J.D.Hogefeld

HERBST 1969.


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und Klassenbuchträger müssen immer davor warten. Wir biegen rechts ab durch die gläserne Schwingtüre zum Treppenaufgang. Die Stimmung kribbelt. Mittlerweile ist Astrid in der Gruppe etwas aufgerückt. Sie wirft ihr Haar mir einer galanten Bewegung wieder aus der Stirn. Doch sie hat blaue Augen. Liebe blaue Augen. Wir gehen alle schnell die drei Meter breiten Steintreppen an, ziehen uns am Schmiedeeisernen Geländer mit Leichtigkeit hoch und hören schon von oben die ersten Songs.

      „Wir haben in unserer Schule nicht so polierte Holzgeländer.“

      Sie hat gesprochen. Schöne melodische Stimme.

      „Äh, ich glaub, die waren vor 20 Jahren oder so auch nicht so glatt. Die Sextaner und Quintaner rutschen hier immer runter. Hab ich ja auch früher so gemacht. Knallt immer so schön, wenn man unten aufplatscht.“

      Aber was ich sonst noch so früher gemacht habe, lieber nicht. Oder später. Ist auch ein guter Gesprächsstoff. Endlich sind wir oben. Die Seitentür zur Aula steht offen. Drinnen lautes Stimmengewirr und die Songs überspielen das Gemurmel. Harald ist im Soundcheck.

      „Hey, alles klar, Anlage läuft super, wie man so hört.“

      Harald als angehender Fernsehtechniker ist in seinem Element.

      „Ach, Herr Blichert ist auch schon da. Und, ist er gut drauf?“

      „Weiß nicht. Frag ihn doch, “ und er versinkt wieder in sein Mischpult.

       Pictures of matchstickmen

      Ich begleite die Mädels zu den anderen. In der hinteren Ecke sind einige Tische und Stühle postiert, daneben die Kästen mit Cola, Limo, Wasser und den Knabbereien. Von der Sternstrasse ist noch niemand zu sehen. Gisela und Ha-We auch nicht. Na ja, werden schon noch kommen. Aus meiner Klasse ist Lothar schon in Aktion, er trägt als einziger von uns einen Vollbart. Hat ja auch einen sehr starken Haarwuchs, aber sonst kommt er gut bei den Mädels an. Hat immer so nach einem Monat was Neues. Dabei helfen ihm sein Führerschein und sein Auto, vor einer Woche gekauft, eine kleine NSU, das erhöht natürlich ungemein die Chancen bei den Mädels gut anzukommen. Weiter hinten entdecke ich Andreas, Rolf, Holger, Uwe, Claus, Detlef, Alexander und Floh, eigentlich Florian, wegen seiner Größe eben „Flöhchen“ oder „Floh“ genannt, aber ein ganz großer im Bodenturnen. Hat sich ein riesiges Kraushaar stehen lassen. Nach dem Vorbild von Berger in „Haare“. Läuft nächste Woche die Deutschlandpremiere in Düsseldorf. Haben schon für unsere komplette Elite Karten besorgt. Wird ein Mordsding. Am Broadway immer noch der Renner und in den US-Charts die besten Auskoppelungen auf Platz 1: Aquarius, Hair, Let the Sunshine in, Good morning Starshine. Von den „Jüngeren“ sind auch schon ein paar eingetroffen, Ralph, Rainer und unser Streusel, eigentlich Andreas, aber er hat sehr starke Probleme mit Akne. Armer Kerl, nimmt’s aber gelassen. Was soll´s. In ein paar Jahren hat sich das rausgewachsen. Was macht Jutta? Die Hohensteinerinnen haben sich um zwei kleinere Tische gescharrt und die Köpfe zusammengesteckt. Na gut, lass sie erst mal. Muss jetzt zu Pise.

      „Na, alles im Griff?“

      „Klar doch Alter. Läuft alles. Wo hast du deine Platten. Summer in the City auch dabei? Die wolltest du mir doch verkaufen.“

      “Nee keine Chance geb’ ich nicht her. Ist doch selbst geklaut. Sag mal was hast du mir denn da am Telefon vorgespielt? Mal was ganz anderes. Hörte sich echt gut an.“

      „Hier hör mal rein, hab ich auf Kassette und noch `nen starken neuen Song In the Year 2525 absolut Irre, so futuristisch.

      Harald schmeißt die C 90 in seinen Grundig Recorder und drückt auf Play. Wir haben uns beide für das alternative Kompaktkassettensystem von Grundig entschieden. Sind etwas größer als die Cassetten von Philips, stabiler, geräuscharmer und längere Laufzeit. Aber schwer zu bekommen. Nicht jedes Fachgeschäft hat sie vorrätig. Ist eben noch neu auf dem Markt, aber besser. Ja, Sugar Sugar bringt was und 2525 auch. Aber als Einstieg wohl noch zu neu. Kennen die Mädels bestimmt nicht. Aber man kann richtig gut drauf tanzen und schwofen. Dann doch erstmal was Bekanntes: Penny Lane, Pata Pata, Wild Thing und so.

      „Hör mal, mach’s am besten wie am Telefon besprochen. Mix die alten Sachen mit dem 10er zusammen und hier meine Beach Boys Sammlung. Zur Begrüßung, die muss ich ja wieder machen, lässt du was von Frankie Boy im Hintergrund laufen. Macht sich immer gut. Und dann ein paar ältere Hits die bestimmt alle gut kennen. So von den Stones, Beatles, Herman Hermits, The Who und so. Von mir aus auch die Doors, Oder leg einfach die BB’s auf. Surfin USA, I get around, Barbara Ann oder Sloop John B bringen’s immer als Eisbrecher. Vertrau dir da voll und ganz

      So, muss jetzt mal den Anfang machen, damit die Fete in Schwung kommt. Begrüße treu und brav unsere Aufsichtsperson und danke ihm für die Opferung der paar Stunden seiner Freizeit und alle applaudieren schön brav. So, die erste Hürde ist geschafft. Nun Begrüßung der Mädels vom Hohenstein und der Sternstrasse und dann darf getanzt werden. Freie Partnerwahl. Vielleicht machen wir später noch ein paar Tanzspielchen. Die ersten sind schon auf der Tanzfläche, besser gesagt beaten sich einen ab auf den alten Eichenbohlen und geben ihr bestes.

       I feel free

      „Sag mal Harald, für die fortgeschrittenen Stunden und nach je nach Entwicklung der Dinge machst du deine Blues Session. Ich würde sagen, so langsamer Übergang mit Bee Gees und Elvis, dann Simon mit dem Boxer, und wenn’s ganz gut läuft für die absoluten Klammerblues Happy together, Hey Jude und die Nights in White Satin, so richtig starker Stehblues. Okay?“

      „Okay, alles klar. Hab alles dabei. Muss nur sagen wann. Hab eine ganz neue Zusammenstellung hier auf der Sechziger gemacht, willste mal reinhören? Yesterday, Groovin und All you need is love ist auch drauf.”

      „Nee, keine Zeit jetzt. Muss die Lage checken.“

      Zufrieden mit dem Anfang wende ich mich wieder dem Tanzgeschehen zu. Jutta ist nicht zu sehen. Sitzt dahinten mit Astrid und den andern. Ich schlendere rüber an ihren Tisch. Harald legt Touch me, touch me auf. Gut zum Anfang.

       I’m a believer

      „Hi, Jutta wollen wir?“

      Ja, sie will. Ist ganz gut im Rhythmus, aber etwas steif, na ja muss wohl noch warm werden. Dann legt Harald seine Bubble Gum Cassette rein. Mit seinen „Lieblinge“, klar warum nicht: Yummy Yummy Yummy, Goody Gumdrops und Simon Says. Lässt sich alles gut tanzen, leicht und bekömmlich. Jutta wird nicht so richtig warm. Nach 10 Minuten will sie zurück zu ihren Klassenkameradinnen. Und ich zu Harald.

      „Sag mal in der Pause an, wo die Toiletten sind, damit die Mädels nicht vier Stockwerke runter müssen. Ich glaub der Hausmeister hat die zwei hier oben aufgeschlossen und auf der anderen Seite der Aula auch. Und dann als Verschnaufpausen, spielst du Herb Alpert oder Henri Mancini. Das Love Theme von Romeo & Juliet ist auch nicht schlecht, so als Stimmungsanheize. Aber nicht wieder In-A-Gadda-da-Vida in der LP–Version. Mir ist heute nicht so nach Underground und Psychedelic.“

      „Ich wollt dir vorhin noch meine Top of the Pop’s der UK-Charts zeigen. Hab ich gerade erst am Sonntag zusammengestellt. Ist bestimmt der absolute Brüller. Hier hör mal rein. Er reicht mir die Kopfhörer und drückt die Taste: Gimme some lovin, Mony Mony, Cinderella Rockefella, Israelites, Lady Madonna, Everlasting Love, Baby come back, Mighty Quinn, Jumpin’ Jack Flash, Delilah, Fire, Happy Together, The Letter, Light my Fire, With a girl like you, Do it again, Let`s spend the night…Mann da geht’s ab. Mit dieser Zusammenstellung hat er sich mal wieder selbst übertroffen.

      „Okay, super, schmeiß sie gleich mal rein.“

      Mein