Carina Obster

Die Nacht gehört den Liebenden


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mach ich gern!«

      Ich fuhr mit der Straßenbahn in den Westen, quer durch die Stadt. Durch das rückwärtige Fenster entschwanden die Welt und das Gebäude aus Zweifeln und Depression, das ich über die letzten Tage hinweg aufgebaut hatte. Dabei war die Schwüle über der Stadt verschwunden, der Himmel war von leichten Regenwolken bedeckt. Einige Leute in der Bahn hatten ihre von der Hitze der letzten Tage erfüllten Körper sorgsam in Jacken geborgen.

      An einer der letzten Haltestellen stieg ich aus. Nach einigen Reihen von Hochhäusern bog ich in eine Allee mit Bäumen ein. Mias WG war in einer Seitenstraße mit niedlichen Reihenhäusern. An einer Seite des Hauses befand sich ein überdachter Balkon; grüne Ranken zogen sich auf einem Spalier an der Hauswand nach oben. Ich musterte die vielen Klingelschilder am Gartentor – anscheinend hatte Mia einige Mitbewohner.

      Ich sah eine dunkle Gestalt am unteren Fenster. Eine halbe Minute später öffnete sich die Haustür und Mia schlüpfte heraus. Sie trug einen groben dunkellila Bademantel, in dem ihre dünnen Arme fast verschwanden. In ihren Hauspantoffeln schlurfte sie zum Gartentor.

      Sie fiel mir in die Arme und streichelte den Haaransatz in meinem Nacken; ich fühlte ihren kleinen Körper durch den Bademantel hindurch. Dann nahm sie mich an der Hand und zog mich hastig zum Hauseingang, wobei sie fast über ihre Pantoffeln stolperte. Ich verspürte den Drang zu lachen und wollte fragen, was los sei, da standen wir schon in der Diele und sie brachte mich mit einem Kuss zum Schweigen.

      »Ich will einfach nicht, dass gleich alle mitbekommen, was los ist«, flüsterte sie.

      »Zum Glück ist eh fast keiner da.«

      Sie zog mich weiter durch den Flur zu einem offenen Zimmer. An der Wand hing so etwas wie ein Putzplan, auf den ich nicht weiter achtete.

      »Komm, setz dich. Willst du was trinken?«

      »Ja, danke, Wasser wär gut.«

      Ich befand mich in dem Zimmer, das auf den überdachten Balkon hinausging; er enthielt eine altmodische Sitzecke, einen Sessel, einen Fernseher und einen Schrank mit CDs und DVDs. Mia kam mit einem Glas in der Hand wieder.

      »Magst du dich nicht setzen?« Sie zeigte auf die Sitzecke.

      »Hmm, ich dachte, wenn du schon krank bist, sollte ich dir vielleicht irgendwas kochen, Suppe oder so?«

      Ich hatte noch nie für jemanden gekocht; im Grunde hielt ich mich nicht gerne in der Küche auf, dort gab es immer irgendetwas zu erledigen, zu dem ich keine Lust hatte.

      »Weißt du was«, meinte Mia, »lass uns doch zusammen Suppe kochen. Mir geht’s auch jetzt schon wieder besser.«

      Sie fuhr sich mit der Hand durch ihr Haar, das wie das ungeordnete Gefieder eines Vogels aussah. Ich musste ihr einfach verfallen sein, dachte ich, allein wegen dieser selbstvergessenen, kindlichen Gesten.

      In der Küche blubberte auf dem Herd ein Topf vor sich hin. Mia hob prüfend den Deckel.

      »Uuuh…das ist von meiner Mitbewohnerin, die macht gerne exotische Eintöpfe.«

      Sie zeigte nach oben. Kurz unter der Decke klaffte ein tellergroßes Loch.

      Mia kicherte: »Da ist mal ein Basketball dagegen gekracht. Seitdem werfen wir da aus Spaß alles Mögliche rein.«

      »Wird das dann nicht irgendwann voll?«

      »Nein, es verschluckt einfach alles. Wir nennen es unser Schwarzes Wurmloch.«

      Sie streckte sich nach oben zu einem Schrank und durchstöberte ihn. Der grobe Bademantel rutschte dabei nach oben über ihre winzigen Knöchel. Auf einmal begann sie zu lachen.

      »Wir haben hier Hühnersuppe von Omas Kochtopf von 2007.«

      Sie warf eine Tüte auf die Linoleumplatte neben dem Herd und sah mich an.

      »Also ich weiß nicht…« Ich wollte nicht, dass Mia noch kränker wurde als ohnehin schon.

      »Hmm.« Ihre Augen funkelten. »Ich hab eine Idee, wie das Ganze zur besten Suppe wird, die du je gegessen hast!«

      Mia nahm kurzerhand den Topf ihrer Mitbewohnerin vom Herd, stellte einen anderen auf die heiße Platte und schüttete das Suppenpulver hinein.

      »Oh nein! Das Wasser!«, schrie sie auf und lief mit dem Topf zum Spülbecken. Lachend drehte sie die Hähne auf; der Wasserstrahl prahlte vom Topfrand ab und spritzte auf ihren Bademantel.

      »Oh…hoppla!«

      Sie stellte den Topf auf den Herd zurück und hastete wieder zum Küchenschrank.

      »Und jetzt muss ich das noch verfeinern!«

      Sie kramte in den Gewürzen herum und stellte verschiedene Tüten und Döschen in rascher Folge auf die Tischplatte. Dann nahm sie zwei in die Hände und begann, großzügige Mengen davon in die Suppe zu schütten. Mit ihrem wirren Haar sah sie aus wie eine kleine Hexe, die einen Zaubertrank zusammenbraute. Die benutzten Gewürze schleuderte sie in eine Ecke neben dem Herd. Als sie nach den letzten zwei Dosen griff, stellte ich mich hinter sie und hielt ihre Arme fest.

      »Hey! Meinst du nicht, dass es genug ist?«

      Sie kicherte und schmiegte sich an mich. Ich schlang meine Arme um ihren Körper und drückte einen sanften Kuss auf ihren vom Schlaf noch warmen Nacken. Sie schmiegte ihren Hintern an mein erwachendes Glied.

      Dann nahm sie mich, ohne sich nach mir umzusehen, an der Hand und zog mich aus der Küche, den Gang entlang bis zu ihrem Zimmer. Sie legte sich mit dem Rücken zu mir aufs Bett und schob ihren Bademantel nach oben; darunter hatte sie nichts an. Ich öffnete meine Jeans und legte mich hinter sie. Als ich in sie eindrang, gab sie nur einen kurzen Laut von sich. Sonst hörte ich nichts mehr als meinen eigenen Atem, der noch schneller und lauter wurde, kurz bevor ich kam. Dann hörte ich nichts mehr. Bevor ich einschlief, sah ich die Buchstaben des Radiohead-Plakats über dem Bett vor den Augen.

       Fitter Happier More Productive

       Comfortable

       Fond But Not In Love

       Still Kisses With Saliva.

      Ich wachte davon auf, dass Mia über meine Beine aus dem Bett kletterte und dabei wirre Worte murmelte. Sie fegte mit ihrem Bademantel den Gang entlang zur Küche und schrie leise auf. Das Abendlicht fiel aus dem Küchenfenster golden in den Gang ein. Verwirrt knöpfte ich meine Jeans zu und folgte dem goldenen Streifen.

      Mia stand am Herd und versuchte mit zitternden Händen, den Topf von der heißen Herdplatte zu schieben. Rund um die Platte und auf dem Boden schwamm schäumendes, mit grünen Gewürzstückchen durchsetztes Wasser. Mia drehte sich um.

      »Essen ist fertig!« Sie lachte schon wieder.

      Wir nahmen den Topf mit ins Wohnzimmer und setzten uns in die Eckbank.

      »Du musst zuerst kosten, ich bin schließlich die Königin und noch dazu krank«, scherzte Mia.

      Ich tauchte den Löffel ein und musste auch lachen, als ich ihn an die Lippen setzte, so dass ich die Suppe fast wieder verschüttet hätte. Ich tastete probeweise mit der Zungenspitze in die Suppe.

      »Hey, schmeckt eigentlich ganz gut!«

      Ich schlürfte die ganze Suppe vom Löffel. Die Gewürze hinterließen ein wohliges Brennen in meinem Rachen. Ich erinnerte mich an den „Granatapfel“, den ich mit ihr in der Bar getrunken hatte. Dann tauchte ich den Löffel wieder in die Suppe und fütterte Mia damit.

      »Mmmmh…« Ihr Gesicht hellte sich auf. »Das wird unser Vermächtnis an die Welt.«

      Nachdem wir fertig gegessen hatten, kuschelte sich Mia zu mir in die Ecke und wir sahen zu, wie der Abdruck der Abendsonne auf der Wand langsam nach unten sank.

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