Rainer Seuring

Eringus - Freddoris magische Eiszeit


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habe den Pfeil, Großmutter. Was ist damit?“

      „Pfeil? Ach ja. Schon einmal gab ich einen Pfeil, dies Weib zu töten, deren Namen auszusprechen mir ein Gräuel ist. Aber ach, keine Kunde kam zu mir, die mich erfreut hätte. So musst du meinen letzten Willen erfüllen.“

      Zu dem Rasseln in der Lunge kommt nun auch noch vor Erregung ein Pfeifen beim Atmen dazu. Der folgende Husten fördert neben Eiter jetzt auch schon hellrotes Blut hervor, das aus den Mundwinkeln läuft. Eiligst nimmt die junge Frau das nächstbeste Tuch, den Mund abzuwischen. Es ist schon lange nicht mehr sauber und angewidert wischt sie ihre Hand am Bettzeug ab.

      „Du musst dies Weib für mich töten, sonst find ich im Tode keine Ruhe. Du musst es für mich tun. Versprich es mir.“

      Das Flüstern ist deutlich drängend und fordernd.

      „Aber Großmutter!“, versucht die junge Frau zu widersprechen, doch schon wieder wird die Alte vom Husten schier zerrissen. Mehr Blut kommt hervor, das nicht mehr weg gewischt wird. Es macht das eingefallene Gesicht zu einer widerlichen hässlichen Fratze.

      „Du musst, versprich es!“

      Mit aller Kraft, die noch im Körper steckt, sind diese Worte fast verzweifelt geschrien worden. Zumindest lag der Versuch dahinter. Die Schwäche und die fehlende Luft in der Lunge bringt aber nur ein drängendes halblautes Gurgeln hervor.

      „Ich verspreche es, ich verspreche es.“, beschwichtigt die Enkelin. Völlig überfordert und verängstigt willigt sie ein. Es ist das erste Mal, dass sie beim Sterben eines alten Menschen dabei ist.

      Noch ein kurzes Aufbäumen im letzten Husten und leblos fällt der Körper auf das Lager zurück. Das Gesicht im Krampf erstarrt, die Augen weit aufgerissen. Augenblicklich stürmt die Magd in das Zimmer, auch wenn man sie nicht gerufen hat. Nach kurzem Blick auf die Verstorbene zieht sie die oberste Decke über deren Gesicht, dessen weiteren Anblick der jungen Frau zu ersparen.

      „Kommt, junge Herrin. Hier ist nichts mehr für euch zu tun. Eure Großmutter lebt nicht mehr.“

      Es ist überaus schockierend, die letzten Momente der Großmutter und deren Todeskampf miterleben zu müssen. Bis ins Mark getroffen ist die Enkelin. Willig, weil immer noch in den letzten Augenblicken verhangen, lässt sich die junge Frau hinaus führen. Selbst als sie schon wieder auf ihrem Pferd sitzt, hallen noch die fordernden Worte der Großmutter in ihr nach: „Du musst …“

      * * * * *

      In dem darauf folgenden Frühjahr muss Beata feststellen, dass ihre Platzwahl für den Bau eines Hauses falsch ist. Das Schmelzwasser überspült weite Teile der Bule. Zusammen mit den Halblingen von Erlenbusch und den Zwergen trifft sie entsprechende Vorsorge, im nächsten Hochwasser nicht zu ersaufen.

      Keiner kann zu dieser Zeit irgendwelche Geschehnisse mit jener schwarzen Gestalt in Verbindung bringen, die, noch weit im Osten, die Arme gen Himmel erhebt, um Eis und Schnee zu beschwören und sich dann gemächlich auf den Weg ins Chynzychtal macht. Die Zwerge sollen unendlich leiden dafür, dass sie sich anmaßten, ihm und seinen Genossen Einhalt geboten zu haben. Dieses Mal würde ihnen ihr Gott nicht helfen können. Er würde gar fürchterliche Rache nehmen und dabei seine tiefsten Gelüste befriedigen.

      Beata

      Beata ist in diesem Winter 18 Jahre alt geworden. Ihre körperliche Entwicklung verlief zunächst deutlich schneller, als bei normalen Menschen. Sie war ihrem Alter weit voraus, wenn man so sagen darf. Kaum dass sie ein Jahr alt war, konnte sie bereits laufen und sprechen und verfügte über einen über die Maßen wachen und verständigen Geist. Schon mit zwölf sah sie so aus, wie heute, eine sehr ansehnliche junge Frau. Seitdem scheint ihr Körper sich nicht weiter verändern zu wollen.

      Sie ist fünf Fuß und eine Handspanne groß. Ihr Haar ist am Ansatz nachtschwarz, wird zu den Spitzen hin flammend rot und fällt halblang, ohne jegliche Welle darin, auf die Schulter. Es wächst nur noch sehr langsam, fast zwergisch langsam. Beata hat es zu einem Pferdeschwanz zusammen gefasst. Unter den schmalen Brauen blicken rehbraune Augen, an einer langen und dünnen Nase vorbei, äußerst aufmerksam ins Leben. Ebenmäßige Zähne hinter vollen Lippen strahlen bei jedem Lächeln aus dem schlanken, oval gestreckten Gesicht. Anders als ihre Mutter in diesem Alter ist Beata mehr als ausgiebig gerundet an Busen und Po, mit einer wespenartigen Taille. Trotzdem macht der körperliche Gesamteindruck deutlich, dass diese junge Frau vor Kraft nur so strotzt. Sie wiegt etwa 150 Pfund, doch ist man geneigt, sie leichter einzuschätzen. Ihre Stimme ist warm, mit einem leicht dunklen Ton.

      Nachdem Beata von ihrer Zwergenamme entwöhnt war, lebte sie mit ihren Eltern auf dem kleinen Gut nahe Hosti. Mit großer Vorliebe war sie mit ihrer Mutter zusammen und beobachtete, was und wie diese etwas verrichtete. Schnell hatte sie erkannt, dass ihre Mutter mit ihren vielfältigeren Aufgaben ihr mehr zeigen konnte, als Karl. In der Regel dauerte es dann nicht lange und sie vollführte in kindlicher Weise spielerisch vergleichbare Tätigkeiten. Frieder half ihr ein wenig dabei und fertigte beispielsweise kleine Strohpüppchen und hölzerne Gerätschaften, mit denen Beata dann ihre Mutter nachahmte. Mit einem kleinen Hämmerchen schlug sie ebenso kleine Pfähle in die Erde, umspannte diese mit Gräsern und setzte in diese so geschaffenen Weiden Steine, die ihre Rinder oder Pferde darstellten. Für die Huteschweine, ebenfalls Steinchen, steckte sie kleine, noch mit Blättern behaftete Äste als Wald in den Boden. Was sie nach der Geburt ihrer Brüder Odo und Rudwin lernte, übte sie mit den Püppchen und konnte mit nicht einmal fünf Jahren bei der Versorgung ihrer weiteren Brüder Magnus und Markward das Geübte wohl anwenden.

      Nach der Schneeschmelze im Jahre 606 erlaubte Magda Beata, zu den Zwergen zu gehen, um dort weiter zu lernen. Das Kind war schon in der Lage, die Aufgaben einer zehnjährigen auszuführen. Im Berg hatte sie dann endlich die Spielkameraden, die sie unter den Menschenkindern wegen ihrer sehr vorangeschrittenen Entwicklung nicht zu finden vermochte. Sie balgte sich mit den Zwergenjungs am Schmiedeamboss und Blasebalg genauso gerne, wie sie mit den Mädchen häusliche Arbeiten übte. Eine Haarpracht, wie viele junge Zwerginnen entwickeln, war ihr nicht vergönnt. Darum freute sie sich immer sehr, wenn sie ihre Freundinnen kämmen durfte. Bei der kämpferischen Ausbildung war sie natürlich gleich ihrer Mutter den Zwergen kräftemäßig unterlegen, doch was Gesteinskunde und andere Lehren anging, überflügelte sie ihre Mitschüler ohne Schwierigkeiten.

      Im Alter von acht Jahren, kurz vor der Saatzeit, zog sie dann zu den Halblingen nach Lindenbach. Flora und Favna hätten an solch einer Schülerin ihre helle Freude gehabt. Alle Gewerke des Lebens erlernte sie so schnell wie sonst niemand. Zur Erweiterung ihres wachen Geistes führte sie lange und tiefgründige Gespräche mit Eringus, der ein ums andere Mal ob der klaren Logik des Kindes nur den Kopf schütteln konnte. So manche ihrer Fragen brachten sogar ihn an den Rand dessen, was er selbst wusste. So begannen sie dann, Probleme ausgiebigst und tiefschürfend zu erörtern und über Fragen zu philosophieren. Sie war eine eifrige Unterstützerin Jades, ging es um Götter und Glaubensangelegenheiten. Da sie aber auch keinerlei Beweise Für oder Wider hatte, versuchte der Drache fast ständig, derartige Diskussionen zu vermeiden. Zu seinem Leidwesen gelang dies aber nur sehr selten. Auch wenn die Fragen, die Eringus diesbezüglich selbst in sich trug, nicht geklärt werden konnten, war er, auch wenn er es niemals zugab, letztlich doch froh, eine so verständige Gesprächspartnerin zu haben. Es tat ihm gut, darüber zu reden. In ihrem letzten Disput beschloss Beata, in die Welt zu ziehen, um auch diese Fragen zu klären.

      Aus diesem Grund und weil sie bei den Halblingen ihre Vorliebe für Kräuter und deren Wirkung entdeckt hatte, verließ Beata das Chynzychtal, als sie zwölf Jahre alt war. Sie umkreiste das alte Zwergenreich weiträumig und sprach mit vielen Menschen. Bei so manchem Heilkundigen oder Kräuterweib und in einigen Klöstern blieb sie, bis sie sich deren Wissen angeeignet hatte. Nachdem Beata bei den Zwergen deren Schrift gelernt hatte, lernte sie auch die Schrift und lateinische Sprache der Mönche und Nonnen. Sie beherrschte viele der Dialekte, die zu damaliger Zeit noch weitaus mehr waren, als heute.

      Und während all dieser Lehrzeit lernte sie auch sich selbst immer mehr