Diane S. Wilson

Blut und Wasser


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      Diane S. Wilson

      Blut und Wasser

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      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       I.

       II.

       III.

       IV.

       V.

       VI.

       VII.

       VIII.

       IX.

       X.

       XI.

       XII.

       XIII.

       Impressum neobooks

      I.

       Samstag, 7. November 2015

      Die alte Frau klammerte sich an den Rollstuhl ihres Mannes. Ihre kleine, knöcherne Hand verkrampfte sich in dem schwarzen Samthandschuh und drückte den stählernen Griff des Stuhls gegen den eigenen Hüftknochen, der sich bedrohlich weit aus der Kontur ihres schmalen Körpers lehnte. Die Folgen des letzten Sturzes waren nie vollständig verheilt. Alkohol verhinderte eine vollständige Genesung und konservierte den Körper in seinem angeschlagenen Zustand. Die andere Hand presste einen hölzernen Gehstock in den vom Regen aufgeweichten Boden, der sich unter dem feuchten Kunstrasenteppich neben dem Grab befand. In der Mulde am Ende des Stocks begann sich das Regenwasser zu sammeln, das trotz der Armada an Regenschirmen, die sich über den Köpfen der Trauernden aufgespannt hatten, den Boden ohne große Umstände erreichte. Ihr Blick war starr auf den Sarg gerichtet, der gerade vor ihr in die Grube gelassen wurde.

      Zeke stand seiner Großmutter gegenüber auf der anderen Seite des Grabs zwischen seinen Brüdern. Den Schirm hatte er seiner Frau und den Kindern überlassen und so wartete er geduldig bis ein Tropfen nach dem anderen den Weg in seinen Mantelkragen fand und das darunterliegende Hemd gründlich durchnässte. Der kalte Novemberwind zerrte an den Blumen und Blättern des Kranzes, der auf dem Sarg befestigt war. Neben Zeke schlug Philipp den Kragen seines Mantels auf und legte den Schal in engeren Falten um den Hals. Han hingegen stand regungslos neben seinen Brüdern und beobachtete den Priester, der am Kopfende des Grabes stand und schweigend seine Aufgabe erfüllte. Zekes Aufmerksamkeit galt allein seiner Großmutter.

      Noch nie hatte er einen Moment emotionaler Schwäche an ihr beobachten können und auch heute sprachen die Züge in ihrem Gesicht weder von Trauer, noch von Zuneigung. Ihr nervöser Blick driftete immer wieder zu der ausländischen Pflegekraft, die in einer der hinteren Reihen mit der so oft benötigten Sauerstoffflasche wartete. Zeke wusste mit Sicherheit, dass seine Großmutter sich nie dazu herablassen würde, ihr Bedürfnis nach Sauerstoff in der Öffentlichkeit zu demonstrieren. Dennoch sorgte sie penibel dafür, dass die Flasche nie weit entfernt war.

      Der Sarg hatte den Boden des Grabs erreicht und ein dumpfer Ton des Aufpralls kündigte das Ende der zenartigen Passivität der Trauergäste an. Ein entfernter Verwandter rollte Zekes Großvater in seinem Rollstuhl zu der Stelle, an der ein kleiner Erdhügel die Gäste dazu einlud, an der endgültigen Entsorgung des Leichnams teilzunehmen. Der Boden vor dem Grab war weich und die Räder des Rollstuhls sträubten sich gegen den ungewohnten Untergrund. Einige der Umstehenden deuteten in kleinen Gesten Hilfsversuche an, dennoch wagte keiner aus seiner passiven Zuschauerrolle auszubrechen und wirklich anzupacken. Die Geste musste reichen. Zekes Großvater Uther bedachte alle Umstehenden mit einem Blick der Verachtung und Abscheu. Die engere Familie hingegen stand geschlossen und schweigend am anderen Rande des Grabs versammelt und wartete auf ein Ende des Geschehens. Schließlich stand der Rollstuhl in der richtigen Position und Uther blickte auf den vor ihm liegenden Sarg hinunter. Unter keinen Umständen hätte man vermuten können, dass sich in der Holzkiste vor ihm sein einziger Bruder oder zumindest die Überreste eines Bruders befanden. Die Schaufel mit einem kleinen Haufen Erde wurde Uther in die dürre Hand gelegt. Er zögerte einen Moment und schleuderte schließlich, mit mehr Kraft als von ihm zu erwarten gewesen war, die Erde von sich.

      „Bastard!“ Seine Stimme krächzte, als würde er sie nur selten gebrauchen.

      Ein kleiner Teil der Erde erreichte die Wand der Grube und fiel hinab auf den Sarg. Das meiste jedoch landete auf Philipps Schuhen. Uther folgte der Linie seines Wurfs und blickte Philipp provokativ an. Keiner der Brüder ließ auch nur einen Muskel zucken. Philipp erwiderte den Blick seines Großvaters mit leeren Augen, bis dieser sich abwandte und mit einer kurzen Handbewegung andeutete, dass die Beerdigung für ihn beendet war.

      Nachdem Uther in seinem Rollstuhl davon geschoben wurde, folgten auch die anderen Gäste und erwiesen dem Verstorbenen die letzte Ehre. Zekes Großmutter Gertie ließ ein kleines Sträußchen aus Wildblumen auf den Sarg fallen, mit einer Geste, die mehr an die Entsorgung eines schmutzigen Taschentuchs erinnerte. Zeke besah sich die Blumen, die zwischen den frischen Erdbrocken auf dem Sarg zum Erliegen kamen. Sie musste die Pflegekraft in die Großstadt geschickt haben, um zu dieser Jahreszeit frische Wildblumen aufzutreiben. Die Maske der Gleichgültigkeit verlor zunehmend an Glaubwürdigkeit. Zeke hatte vor langer Zeit aufgegeben, verstehen zu wollen, was seine Großmutter umtrieb. Rein die Tatsache, dass keine ihrer Taten ohne Hintergrund geschah, prägte seinen Umgang mit ihr.

      Ein Windhauch wirbelte ein paar Blätter in Zekes Blickfeld auf und riss ihn aus seinen Gedanken. Der Friedhof war fast leer. Die meisten der Trauergäste waren eiligen Schrittes unterwegs zu ihren Autos. Auch Zekes Frau Holly führte seine Söhne bereits an der Hand in Richtung Parkplatz. In der rechten Hand hielt sie noch immer den Schirm, während sie versuchte, beide Jungs mit der anderen Hand über die Kieswege zu lenken und sie davon abzuhalten, zwischen den Grabsteinen umherzuspringen.

      Schließlich verabschiedete sich auch der Priester und die Brüder blieben allein am Grab zurück. Philipp schüttelte wortlos die Erde von seinen Schuhen. Zeke besah sich die Mienen seiner Brüder und war nicht überrascht, auch dort nicht nur Trauer zu finden. Sie fühlten wie er. Erleichterung und die willkommene Illusion von Frieden machten sich in seiner Brust breit, auch wenn er bereits ahnte, dass das Gefühl nicht von Dauer sein konnte. Der Wunsch nach Abschluss würde ihnen vermutlich nie erfüllt werden und die Idee von Absolution war für sie schon vor Jahren in ungreifbare Ferne gerückt.

      Han legte Zeke die Hand auf die Schulter und drängte so zum Aufbruch. Die Brüder verzichteten darauf, den Sarg noch weiter mit Erde zu bedecken und nickten im Vorbeigehen den Grabpflegern zu, damit diese das Werk der Trauergäste vollenden konnten. Der Regen wurde dünner und der Wind brauste auf. Holly wartete bereits im Auto. Sie saß am Steuer und Zeke konnte an ihren Lippen sehen, dass sie dem Song aus dem Radio folgte. Seine Söhne lachten auf dem Rücksitz. Er nickte seinen Brüdern zu und stieg zu seiner