Diane S. Wilson

Blut und Wasser


Скачать книгу

Zeke sich weiter keine Gedanken darüber.

      Nachdem Han verschwunden war, besetzte Zeke den Platz seines Bruders und lehnte sich gegen die Spüle. In dieser Position konnte er gleichzeig Meg ansehen und den Rest des Raumes überblicken. Meg seufzte und sah auf das leere Glas in ihrer Hand.

      „Ich habe es damals übrigens gewusst.“ Sie sah auf. „Nicht von Anfang an, aber irgendwann war ich sicher.“

      Zeke stockte der Atem. Sein Puls fing an zu rasen und sein Hirn begann in gewohnter Manier nach Lösungen zu suchen. Der Raum war zu groß und zu voll, um Meg ohne ihre Einwilligung aus dem Haus zu bewegen. Ihr Blick war klar und deutlich und machte ihm klar, dass die Anwendung von Ausreden und Lügen wohl von wenig Erfolg gekrönt war.

      „Warum hast du nichts gesagt? Der Polizei. Oder den Großeltern.“ Er versuchte seine Stimme gesenkt zu halten, ohne zu flüstern. Flüstern bedeutete Angst. Um alles in der Welt wollte er jetzt keine Angst zeigen.

      „Einen Tag nachdem ich es rausfand war euer Vater plötzlich weg und das Gerangel um Philipp ging los. Da wollte ich nicht noch mehr Chaos verbreiten. Außerdem wollte ich nicht das Zünglein an der Waage sein.“

      Nachdem Zekes Vater Kasper verschwunden war, weigerte sich Zeke, bei seinen Großeltern einzuziehen. Er war bereits volljährig und auch Han hatte damals nur wenige Wochen bis zu seinem achtzehnten Geburtstag. Die beiden waren fest entschlossen, mit ihrem jüngeren Bruder alleine zu leben. Außerdem wollten sie die Firma übernehmen und zwar selbstständig, ohne ihre Großeltern. Philipp war damals erst zwölf und Uther und Gertie hatten mit aller Gewalt um das Sorgerecht gekämpft, auch um einen Anteil der Firma zu kontrollieren.

      Zeke wusste nicht, was er sagen sollte. Er wollte Meg danken, dass sie sie nicht verraten hatte, aber die Angst lähmte ihn. Plötzlich fühlte er sich wieder wie sein siebzehnjähriges Selbst. Meg schien seine Anspannung zu spüren. Sie näherte sich bis sie nur noch wenige Zentimeter von seinem Ohr entfernt war. „Mach dir keine Sorgen. Ich verbuche das unter kleinen Jugendsünden. Wer von uns hat denn noch nie mit Betäubungsmitteln herumexperimentiert?“ Sie legte Zeke kurz die Hand auf dem Oberarm bevor sie in der Menge verschwand, um den leeren Zustand ihres Glases zu beheben.

      Zekes Verstand brauchte einige Sekunden, bevor die Tragweite der eben gehörten Worte vollends in sein Bewusstsein eindrang. Während er den Blick auf den Fußboden gehaftet hielt, wurde ihm klar, dass er keine Ahnung hatte, worauf Meg anspielte. Diese Erkenntnis rankte allerdings zweitrangig hinter der Tatsache, dass dieser Umstand bedeuten musste, dass Meg nicht wusste, wovor Zeke sich fürchtete. Sie war keine Mitwisserin und das Leben seiner Brüder war nicht in Gefahr. Diese Idee schenkte ihm einen kurzen Moment der Erleichterung. Doch der Moment währte nur kurz, bevor ihn die Zweifel wieder einholten und sich wie ein schwerer Ledergürtel um seinen Brustkorb legten. Ruckartig stellte Zeke sein Bier auf die Spüle hinter sich und bemerkte zunächst nicht, dass der Schwung die Flasche hinter ihm ins Wanken brachte und schließlich ihren Fall verursachte. Erst als zwei der umstehenden Gäste sich der Flasche annahmen und den Fluss in die Spüle lenkten, erreichte das Geschehen auch sein Bewusstsein. Er murmelte eine Entschuldigung und ignorierte die umstehenden Gäste, die ihn zum Teil erschrocken, zum Teil aber auch mitleidig ansahen. Die Blicke der Fremden kümmerten ihn nicht, denn nur Philipp, der immer noch in der Nähe saß, sah ihn mit der Besorgnis an, die er selbst empfand. Noch bevor Zeke seinen Bruder erreicht hatte, stand der schon auf seinen Beinen und hatte seinen Sohn sanft in die Arme seiner Mutter geschoben.

      „Es ist Zeit, denke ich.“ Philipp nickte und wandte sich der Tür zu.

      „Kann ich mitkommen?“ Teds Stimme war von Stimmbruch getroffen, aber dennoch stark. Zeke sah auf seinen Neffen hinunter. Ted war zwei Jahre älter als sein Sohn Arthur und so viel reifer. Außer seiner Haarfarbe hatte er nicht viel von seiner Mutter geerbt. Seine Figur erinnerte Zeke an Philipp in jüngeren Jahren, großgewachsen und sehnig. Er wirkte dünn und zerbrechlich, aber Zeke wusste aus eigener Erfahrung, wie viel Kraft in seinem Bruder und auch seinem Neffen steckte. Noch stärker als sein Körper war allerdings sein Verstand. Er war ein geborener Anführer, der keine Scheu kannte und immer sagte, was ihm auf der Seele brannte. Auch wenn Zeke es nicht laut eingestehen konnte, würde er die Firma lieber eines Tages in Teds Hände geben, als sie seinen eigenen Söhnen anzuvertrauen. Insgeheim träumte er davon, dass die drei die Firma später gemeinsam führten, wie er es mit seinen Brüdern jetzt bereits tat.

      „Diesmal nicht, Ted.“ Amy, Philipps Frau, hatte in Zekes Gesten die Antwort auf die Frage ihres Sohnes gelesen. Ted widersprach seiner Mutter nicht und blieb stehen, den Blick auf seinen Onkel gerichtet. „Wenn du älter bist, Kumpel. Und wenn es draußen etwas weniger nass ist.“ Zeke lächelte seinen Neffen an und zwinkerte seiner Schwägerin zu.

      „Das Wasser macht mir nichts aus.“ Zeke war nicht überrascht. Der Junge war schon immer eine Wasserratte gewesen und damit seinem Vater auch hier nicht unähnlich. Er schenkte seinem Neffen ein weiteres Lächeln und verließ dann, ohne ein weiteres Wort, die Küche.

      Vor dem Haus wartete Philipp mit Han bereits auf ihn. Sie verließen die Veranda und Zeke führte seine Brüder in den hinteren Teil des Gartens. Sie gingen wortlos hintereinander her und zwischen den Melodien der Windböen, die durch die zahlreichen Skulpturen ihres Onkels pfiffen, hörten sie nur das Geräusch ihrer Arbeitsschuhe, die sie mit jedem Schritt schwieriger aus dem matschigen Rasen ziehen konnten. Das Grundstück, das zum Haus ihres Onkels gehörte, war schon seit Jahrhunderten in Familienbesitz und wurde nur zur Straße hin durch einen Zaun eingegrenzt. Die Rückseite des Grundstücks lag direkt am Moor. Je weiter man in den Garten vordrang, umso stärker wurde der modrige Geruch, der an regnerischen Tagen noch verstärkt wurde. Die Brüder steuerten auf den einzigen großen Baum zu, der hinter dem Haus noch wuchs. Ihr Onkel hatte einst im Rausch die wenigen Bäume, die in der Nähe des Moores wachsen konnten, gefällt und zu einer großen Statue verarbeitet, die noch heute auf dem Platz vor dem Nine stand und die Widerstandskraft des Trinkers symbolisierte. Zeke hasste die Statue seit jeher und hatte in seiner Jugend mehrmals gedroht, sie anzuzünden. Der letzte Baum im Garten war eine Schwarzerle, die groß und krumm aus dem Bruch wuchs. Etwa auf Brusthöhe teilten sich die Äste und bildeten eine kleine, fast ebene Fläche. Das Holz an dieser Stelle war blankgerieben und von seiner Rinde befreit. Han kniete sich neben den Baum und holte aus einem Hohlraum unter einer Wurzel eine Metalldose hervor. In der Dose befanden sich Streichhölzer und eine kleine, metallene Schale in der Größe eines Handtellers. Die Schale war aus dünnem Material gearbeitet und trug auf dem Boden die Initialen der Brüder. Die Innenfläche war vom Ruß vollkommen geschwärzt, keiner der Brüder hatte jemals das Bestreben gehabt, die Oberfläche zu reinigen. Han stellte die Schale zwischen den Ästen des Baumes ab und nahm die Streichhölzer zur Hand. Zeke holte ein stark verknittertes Exemplar des Kirchenblattes der Beerdigung aus seiner Manteltasche hervor und zerriss es in kleine Stücke. Die Stücke legte er in der Schale ab. Philipp bedeckte sie mit Tabak, den er aus einer von Oskars alten Zigaretten bröselte. Schließlich entzündete Han ein Streichholz und warf es auf das Brennmaterial in der Schale. Die Äste des Baums wuchsen dicht und so bildeten sie ein Dach, das den Großteil des Regens und der Feuchtigkeit fernhielt. Dies erlaubte den Flammen, schnell überzugreifen und in kurzer Zeit brannte ein kleines Feuer, das nur durch gelegentliche Tropfen, die durch die Blätterdecke fielen, gestört wurde.

      Das Feuer brannte eine Weile und schickte kleine Schnörkel aus Rauch in die Blätterkrone, bevor Zeke das Wort ergriff. „Tante Meg weiß von den Betäubungsmitteln.“ Er starrte auf das Feuer und erkannte aus dem Augenwinkel, wie Han überrascht aufsah. „Warum weiß ich nichts davon?“

      „Ich dachte du wusstest es.“ Han war noch nie um eine Ausrede verlegen gewesen. Die Wahrheit stellt für ihn keinen moralischen Wert dar, er nutzte sie wie es die gesellschaftliche Konvention vorgab oder er mehr Nutzen aus ihr ziehen konnte. „Ich hab ein paar Pillen mitgehen lassen. Meg hat es nie angesprochen, also dachte ich sie hätte es nicht gemerkt.“ Die gesamte Zeit spürte Zeke den Blick seines Bruders auf seiner Wange. Schließlich drehte er den Kopf uns sah ihm in die Augen. „Was weiß ich sonst noch nicht?“ Han zuckte nur mit den Schultern.

      Zeke wartete einen Moment, welche der Seelen in seiner Brust die Oberhand gewinnen würde. Da war Wut. Wut, die immer aufstieg, wenn er drohte,