Hans Pürstner

Reich ins Heim


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und Gesänge über sich ergehen lassen musste. Die Luft war wegen der zumeist schon recht alten Besucher für eine Kindernase auch nicht besonders verlockend. Aber seine Nanny hatte es doch immer wieder geschafft, allerdings oft nur mit dem in Aussicht gestellten Eis oder im Winter einer Lakritzstange, den kleinen Albert in die Kirche zu locken.

      Während er also gedankenverloren die Aussicht aus dem Fenster genoss, hatte er darüber beinahe Frau Waller vergessen.

      “Sagt Ihnen das Zimmer zu, Herr Worthington?“ fragte sie ihn leise zweifelnd. Sie hoffte sehr auf eine positive Antwort, schließlich hatte sie sich bereits in der Hoffnung auf den neuen Mieter und dessen Geld in Unkosten gestürzt und einen wunderschönen Stoff für neue Vorhänge besorgt. Der war aber auch ein Schnäppchen gewesen auf dem Schwarzmarkt, zu dem man einfach nicht nein sagen konnte!

      Zu Frau Wallers Erleichterung stimmte Worthington sofort zu, als sie ihm die Miete für das Zimmer nannte.

      Und so als ob sie wegen des Preises ein schlechtes Gewissen hätte, bot sie ihm auch noch an, seine Wäsche zu waschen und zu bügeln. Ein solches Angebot war ganz nach seinem Geschmack, natürlich akzeptierte er es nur allzu gerne.

      Er unterschrieb eine kleine schriftliche Vereinbarung, die Frau Waller schon vorbereitet hatte. Dass es kein offizieller Mietvertrag war, wunderte ihn keineswegs, sie hatte wohl kaum vor, das bisschen Geld auch noch dem Finanzamt anzugeben.

      So fragte er auch nicht weiter nach, als Angehöriger der Besatzungsmacht brauchte er sich sowieso keine Sorgen zu machen, dass seine Zimmerwirtin sich nicht an mündliche Abmachungen halten würde, wer hätte sich in dieser schweren Zeit wohl mit den Engländern angelegt? Da das Zimmer ja frei war, brauchte er auch nicht bis zum Ersten zu warten, sondern konnte sofort einziehen.

      Er winkte dem vor dem Haus wartenden Fahrer durchs Fenster zu, worauf dieser ihm den Koffer ins Haus brachte und danach wegfuhr.

      Ein leises, fast schüchternes Klopfen weckte Albert Worthington am nächsten Morgen. Verschlafen rieb er sich die Augen, zuerst wusste er gar nicht so recht, wo er war.

      Dann fiel es ihm wieder ein, er hatte ja abends noch mit seiner neuen Zimmerwirtin einen kleinen Begrüßungsschluck genommen. Es waren wohl offenbar ein paar Schlucke mehr daraus geworden, jedenfalls brummte ihm gehörig der Schädel.

      Diese Frau hatte wirklich Eindruck auf den guten Albert gemacht! Noch hielt ihn zwar das schlechte Gewissen davon ab, die durch die erzwungene lange Abwesenheit ihres Mannes einsame Frau Waller mit seinem jugendlichen Charme zu Dingen zu überreden, die sie unter anderen Umständen wohl empört abgelehnt hätte. Aber auf die Dauer würde er seine Gefühle wohl kaum in Zaum halten können. Seine kleine Freundin Ann war weit weg, er war nach der langen Rekonvaleszenz wieder in blendender Verfassung und deshalb lag es nahe, diese gute Gelegenheit zu nutzen.

      Aber zuerst musste er natürlich seinen neuen Arbeitsplatz antreten und so fuhr er nach einem eher bescheidenen Frühstück mit der Straßenbahn zur Haltestelle Opernring, um die letzten Meter bis zur Burg über die steil ansteigende Burggasse zu Fuß zurückzulegen.

      Lieutenant Fisher erwartete ihn schon und gab ihm zu Beginn eine kurze Einweisung in die momentane politische Lage in Graz, sowie in die Aufteilung der kommunalen Verantwortung und stellte ihm gleich ein paar Lokalpolitiker vor, die gerade mit Bittgesuchen beim britischen Stadtkommandanten vorstellig geworden waren.

      Worthington sollte bei solchen Gelegenheiten den Dolmetscher spielen und außerdem auch Weisungen der Besatzungsmacht bei Bedarf persönlich den Adressaten überbringen.

      Das war ein Job so richtig nach seinem Geschmack. Da er durch einige Besuche bei seiner Tante in Hamburg einigermaßen gut Deutsch sprach, war er den meisten seiner Kollegen und Vorgesetzten in dieser Hinsicht überlegen. Zudem musste er durch die zahlreichen Botengänge nicht den ganzen Tag in einem muffigen Büro zubringen und konnte sich seine Zeit gut einteilen.

      So vergingen die Tage wie im Flug, und die Abende wurden immer interessanter.

      Ingrid man war inzwischen beim vertrauten du angelangt verwöhnte ihn nach Strich und Faden. Sie kochte, soweit es bei der Lebensmittelrationierung möglich war, die köstlichsten Gerichte, dazu trank man Schilcher. Das ist eine Art trockener Rose´ Wein, den sie von einem Bruder, der einen kleinen Bauernhof und einen Weinberg sein eigen nannte, bekam. Ingrid war froh, nun endlich etwas Gesellschaft zu haben, Albert freute sich über den Familienanschluss und der Wein tat sein Übriges.

      So blieb es nicht aus, dass die Beziehung zwischen den Beiden immer enger wurde und Albert öfters nicht in seiner eigenen Kammer übernachtete.

      Ingrid hatte zwar noch hin und wieder Gewissensbisse, aber Albert redete sie ihr schnell wieder aus. Abgesehen davon, dass er mit seiner jugendlichen Unbekümmertheit gerne darüber hinwegsah, dass Ingrid verheiratet war, so wähnte er ihren Mann ja weitab vom Schuss im Gefängnis. Und dort sollte er auch noch eine Weile bleiben, so sah er das als Engländer und ehemaliger Kriegsgegner.

      Tagsüber repräsentierte er die Besatzungsmacht, war durch seine guten Deutschkenntnisse auch für seine Vorgesetzten immer unentbehrlicher geworden und bekam dadurch so einiges mit, was jemanden mit seinem Dienstgrad eigentlich gar nichts anging.

      Bald kannte er auch einige Stellen in Graz, wo es das eine oder andere günstig zu kaufen gab. Ganz besonders angetan hatte es ihm eine kleine Konditorei in der Mariahilferstrasse, wo trotz der strengen Mehlrationierung hin und wieder ein leckerer frisch gebackener Rührkuchen angeboten wurde. Der einfache Kuchen erinnerte ihn etwas an die geliebten Scones, die ihm seine Mutter immer zum Afternoon Tea am Sonntag gebacken hatte.

      Vor dem Geschäft hatte sich mal wieder eine lange Schlange gebildet, die Tochter des Konditors schenkte in alten kunterbunt gemischten Bechern Ersatzkaffee aus, und die Kunden rissen ihr den Kaffee und den Kuchen nur so aus den Händen.

      Unter all den Leuten, die vor der Konditorei warteten, fiel ihm ein großer, hagerer Mann auf, sein stechender Blick kam ihm irgendwie bekannt vor.

      Worthington glaubte sich zu erinnern, dass er diese Person schon mehrmals gesehen hatte. Als er ihm direkt in die Augen sah, wandte dieser sofort den Blick ab, was ihn noch misstrauischer machte. Er beschloss, ihm unauffällig zu folgen.

      Der geheimnisvolle Unbekannte ging eilig davon und er hatte Mühe ihm zu folgen. Es dauerte nicht lange, dann hatte er den Mann aus den Augen verloren.

      Bei seinem nächsten Besuch im Polizeipräsidium schaute er im Archiv vorbei und nach kurzer Beschreibung des Gesuchten zeigte man ihm eine Karteikarte mit einem Foto, das ohne jeden Zweifel den lästigen Verfolger zeigte. Der Beamte erklärte ihm, dass es sich um einen gewissen Alfons Sulic handle, im Krieg bei der Waffen SS, der sich jetzt mit Schwarzmarktgeschäften und kleinen Gaunereien über Wasser halte.

      7.Kapitel

      Einige Monate wohnte Worthington nun schon am Lendplatz, seit dem Tag, als Ingrid ihm ohne jede Vorwarnung die Koffer vor die Tür stellte.

      Die Nachricht, dass ihr Mann Hermann im Zuge einer Amnestie vorzeitig aus der Haft entlassen würde, hatte ihr schlagartig klar gemacht, worauf sie sich mit ihrer Liaison mit Albert eigentlich eingelassen hatte. Für ihn war sie doch nicht mehr als eine kleine Soldatenliebschaft, irgendwann würde er nach England zurückkehren und sie in Graz sitzen lassen. Da war es für sie doch besser, ihre Ehe mit Hermann weiterzuführen, obwohl dieselbe ja kaum stattgefunden hatte.

      Kurz nach ihrer Hochzeit war er damals begeistert in den Krieg gezogen, und sie mit ihren Sorgen zurückgelassen.

      Eines Tages, als er gerade die Treppe hoch zu seinem Büro in der Grazer Burg ging, huschte eine Frau an ihm vorbei, lächelte ihm scheu zu und erst jetzt erkannte er Ingrid.

      Die ist aber ein bisschen dick geworden! dachte er sich, Wahrscheinlich kocht sie jetzt für ihren Mann und sich selbst auch so viele leckere Sachen wie für uns früher, dann ist es kein Wunder, dass sie auch zunimmt”.

      Beim Gedanken daran wurde ihm wieder ganz wehmütig ums Herz, es war doch eine schöne Zeit gewesen.