Rainer Seuring

Eringus - Freddoris magische Eiszeit


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aber sagt sie:

      „Nehmt Platz und erzählt, was genau euch zu mir führt. Ich spüre, dass es um mehr geht, als nur die Suche nach Arbeit und Auskommen. Und eine rechte Zwergin, wie euer Name glauben machen kann, seid ihr auch nicht.“

      Überrascht und verlegen blickt Guda zu Boden und setzt sich. Dann hebt sie ihren Kopf, fasst allen Mut zusammen und erzählt:

      „Ihr habt Recht, Beate, ich bin keine reine Zwergin; nur ein Teil von mir. Mein Vater ist Ulbert Steinschneider, ein Zwerg. Vor fast siebzehn Jahren nahm er Frascha, die Menschenfrau zu seinem Weib, die mich zwei Tage vor der Wintersonnwende des gleichen Jahres gebar. Gemeinsam lebten wir in einer Menschensiedlung, bis vorigen Jahres meine Mutter starb. Das ist halt das Problem zwischen Mensch und Zwerg. Die Lebensdauer der Menschen ist deutlich kürzer.

      Nun hielt meinen Vater aber nichts mehr in der Siedlung und er nahm mich mit in den Berg. Ich habe es lange versucht, doch ich konnte im Berg nicht leben. Dafür ist zu viel Mensch in mir. Bei den Menschen in der Siedlung fühlte ich mich auch nicht wohl und so suchte ich schon bald nach einer Lösung. Da hörte ich von euch und dachte, bei euch möchte es vielleicht gehen. Sicher seid ihr niemand, der auf die Herkunft alleine schaut. Vielleicht fänd ich Unterkunft bei euch für treue und redliche Arbeit. Gleich, was es auch sei.“

      Mit hoffnungsvollem Blick erwartet Guda eine Reaktion auf ihre Lebensgeschichte. Beatas Blick sagt ihr, dass sie bleiben kann. Oder hat sie sich getäuscht? Die Worte klingen anders.

      „Dann lasst mal hören, was ihr glaubt, mir helfen zu können. Dann will ich gerne entscheiden, ob ich euch brauchen kann.“

      „Ich kann euch alles abnehmen, was schwere, wirklich schwere Arbeit ist. Die Kräfte einer Zwergin hab ich wohl. Leider bin ich in feinen Dingen nicht so geschickt. Wohl auch mein Zwergenlos.“ Enttäuscht stellte Guda mit einem Blick auf ihre wenig zarten Hände fest, dass sie eigentlich nicht viel anbieten kann, daher ergänzte sie schnell eifrig: „Doch was ich nicht kann, das mag ich gerne von euch lernen.“

      „Das will ich euch wohl glauben, Guda. Lernen können wir alle alles, wenn wir nur wollen.“

      „Oh, ja, ich will lernen, Beata. Bitte lasst mich bei euch bleiben.“, bettelt die Halbzwergin. Dabei macht sie Anstalten, sich vor ihr nieder zu knien.

      Lachend verhindert Beata dies, indem sie sie an den Händen fasst. „Wie werde ich eine Hilfesuchende abweisen, die am gleichen Tage wie ich geboren wurde. Bin ich doch nur zwei Jahre älter als du.“ Mit dem du sind die förmlichen Schranken gefallen. „Ich will es gerne mit dir versuchen.“

      „Vielen vielen Dank!“, ruft Guda, umarmt Beata stürmisch und küsst sie voller Freude auf den Mund.

      Von diesem unschicklichen Verhalten merkwürdig berührt, löst sich Beata aus der Umarmung. „Fürs Erste kannst du auf dem Zwischenboden dein Lager beziehen, wenn du magst. Wollene Decken sind genug da und ein Unterbett habe ich auch noch. Dann werden wir sehen, wie wir uns die Arbeit teilen werden.“

      * * * * *

      Im Lauf der Zeit zeigt sich, dass Guda tatsächlich nur für die groben Arbeiten und für gelegentliches Kochen taugt. Mit dem Gärtnerischen kann sie sich nicht anfreunden. Gefährliche Verwechslungen mit den Kräutern, wie beispielsweise Bärlauch mit Maiglöckchen, und bei Pilzen und Beeren sind fast an der Tagesordnung. Doch letztlich harmonisieren die zwei Frauen ganz hervorragend miteinander. Beide haben gefunden, was sie nicht suchten und sind es trotzdem mehr als zufrieden. Ihre Zuneigung zueinander wächst stetig. Inzwischen schlafen die beiden gemeinsam in der Kammer.

      Junge Burschen, die meinen, sich eines dieser Weiber nehmen zu können, merken gar bald, wie wehrhaft Beata und Guda sind. Selbst ohne Waffe ist Beata nicht zu überwältigen und Guda, mit ihrem Zwergenblut steckt sowieso jeden Mensch in die Tasche.

      Es dauert nicht lange und bereits im weiteren Umkreis ist bekannt, dass das Kräuterweib ein Zwergenweib zu sich genommen hat. Das muss mit Hexerei zu tun haben. Das ist widernatürlich. Genauso schnell haben die zwei Frauen ihren Spitznamen weg. Weil sie beide die Haare im Pferdeschwanz tragen sind sie nun die rote und die braune wilde Stute. Letztlich haben auch Beata und Guda davon erfahren. Sie haben darüber nur gelacht. Dass sie ins Gerede kommen, war von vornherein klar. Bis dato haben die zwei Frauen Glück, denn in ihrer Umgebung ist noch nichts geschehen, was das Volk vielleicht auf den bösen Blick oder andere schwarze Magie zurück führt. Allzu leicht kommen Menschen mit schlechtem Ruf dann in Gefahr, für ein Unglück verantwortlich gemacht zu werden. Ob sich das Pärchen gegen den aufgebrachten Mob durchsetzen könnte, ist fraglich.

      Nur gut, dass niemand die familiäre Verbindung zu Magda in Hosti kennt. Der Ruf der Mutter sollte auf keinen Fall beschädigt werden.

      * * * * *

      Es ereignete sich folgende Anekdote:

      Des Abends sitzen Beata und Guda gerne noch ein wenig auf dem Freigang vor dem Haus und gönnen sich den einen oder anderen Krug Bier, wobei Guda den Mönchsbräu, Beata aber den Zwergenbräu bevorzugt.

      Nun wollte es das Geschick, dass beiden das Fässlein leer wurde und alsbald machten sich sowohl Zwerg als auch Mönch im Hochsommer auf den Weg, den Frauen Nachschub zu liefern. Weil der Zwerg mit seinem Ochsengespann eher los zog, traf man sich just auf der großen Straße.

      „Wohin des Weges, Bruder?“, fragte der Zwerg.

      „Zu Guda, die bei dem Kräuterweib in der Bule lebt.“, lautete die Antwort des Mönches, der seinen Karren mit einem Fass Bier hinter sich herzog. Der Schweiß lief ihm in Strömen das Gesicht hinab, denn auf diesem Wegesabschnitt gab es im Moment nicht ein kleines bisschen Schatten.

      „So haben wir den gleichen Weg, Bruder. Lasst uns euren Karren und das Fass zu dem meinen hinten aufladen. Ich nehme euch gerne mit. Was sollt ihr euch so plagen in der Hitze heute.“

      Gesagt, getan. Und unter lustigem Plaudern über dies und jenes zogen die Beiden ihrem Ziel entgegen, als plötzlich dem Mönch einfiel:

      „Hält der Pfahlweg zum Kräuterweib überhaupt das große Gewicht des Karrens und seiner Ladung? Mich deucht, es möchte zu groß sein.“

      „Wäre der Pfahlweg Menschenwerk, wäre euer Einwand wohl berechtigt, doch haben wir Zwerge diesen Weg gebaut. Der wird schon halten. Als damals die Hütte errichtet wurde, wurden ganz andere Gewichte darüber hinweg geschafft und nie gab es Grund zur Sorge. Seid ganz beruhigt.“

      So ganz beruhigt war der Mönch davon aber nicht und auch der Zwerg war sich seiner Sache nicht mehr ganz so sicher, wie seine Rede klang. Nachdenklich ruhig setzte man die Reise fort. Als man dann am Pfahlweg anlangte, hielt der Zwerg das Gefährt an, stieg vom Kutschbock und betrat den hölzernen Weg, der gerade breit genug war, ein Fuhrwerk zu tragen. Mit festem stampfendem Tritt schritt der Zwerg voraus und wand sich dann dem Mönch zu.

      „Seht her, Bruder!“, rief er und sprang dann mehrmals in die Luft um laut krachend mit seinen Stiefeln wieder auf dem Weg zu landen. Nichts passierte. „Das hält noch sehr viel mehr, als nur den Wagen und uns.“ Voller Stolz blickte der Zwerg zum Mönch hinauf.

      Damit kehrte er wieder zurück und setzte sich auf den Bock. Mit zufriedener Miene trieb er den Ochsen an und rumpelnd rollte das Gefährt weiter. Nur noch wenig vom Ziel entfernt, als der Weg über einen Wasserarm führte, knackte es vernehmlich bedenklich. Augenblicklich hieß der Zwerg den Ochsen stehen zu bleiben, um nicht durch das Gerumpel der Holzräder sein Gehör zu beeinträchtigen. „Hörtet ihr auch etwas, Bruder?“

      Zu einer Antwort aber kam es nicht mehr, denn nun krachte es gar fürchterlich und Mann und Fuhre stürzten seitlich weg und landeten im Wasser, das zum Glück nicht sehr tief war. Beide Fässer geborsten. Triefend nass saßen die Lieferanten im Bach.

      „Von wegen: Zwergenwerk – hält noch viel mehr.“, äußerte der Mönch abfällig.

      Im vom Bier und Schlamm getrübten Wasser griff der Zwerg nach einem Pfahlstück, betrachtete es kurz und hielt