Hans Pürstner

Reich ins Heim


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wurde, war es damit schnell wieder vorbei.

      Am Eingang zur Kommandantur angelangt, nahm der MP den Koffer und ging ihm voran in das Eingangsbüro um seinen Fahrgast anzumelden.

      Nach kurzer Wartezeit schickte man Albert Worthington hoch zum Office Major Lindsays, der zwei Jahre lang Kompaniechef bei seinem letzten Kriegseinsatz in Belgien war und ihn nun fast jovial begrüßte. Der Krieg war zu Ende und alle waren froh, ihn einigermaßen unversehrt überstanden zu haben. So nahm man jetzt auch die militärischen Rangunterschiede nicht immer so ganz genau. Major Lindsay erkundigte sich erst bei ihm über den Verlauf seiner Genesung, um dann gleich zur Sache zu kommen.

      “Soweit ich mich erinnere, haben Sie mir einige Male von ihren Verwandten in Hamburg erzählt und dass Sie bei ihren häufigen Besuchen in Deutschland die Sprache ganz gut gelernt hätten. Darum habe ich ihnen angeboten, hierher zu kommen. Ich brauche noch jemand, auf den ich mich verlassen kann, der aber auch die Sprache der Einwohner spricht”, meinte Major Lindsay,

      “Es gibt zwar erstaunlich viele Einheimische, die ganz passabel englisch sprechen, aber ich möchte doch lieber als Verbindungsmann zu den Österreichern, die wir zur öffentlichen Verwaltung eingesetzt haben, jemand haben, der ohne Dolmetscher auskommt. Wenn man jeden Satz erst mal übersetzen lassen muss, erschwert das auf die Dauer doch dessen Arbeit.

      Na, was meinen Sie zu meinem Vorschlag?

      Sie werden es nicht bereuen, so kommen Sie mit vielen Leuten zusammen, das ist doch was anderes als früher, wo man Tag und Nacht nur mit Soldaten reden konnte.

      Und die Mädchen hier sind auch ganz hübsch und aufgeschlossen gegenüber uns Engländern. Die sind eben auch froh darüber, dass wir und nicht die Russen als Besatzer gekommen sind“, meinte er mit einem verschmitzten Blick.

      Worthington erinnerte sich an seine kleine Freundin Ann in Bournemouth, der er versprochen hatte, spätestens nach zwei Jahren genug Geld gespart zu haben, um zurück nach England kommen zu können und sie zu heiraten. Deshalb muss ich hier ja nicht gleich in völliger Enthaltsamkeit leben, dachte er sich und begann an dem Angebot Geschmack zu finden.

      ”Allright, Sir, ich nehme ihr Angebot selbstverständlich gerne an, Sie können sich auf voll und ganz auf mich verlassen!”

      “ Na dann gebe ich jetzt gleich die Anweisung für die nötigen Formalitäten und freue mich auf gute Zusammen arbeit, Lieutenant!” sagte der Major und rieb sich zufrieden die Hände.

      „Ich schicke Sie dann für eine Woche in das Office von Lieutenant Fisher, er wird Ihnen das Nötigste über ihre Arbeit erklären und Ihnen auch gleich eine Unterkunft besorgen. Erwarten Sie nicht gleich ein Häuschen mit Komfort wie in Südengland, der Krieg ist gerade erst vorbei!”

      Mit diesen Worten entließ er ihn und Albert Worthington machte sich auf die Suche nach dem Büro von Lieutenant Fisher.

      Zur Überraschung Beider stellte man fest, dass man einmal gemeinsam einen Lehrgang auf der Akademie besucht hatte und bei der Erinnerung an die gemütlichen Abende in den Pubs kam leise Wehmut hoch.

      ”Das Bier ist hier aber auch nicht schlecht”, meinte Fisher, “besonders das Gösser Bier mag ich ganz gerne, es heißt, dass man dort ein besonders gutes Wasser zum Bierbrauen hat.”

      Am Nachmittag ließ er sich von einem Fahrer zu der Adresse bringen, die Lieutenant Fisher ihm gegeben hatte.

      Da ihn der Major vor zu großen Erwartungen gewarnt hatte, war er doch etwas überrascht, in Graz ein hübsches Einfamilienhaus vorzufinden, das sogar eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Haus seiner Eltern hatte, in dem er seine Jugend verbrachte. Er bat den Fahrer, ihm seinen Koffer zu geben und auf ihn zu warten, bis er mit seiner künftigen “Landlady”, dem englischen Wort für Zimmerwirtin, gesprochen hätte.

      6.Kapitel

      Nach dem zweiten, schon etwas energischeren Klopfen hörte Worthington Schritte näher kommen und mit einem leicht quietschenden Geräusch einen Riegel der zurückgeschoben wurde, worauf sich die Tür endlich öffnete und den Blick auf das Vorzimmer und eine kleine, etwas unscheinbare Frau freigab.

      ”Kommen Sie doch näher, Herr Worthington, ich bin Ingrid Waller“, sagte sie freundlich, nachdem er sich vorgestellt hatte.

      “Als Engländer trinken Sie doch bestimmt gerne eine Tasse Tee“, und ohne seine höfliche Zustimmung abzuwarten, ging sie in die gleich neben dem Flur gelegene Küche, um den Wasserkessel aufzusetzen. Danach bat sie ihn, auf dem abgewetzten Sofa Platz zu nehmen und fing sofort an, ihm die herrliche Lage ihres Häuschens in Mariatrost, einem Vorort von Graz, zu schildern, was ihn doch etwas misstrauisch machte.

      Wenn sie so viel von der Umgebung spricht, wird das Zimmer wohl nicht mehr als eine umgebaute Besenkammer sein, dachte er im Stillen. Weil inzwischen der Wasserkessel durch sein durchdringendes Pfeifen auf sich aufmerksam machte, blieb ihm etwas Zeit, sich unauffällig im Wohnzimmer umzusehen.

      “ Das Haus habe ich von meinen Eltern geerbt, ansonsten wäre es mir bestimmt weggenommen worden“, meinte Frau Waller leise seufzend, während sie mit einem Tablett zwei altmodische, aber hübsche Teetassen, eine Teekanne und einen Zuckertopf an den Tisch brachte. Auf seinen erstaunten Blick hin erklärte sie ihm etwas zögernd aber trotzig,

      “Mein Mann war ein ziemlich hohes Tier bei der SS, aber er hat sich nie etwas zuschulden kommen lassen”.

      “Da ist wohl mehr der Wunsch der Vater des Gedankens”, schoss es Worthington durch den Kopf, ohne sich seine etwas abfälligen Gedanken anmerken zu lassen.

      “Er ist zu vier Jahren Gefängnis verurteilt worden, obwohl er nur das Beste für Deutschland wollte. Ich muss mich hier mit einer schlecht bezahlten Stelle als Putzfrau über Wasser halten, obwohl ich mit meiner Ausbildung als Lehrerin wohl etwas Nützlicheres machen könnte!”

      fuhr Frau Waller fort, sich zu beklagen. Gerade noch rechtzeitig fiel ihr ein, dass ein britischer Exsoldat wohl kaum ein allzu großes Verständnis für ihre Nöte aufbringen würde, zumal er ja schließlich hier war, um ein möbliertes Zimmer zu mieten.

      ”Entschuldigen Sie bitte vielmals, dass ich Sie mit meinen Sorgen belästige, ich habe ja vor lauter Klagen ganz vergessen, ihnen Tee einzuschenken. Leider habe ich keine Zitronen für den Tee, sie sind unerschwinglich, wenn man sie überhaupt zu kaufen bekommt.”

      Er machte ihr klar, dass er wie die meisten Briten seinen Tee mit Milch trinken würde und sie sich deshalb keine Gedanken wegen der fehlenden Zitrone zu machen brauchte.

      Dennoch bot er ihr an, aus dem britischen Lebensmittel Shop, der nur für die Angehörigen der Besatzungstruppen eingerichtet worden war und zu dem Österreicher keinen Zutritt hatten, hin und wieder echten Ceylon Tee mit zu bringen, was ihm aber gleich wieder Leid tat, weil Frau Waller das wohl leicht als leise Kritik an ihrem wahrlich nicht sehr berauschenden Tee auffassen hätte können.

      Wie er sie so betrachtete, fand er mehr und mehr Gefallen an dieser auf den ersten Blick ziemlich schlichten Frau. Klar, das Kleid hatte schon bessere Tage gesehen, die Haare trug sie hochgesteckt, ein Friseurbesuch mit Dauerwelle war wohl finanziell einfach nicht drin. Aber der warmherzige Blick, ihr herzliches Lachen ohne jede Überspitztheit hatten auf ihn einigen Eindruck gemacht.

      Auch die Art und Weise, wie sie ihren Mann verteidigte, imponierten ihm doch irgendwie, wenngleich er dessen Vergangenheit naturgemäß etwas anders sah als Frau Waller.

      Nun bat sie ihn endlich, ihr über die knarrende Treppe nach oben zu folgen um ihm sein Zimmer zu zeigen.

      Gemessen an seinen heimlichen Befürchtungen war es eigentlich gar nicht so schlecht. Vom Fenster aus konnte man die Kirche von Mariatrost sehen, die auf einem kleinen Hügel gelegen weithin sichtbar der markanteste Punkt in der ganzen Umgebung war.

      Worthington beschloss, sich diese wunderschöne Kirche bei nächster Gelegenheit anzusehen, wenngleich er in seiner Heimat um Kirchen meist einen großen Bogen machte. Das lag wohl daran, dass er als Kind meist von der Großmutter unter leichtem