ein unbegreiflicher Rat für einen Verliebten.

      „Sie ist die Tochter des Großmächtigen, darum.“ In dieser Erklärung ist für Dankwart alles enthalten, was der Begründung dient. Doch damit weckt er natürlich den Widerstand seines Ziehsohnes.

      „Pah, Großmächtiger. Den Titel hat er sich angeeignet. Der gebührt nur demjenigen, der über eine Vereinigung von Königen herrscht..“

      „Die es aber zurzeit nicht gibt, denn es gibt nur noch einen König und ein Zwergenreich.“, fällt ihm Dankwart ins Wort. „Ich halte es für zulässig, dass er diesen Titel führt und bin mir sicher, er gibt ihn ab, wenn ein anderes Volk mit einem eigenen König erscheint.“

      „Sind wir nicht ein eigenes Volk, wir Zwerge aus Kleyberch? Warum haben wir keinen König?“, bohrt Anschild hartnäckig nach.

      „Ein Volk? Ein eigener König? So ganz ohne Königreich? Was hast du für Ideen? Wir sind eine Ansammlung von Zwergen verschiedenster Herkunft aus einem ehemaligen kleinen Vorposten des Königreiches des verstorbenen Großkönigs Manegold Schmiedehammer. Und selbst wenn, so wärest du sicher nicht der Prinz. Nein, nein, vergiss es. Sie ist eine Prinzessin und was bist du?“

      „Wie soll ich wissen, was ich bin, wenn ich nicht einmal weiß, wer ich bin.“ Das ist ein Schlag in eine schwärende Wunde des jungen Zwerges. Seine unbekannte Herkunft plagt ihn sehr. „So behaupte ich ab sofort, ich bin der jüngste Sohn des letzten Großkönigs. Du selbst hast die Rüstung des Kriegers, der mich dir übergab, nicht erkannt. Wer will mir das Gegenteil beweisen?“

      „Und wie willst du es beweisen? Wie willst du vor dem Gelöbnis deine Verwandtschaften belegen. Du darfst sie nur heiraten wenn klar ist, dass ihr nicht blutsverwandt seid. Das solltest du wissen.“

      Betroffen blickt Anschild auf seine Füße, die in bequemen Holzschuhen stecken. An diese Vorschrift der Zwerge vor dem Gelöbnis hat er nicht gedacht.

      „Das kann ich nicht.“, gibt er kleinlaut zu. Da fällt ihm ein: „Von euch ist doch auch nicht einer mit den Zwergen hier verwandt. Warum sollte ich es dann sein?“

      „Weil du im Grunde kein Kleybercher bist. Bedenke, warum ich dich so benannt habe. Als Kind bist du Teil unserer Gemeinschaft geworden. Und darin liegt auch dein nächster Denkfehler. Wärest du tatsächlich ein Sohn des letzten Großkönigs, Manegold Schmiedehammer, so wäre es durchaus denkbar, dass du mit der Prinzessin verwandt bist. Noch ein Einfall?“

      Mit hängenden Schultern steht er vor Dankwart. „Nein, im Moment leider nicht.“, antwortet er betrübt. „Aber ich gebe nicht auf.“, fährt er mit aufflammendem Trotz fort. „Ich werde einen Weg finden. Ich muss, denn sie ist die Einzige, die mir gefällt.“

      „Ich weiß, dazu kommt: Sie ist die Einzige, in deinem Alter. Für dich gibt es hier kein anderes Mädchen. Es sei denn, du würdest dich den Menschenmädchen zuwenden.“

      „Danke, nein, davon hab ich nichts. Fänd ich wirklich eine, die ich lieben könnte, hätte ich nicht viel davon, weil sie sehr viel früher sterben würde, als ich. Dann hätte ich vielleicht am Ende drei oder vier Frauen gehabt. Das ist nichts für mich.“

      * * * * *

      Ja, das ist tatsächlich ein Problem. Für alle Kleybercher Zwerge hat sich im Laufe der Zeit ein Lebenspartner gefunden. Die neu gefundenen Zwerge waren sämtlich im heiratsfähigen Alter. Keiner zu alt oder zu jung. Ausgenommen Anschild.

      Auf der anderen Seite sieht allerdings auch Carissima dies als ein Problem an. Rein standesmäßig hat sie nicht die Probleme, die Anschild behindern. Sie kann einen Bund mit einem von niedrigerem Stande eingehen. Dass ihre Eltern, Sigurd und Hemma, damit nicht unbedingt glücklich wären, ist keine Frage. Wen aber sonst sollte sie zum Gemahl nehmen? Rein altersmäßig gibt es nur Anschild. Denkt sie an den jungen Zwerg, wird ihr ganz warm ums Herz und ein seltsames Gefühl durchströmt ihren Körper. Er sieht aber auch gut aus. Breite Schultern mit Armen wie eine Keule. Dazwischen ein Nacken, der jedem Stier zur Ehre gereicht hätte. Die muskulöse Brust wird durch die schmale Taille deutlich betont. Die strahlenden grünen Augen, die wallende hellblonde Mähne ungebändigter Haare, die sanften Lippen und der Bart erst, scharf am Kieferknochen abgesetzt zieht sich ein nur fingerbreiter Streifen vor bis zum Kinn, wo die Vereinigung mit dem Oberlippenbart dann einen Kinnbart ergibt, welcher sich bis hinab zur Brust wellt. Carissima kann sich sehr gut vorstellen, ausgiebig in diesem Bart zu kraulen.

      So oft es geht versucht sie, Anschild nah zu kommen. Natürlich so, dass es nicht auffällt, wie sie meint, denn auch sie darf nicht ganz offen her gehen und sagen: Ich will dich zum Mann. Diese Blöße will sie sich und ihrer Familie nicht geben. Schade, dass Großmutter Melisande vorletzten Winter verstorben ist. Sicher hätte die sie verstanden und einen guten Rat gehabt. Nun hoffte Carissima, dass ihr Plan, den sie sich zurecht gelegt hat, auch funktioniert.

      „Väterchen!“, ruft sie, als sie zu König Sigurd in den Garten geht.

      „Aha, mein Töchterchen hat was auf dem Herzen.“, stellt der geübte Vater fest. „Was darf ich dir denn Gutes tun, mein Kind?“ Sigurds langer Zopf, der in der Mitte des kahlen Hauptes mit Bändern hochgehalten wird und danach stramm geflochten auf Po-Höhe wieder in einer Spitze nach oben strebt, schwingt heftig mit, als er sich Carissima zuwendet. Der lange weißblonde Bart ist nach alter Gewohnheit unter dem Gürtel eingeklemmt und verdeckt ein wenig den fülligen Bauch.

      „Alle waren schon mal in Kleyberch gewesen. Ich möchte da auch mal hin.“

      „Alle waren noch nicht dort; das weißt du. Deine Mutter zum Beispiel oder Rombold Steinschloß. Und was willst du da? Da gibt es nichts mehr zu erforschen. Alles schon gesehen.“

      „Mag ja sein, aber ich habe noch nichts gesehen. Ich hab keine Vorstellung, wie die dort gelebt haben. Gut, man hat mir einiges erzählt, aber das ist nicht dasselbe, als wenn ich es mit eigenen Augen gesehen habe. Außerdem kannst du dir nicht sicher sein, dass es dort nichts mehr zu finden gibt. Denk nur dran: Die Kleybercher haben zehn Jahre dort gelebt und die Bücher nicht gefunden. Die sind erst aufgetaucht, als unsere Männer dort waren. Vielleicht braucht es ja noch eine hübsche junge Prinzessin, damit ein kleines Wunder geschieht.“ Sie bedenkt ihren Vater mit dem betörendsten Lächeln, dessen sie fähig ist.

      Sigurd kennt seine Tochter und will ihr gar nicht den Wunsch verwehren, doch noch ein klein wenig spielen und sich zieren, das möchte ihm jetzt noch Vergnügen bereiten. „Ach was! Und du meinst, du seist die hübsche junge Prinzessin? Nun ja,“, dabei betrachtet er sie von oben bis unten, „ in gewisser Weise mag das ja hin kommen.“

      „Vater!“, empört sich Carissima über des Königs Beurteilung.

      „Vielleicht auch ein bisschen mehr.“, grinst Sigurd. „Und was gedenkt die Prinzessin dorten zu finden? Einen Geist, ein Ungeheuer oder einen Gatten, was ja durchaus manchmal auf das gleiche hinaus kommt.“

      Erneut protestiert Carissima: „Vater!“, doch gleichzeitig hat sie auch gemerkt, schon längst die Zustimmung zu haben. Deswegen treibt sie das Spiel denn auch auf die Spitze.

      „Geist und Ungeheuer steht schon vor mir. Ein Gemahl wäre tatsächlich ein Schatz, den man sich mitnehmen könnte.“, lacht sie.

      „Aber