Rainer Seuring

Eringus - Freddoris magische Eiszeit


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Wie zum Hohn lacht ihm durch das Fenster, an dem er steht, die Sonne ins Gesicht.

      Verflixte Prophezeiung in ebensolcher verflixten und verbotenen Schrift. Irgendwann kann er seinen Fehler nicht mehr verheimlichen und der Bischof wird Rechenschaft von ihm verlangen. Gut, er könnte, nein, er würde Bruder Urban die Schuld geben, weil er ihn falsch beraten hat. Die Verantwortung aber würde er ihm nicht auflasten können. Die trägt er, Abt Laurentz, allein. Wie lange würde er dann noch Abt sein? Wahrscheinlich keinen Tag mehr. Die verbotene Schrift ist schon Grund genug, das Kloster auf der Stelle zu schließen.

      Langsam wendet er der verbrecherischen Sonne den Rücken und sich dem Bruder Urban zu, der schon eine ganze Weile still und geduldig hinter ihm steht und wartet.

      Der Abt mustert die verschmutzte Kutte des Bruders, der direkt aus dem Getreidelager gekommen ist. Früher war er noch wütend gewesen und hat Urban mit den schlimmsten Strafen gedroht, was dieser demütig hat über sich ergehen lassen. Nun ist nur noch Resignation das dominierende Gefühl.

      „Wie sieht es aus, Bruder Urban? Was könnt ihr mir berichten?“

      „Es tut mir wirklich aufrichtig leid, Bruder Abt. Leider nur das gleiche wie gestern. Wir haben die Fenster des Tags mit dicken Tüchern verhängt, um die Sonnenwärme nicht herein zu lassen und nehmen sie für die Kühle der Nacht wieder weg. In längstens drei Wochen muss das Korn gemahlen und Gemüse und Obst verwertet werden.“

      „Wo war der Fehler? Warum war die klare Prophezeiung doch miss zu verstehen?“

      „Ich weiß es nicht, Bruder Abt. Ich weiß es sogar zweimal nicht, denn die Zwerge hatten ja eine übereinstimmende Vorhersage.“

      „Das ist es ja, weswegen ich bereit war, der Prophezeiung zu glauben. Habt ihr schon Nachricht von den Zwergen? Sicherlich haben die nicht so schwerwiegende Probleme in ihrem kühlen Berg wie wir.“

      „Bis jetzt nicht, Bruder Abt. Doch ich erwarte Wilbalt Eisenbieger heute Abend. Ich hoffe, er wird nochmals sein Buch mitbringen, dass wir darin Nachforschungen anstellen können. Unsere Schrift habt ihr in Verwahrung. Vielleicht, dass ich darin etwas fände?“, versucht Urban sein Glück.

      Laurentz sieht nachdenklich den Bruder an, wendet sich dann tatsächlich um und gibt, wenn auch widerwillig, die Schriftrolle aus einer Truhe heraus.

      „Geht dort an das Pult und studiert die Schrift. Die Rolle wird diesen Raum nur noch als Asche verlassen. Gebt euch Mühe. Ich brauche eine Lösung. Dringend!“

      * * * * *

      Abt Laurentz hat recht. Bei den Zwergen ist das Problem, trotz deutlich größerer Menge, bei weitem nicht so dramatisch. Durch die Kanäle in der Festung ist alles gut gelüftet und ständig kühl und dunkel gelagert. Doch trotz dieser hervorragend zu nennenden Umstände ist auch hier ein Ende der vertretbaren Lagerzeit langsam in Sicht. Verständlicher Weise ist das aber im Moment nicht König Sigurds Hauptproblem. Vor Kurzem ist sein Sohn gekommen und hat die schlimme Nachricht vom Verschwinden der Schwester überbracht. Schon seit Tagen haben sie in Kleyberch gesucht und gerufen, geklopft und gehorcht. Nicht bei Tag und nicht bei Nacht haben die Verbliebenen geruht. Vergebens. Weder Carissima noch Anschild ist auffindbar. Sie sind spurlos verschwunden. Den Kleyberch verlassen haben sie nicht. Das ist sicher, denn das Tor war immer noch von innen verschlossen vorgefunden worden.

      „Verfluchtes Kleyberch. Erst gibt es uns die Zwerge zurück, dann das alte Wissen. Und nun nimmt es mir mein Kind. Was ist mit dieser Festung los? Welches Geheimnis birgt sie noch?“

      „Ich habe keine Ahnung, Vater.“, antwortet Gernhelm. „Der Berg sieht ganz normal aus. Nichts an ihm ist besonders. Er streckt seine Hände offen vor als wolle er sagen, da gibt es nichts. Dazu schüttelt er seinen Kopf. Die vorderen Haarsträhnen sind rund um den Schädel nach hinten gezogen und verbinden sich dann mit dem Zopf, der zwischen den Schultern endet. Der fast schwarze Bart reicht bis zur Brust.

      „Natürlich nicht von außen.“, schimpft der König. „Das Besondere ist in ihm. Verstehst du? Innen drin. Das war schon von Anfang an klar. Wieso können 144 Zwerge in einem Berg über 800 Jahre schlafen und bekommen einen gedeckten Tisch zum Frühstück geliefert.“

      „145, Vater.“

      „Was?“

      „Es waren 145 Zwerge mit Anschild.“

      „Ach ja, klar. Und der ist doch auch gleich der nächste Wunderpunkt. Wo kommt der Kerl her? Wer ist er und was ist er? Keiner kennt ihn. Auf einmal wird er einem Krieger in die Hand gedrückt und dann geht alles schlafen. Gute Nacht, Verstand. Ich komm da nicht mehr mit.“

      Darauf hat der Sohn nichts zu erwidern.

      Wie ein gereiztes Tier dreht Sigurd im Thronsaal seine Kreise, stets um Gernhelm herum. Dieser hat schon aufgegeben, sich ständig mit zu drehen.

      „Was denkst du, mein Junge. Was sollen wir tun? Schick ich Zwerge hin, den Berg auseinander zu nehmen?“

      „Ich denke nicht. Ich glaube, und das ist das richtige Wort, ich glaube wir müssen uns in Geduld üben.“

      „Das ist doch nicht dein Ernst.“

      „Warte bitte, Vater. All das, was du eben so beklagt hast, haben wir von Anfang an als Gabbros Wunder gepriesen. Dankgottesdienste haben wir gefeiert. Warum soll das nun nicht der Wille Gabbros sein? Ich kann nicht sagen, was das für uns zu bedeuten hat; was dort gerade geschieht. Aber ich bin sicher, die beiden leben. Am Ende schlafen sie, wie zuvor alle anderen auch.“

      „Ach was. Und in 800 Jahren kommen sie dann wieder raus und gründen ein neues Zwergengeschlecht. Pah, du redest Blödsinn.“

      Gernhelm öffnet den Mund, um weitere Alternativen darzulegen. Doch er kommt nicht dazu. Hinter sich hört er, wie die Tür geöffnet wird.

      „Wie hätte Melisande gesagt: Du redest Blödsinn, Sigurd.“

      Hemma, Königin der Zwerge ist ebenfalls im Thronsaal erschienen. Ihr Mann beschreibt sie gern als an den rechten Stellen herrlich gerundet. Tatsächlich ist eigentlich alles an ihr rund und voluminös. Rundes Gesicht mit Pausbacken und einem niedlichen Grübchen im Kinn. Die vollen braunen Haare mit dem Hauch eines rötlichen Tones sind in runder Frisur, die nur wenig über die Ohren reichen. Der Pony ist passend abgerundet. Auch sie hat inzwischen von dem Verschwinden ihrer Tochter gehört. Erstaunlich gefasst hat sie die Nachricht aufgenommen.

      „Ich hatte, wie soll ich sagen, so eine Ahnung.“, meint sie mit ihrer leisen Stimme.

      „Oha, meine Frau hat Ahnung.“, bemerkt König Sigurd zynisch.

      „Nun reiß dich aber mal am Riemen, Mann.“ Hemma ist böse und wird lauter. „Unser Sohn argumentiert vernünftig, doch dir ist die Vernunft abhanden gekommen.“

      „Was ist daran vernünftig, alles Gabbro anzuhängen?“

      „Was ist daran vernünftig, dieses spurlose Verschwinden logisch erklären zu wollen? Wenn alles verschlossen war, als die Gruppe dort erwachte und keine Wand eine sichtbare Veränderung aufweist, wie festgestellt wurde, wie willst du das logisch erklären? Das kriegt nicht einmal Eringus hin. Oder hast du eine rechte Lösung?“

      Noch immer kreist Sigurd im Thronsaal, vor Erregung fast berstend. Aber er kann nichts darauf erwidern und das macht ihn noch angespannter. Er hält es nicht mehr aus.

      „Irgendwas muss man aber doch machen. Irgendwas. Was sagt deine Ahnung, Weib?“

      „Nichts!“, lautet die ernüchternde Antwort. „Was soll eine Ahnung, ein Gefühl auch schon sagen. Aber ich habe auch das Gefühl, dass alles gut wird und ich mich nicht aufregen muss. Ich weiß nicht, warum.“ Hemma versucht, mit ruhiger Sprache ihren überdrehten Mann wieder zu beruhigen.

      Der König ist stehen geblieben. Die Ruhe seiner Frau ist entwaffnend. „Das kann ich nicht, Hemma, das kann ich nicht. Schenk mir dieses Gefühl, dem du