Hans Pürstner

Reich ins Heim


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jung aus, Anfang zwanzig, blonde halblange Haare und hatte eine schmale, fast zierliche Figur. Irgendetwas an ihrem interessanten Gesicht faszinierte ihn sofort.

      Ich werde doch nicht in meinem Alter plötzlich für junge Mädchen schwärmen, murmelte er vor sich hin, schließlich hätte sie seine Tochter sein können. Er riss sich zusammen und hörte sich das Anliegen der beiden an.

      “Susanne arbeitet in einem Kaufhaus in Graz und ärgert sich jedes Mal, wenn sie sich mit englischsprachigen Touristen nur in ihrem etwas holprigen Schulenglisch unterhalten kann. Sie würde so gerne einige Zeit in England arbeiten um ihre Sprachkenntnisse zu verbessern. Aber man bekommt nur dann eine Arbeitsgenehmigung, wenn man ein Stellenangebot vorweisen kann.”

      meinte Herr Waller und bat ihn freundlich, ihr doch eine Stellung in England zu besorgen.

      Worthington versprach den Beiden, sich sofort nach seiner Rückkehr darum zu kümmern, aber vorher müsste er schließlich erst mal gesund werden.

      Nachdem die Beiden das Zimmer verlassen hatten, bedauerte Worthington insgeheim, dass er Herrn Waller nicht nach seiner Frau gefragt hatte. Es war ihm einfach zu peinlich gewesen, denn der wusste anscheinend nicht, wen sie da eben besucht hatten.

      Kurzerhand rief er die Telefonnummer an, die Waller ihm gegeben hatte, und zwar rechtzeitig, bevor dieser nach Hause zurückgekehrt sein konnte.

      Es meldete sich tatsächlich Ingrid, ihre Stimme war unverwechselbar, wie eh und je. Er nannte seinen Namen und sie konnte ihre Überraschung nicht verbergen.

      Allerdings klang ihre Stimme alles andere als freudig. Tja, er konnte ihr das wohl kaum verdenken. Damals war man ja ziemlich unsentimental auseinander gegangen und Worthington war nach England zurückgekehrt um seine Jugendfreundin Ann zu heiraten.

      Trotzdem stimmte sie seinen Bitten schließlich zu, ihn im Krankenhaus zu besuchen.

      “Aber mein Mann darf nichts davon erfahren!”

      Kurz nach dem Auflegen des Telefonhörers klopfte es schon wieder an der Tür, sein Zimmernachbar drehte sich genervt zur Seite, sobald ihm klar war, dass der Besuch schon wieder nur Worthington galt.

      Ein Mann trat ein, ein gemütlicher kleiner Dicker, Mitte fünfzig, der sich als Oberinspektor Pilz vorstellte.

      “Ich bin Leiter der gleichnamigen Gruppe bei der Kriminalpolizei der Polizeidirektion Graz. Ich bearbeite den Bombenanschlag auf einen Wagen der Schlossbergbahn und die Anzeige gegen Unbekannt wegen Ihres Sturzes von der Schlossbergtreppe.”

      Er ließ sich von ihm den Ablauf des Geschehens aus seiner Sicht schildern und wollte wissen, ob er den angeblichen Täter beschreiben könne.

      “Was heißt denn hier angeblich, glauben Sie mir etwa nicht?” antwortete Worthington verärgert.

      “Es ging alles so schnell, ich kann mich nur erinnern, dass der Mann etwa so alt war, wie Sie, einen altmodischen Ledermantel an hatte, und außerdem trug er einen Hut, was heute ja kaum noch jemand macht.”

      Während er so überlegte, wie denn wohl dessen Gesicht ausgesehen habe, fiel ihm wieder ein, was ihm so bekannt vorgekommen war:

      Der stechende Blick.

      Alfons Sulic, dieser windige kleine Gauner, den er damals geholfen hatte hinter Gitter zu bringen. Natürlich konnte der Mann nicht gerade freundschaftliche Gefühle für ihn hegen, aber das war wohl kein Grund, gleich zwei Anschläge zu verüben und dabei auch noch das Leben völlig Unbeteiligter zu riskieren.

      Worthington beschloss, ohne zu wissen weshalb, dem Polizisten nichts über seinen Verdacht mitzuteilen.

      Oberinspektor Pilz fuhr unterdessen zurück in seine Dienststelle im Polizeipräsidium. Dort erfuhr er, dass der Herr Hofrat ihn zu sprechen wünsche. Pilz wusste, dass man seinen Chef besser nicht lange warten ließ und suchte umgehend dessen Büro auf.

      “Meine Verehrung, Herr Hofrat”, begrüßte er ihn, nachdem auf sein Klopfen ein energisches “herein!” ertönt war.

      “Ach Herr Kollege Pilz” antwortete dieser jovial, “ Gut, dass Sie kommen, was macht eigentlich Ihre Untersuchung wegen des Anschlags auf die Schlossbergbahn?”

      “Wie Sie sicher wissen, Herr Hofrat“, antwortete er, „wurde eine Stunde nach dem Anschlag ein britischer Ingenieur, er heißt Worthington, die Treppe vom Schloss bergstieg hinuntergestoßen. Da drängt sich ein Zusammenhang doch förmlich auf!” antwortete Pilz. Doch das schien seinen Chef nicht zu überzeugen.

      “Na, ich weiß nicht, Herr Kollege, ich will Ihnen da natürlich nicht dreinreden, aber könnte das nicht eher ein Unfall gewesen sein? Oder haben Sie schon mal die Möglichkeit eines Selbstmordversuchs in Erwägung gezogen?”

      Das war schon eigenartig, aus unerfindlichen Gründen schien ihn der Hofrat unbedingt von der näheren Untersuchung des Falles Worthington abhalten zu wollen.

      Doch das machte Pilz natürlich erst recht neugierig. Schließlich wusste er um dessen Ruf, Hofrat Dr. Pichler war doch einer dieser geschickten Wendehälse, der, obgleich er nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich in verschiedenen Positionen für die NSDAP tätig war, nach Kriegsende ganz schnell wieder auf die richtige Seite wechseln konnte.

      Im obligatorischen Entnazifizierungsverfahren gelang es ihm überraschenderweise, seine Tätigkeit für die Partei als völlig harmlos darzustellen. Da er durchaus administrative Fähigkeiten vorweisen konnte und zudem auch noch den gerade für Österreicher so extrem wichtigen Titel “Doktor“, stand seiner Karriere im höheren Polizeidienst nichts mehr im Wege. So machte man ihn nach diversen Fortbildungslehrgängen auf der Wiener Führungsakademie zum Leiter der Grazer Kriminalpolizei.

      Was ihm aber noch weitaus wichtiger war, vor zwei Jahren wurde er zum Hofrat ernannt. Kein Nichtösterreicher wird je ermessen können, wie viel dieser Titel für eine bestimmte Sorte Mensch bedeutet.

      Von der eigentlichen Arbeit der Kriminalpolizei verstand er allerdings nicht allzu viel, und darum mischte er sich erfreulicherweise fast nie in die Arbeit von Pilz ein.

      Darum war Pilz auch erstaunt, dass der Hofrat an diesem Fall interessiert war. Er, der er diesen Beruf von der Pike auf gelernt hatte, hielt wenig von diesen karrieregeilen Verwaltungshengsten, besonders suspekt waren ihm die Juristen.

      Während seiner Zeit als Streifenpolizist hatte es noch keine Funkgeräte gegeben, erklärte er gerne jedem, der ihn auf seine eigenbrötlerische Art ansprach. „Da war jeder Polizist auf sich gestellt und musste versuchen, mit all den Problemen allein fertig zu werden. Dabei waren Menschenkenntnis und selbstständiges Handeln erforderlich und es blieb keine Zeit für neumodische Polizeitheorien, wie sie die Führungskräfte auf ihren Seminaren heutzutage lernen.“

      Dass sich nun der Hofrat so für diesen speziellen Fall interessierte, musste einfach einen besonderen Grund haben. Bisher war er doch immer froh gewesen, wenn man ihn mit laufenden Untersuchungen nicht weiter belästigte und ihn erst dann zuzog, sobald er der Presse schon stolz einen Täter präsentieren konnte.

      Um näheres darüber herauszufinden, beschloss Pilz, dem Kollegen Baier im Polizeiarchiv einen Besuch abzustatten.

      Die Beiden waren lange Zeit auf derselben Wachstube in der Keplerstrasse, mit Baiers körperlicher Konstitution stand es wegen einiger Leiden jedoch nicht zum Besten, und somit hatte man ihm einen ruhigen Job in der Registratur gegeben.

      “ Servus Gustl, wie geht's der Frau Gemahlin und den Kindern?” fragte er diesen gleich zur Begrüßung.

      “Geh, Schwammerl, jetzt red´ doch net so g´schwollen!” antwortete ihm sein alter Spezi,

      “Du willst mir ja doch nur wieder einen Haufen Arbeit machen, weil du allein nicht mit deinem Fall weiterkommst!“

      Den Spitznamen Schwammerl hatten sie ihm damals auf dem Wachzimmer gegeben, als Anspielung auf seinen Namen Pilz. Und wenn er sich manchmal notgedrungen im Spiegel betrachtete, musste er zugeben, dass seine Figur langsam aber sicher seinem Spitznamen ähnlich wurde.

      “