Sabrina Heilmann

Ein letzter Augenblick


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dem Eingang des Blumenladens befand.

      »Ein netter junger Mann«, sagte meine Mutter und schloss auf. Wir liefen die Treppe nach oben in den ersten Stock, wo sie die Wohnungstür aufschloss. Als ich ins Innere trat, staunte ich nicht schlecht. Die Wohnung war groß und im Landhausstil eingerichtet. Alles bestach durch helle Farben und die bunten Akzente, welche die frischen Blumen brachten. Ich schloss die Augen und sog ihren Duft ein. Hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich geglaubt, ich befände mich in einem Cottage auf dem Land.

      »Die Wohnung ist traumhaft schön«, flüsterte ich.

      »Danke, Schatz. Wir haben ein Gästezimmer. Du musst nicht auf der Couch schlafen.« Meine Mutter öffnete eine Tür und ich trat in ein liebevoll eingerichtetes Schlafzimmer. Zarte Flieder- und helle Cremetöne fanden sich an den Wänden und in der Einrichtung wieder. Auf dem Nachtschrank stand ein Strauß frischer Schnittblumen. »Du kannst so lange bleiben, wie du möchtest.«

      Mit einem Lächeln auf den Lippen sah ich mich um. Obwohl ich das Zimmer traumhaft fand und tatsächlich mit dem Gedanken spielte, länger zu bleiben, ging mir eine Sache dennoch nicht aus dem Kopf. Wo hatte ich vor meinem Unfall gelebt? Hatte ich eine eigene Wohnung gehabt, oder war ich vielleicht sogar mit meinem Freund zusammengezogen?

      Ich drehte mich zu meiner Mutter um. »Mom, nur eine Frage: Wo habe ich vor dem Unfall gewohnt?«

      »Du hattest eine eigene Wohnung in Edinburgh, Liebes.« Meine Mutter atmete tief durch. »Ich hatte mich nach deinem Unfall mit dem Vermieter in Verbindung gesetzt. Das Geld kam regelmäßig von einem britischen Konto. Genaueres konnte er mir nicht sagen.«

      »Das heißt, jemand hat die Miete über all die Jahre bezahlt?«

      »Ja, ich denke schon. Ich hatte deinem Vermieter gesagt, er solle mich anrufen, wenn es zu Schwierigkeiten kommt. Da er das bisher nicht getan hat, vermute ich, dass du deine Wohnung noch so vorfinden wirst, wie du sie verlassen hast. Das ist aber kein Thema, das wir jetzt besprechen sollten. Ruh dich aus.«

      Ich beließ es dabei, weil ich mich erschöpft fühlte. Aber ich dachte immer wieder daran, dass ich eine Wohnung hatte, die mir die Antworten geben konnte, nach denen ich suchte. Ich musste dringend nach Edinburgh.

       Kapitel 3

      Obwohl ich am Abend schnell eingeschlafen war, hatte ich dennoch eine unruhige Nacht hinter mir. Immer wieder war ich wach geworden und hatte in die Dunkelheit gestarrt. Ich fragte mich, ob mein Körper nach so vielen Jahren genug davon hatte, sich auszuruhen.

      Deswegen begann ich den neuen Tag mit Kopfschmerzen. Als ich mich endlich aus dem Bett bewegte, war es zehn Uhr morgens. Sicher war meine Mutter bereits im Blumenladen. Steven, der gestern Nachtschicht hatte und vermutlich immer noch schlief, hatte ich bisher nicht kennengelernt.

      Leise gähnend verschwand ich im Badezimmer, wo ich mich auszog und unter die Dusche stieg. Ich drehte das Wasser fast kochend heiß auf, so wie ich es mochte, und stellte mich darunter. Ich hielt den Kopf unter die prasselnden Tropfen, schloss für einen Moment meine Augen und genoss die Ruhe, die ich dadurch empfand. Wasser hatte auf mich schon immer eine beruhigende Wirkung gehabt.

      Nachdem ich meinen Körper und meine Haare gewaschen hatte, stieg ich aus der Dusche und trocknete mich ab. Glücklicherweise hatte mir meine Mutter neue Kleidung besorgt, sodass ich wenigstens etwas anziehen konnte, das mir ein Stück Normalität zurückgab.

      Ich verließ das Badezimmer und ging auf direktem Weg in den Blumenladen. Kaum hatte ich die Tür geöffnet, umströmte mich der blumige Duft, den ich schon immer geliebt hatte. Ich atmete tief durch und schenkte meiner Mutter ein Lächeln, die gerade einen Strauß aus Rosen für einen jungen Mann band.

      Bis Mom fertig war, hielt ich mich im Hintergrund auf und sah mich ein bisschen in dem Laden um. Er war nicht groß, dafür aber wunderschön. Der weiße Kassentresen stand in der Mitte des hinteren Teils, dahinter befand sich nur noch ein Arbeitsplatz, an dem meine Mutter die Sträuße band und Gestecke vorbereitete. In jeder Ecke standen unterschiedliche Blumen. Schnittblumen, Topfpflanzen, Pflanzen für drinnen oder für den Garten. Auch einige Dekoartikel, Dünger und andere Kleinigkeiten fanden ihren Platz.

      »Hey.« Ich drehte mich zu meiner Mutter um und umarmte sie kurz. »Was machst du denn hier?«

      »Ich dachte, ich schau mir deinen Laden mal an ... und irgendwie hoffe ich, du hast Kaffee.« Ich lächelte unsicher.

      »Natürlich habe ich Kaffee.« Ich folgte meiner Mutter in einen kleinen Nebenraum, den sie als Pausenraum eingerichtet hatte. Mom nahm zwei Tassen aus dem Schrank und füllte sie mit Kaffee aus der Thermoskanne. Sie gab etwas Milch und Zucker hinzu, so wie wir es beide liebten, und reichte mir meine Tasse.

      »Danke.«

      »Steven schläft noch?«

      »Ich denke schon, zumindest habe ich ihn bisher nicht kennengelernt.«

      Meine Mutter nickte lächelnd und ich richtete meinen Blick auf den Kaffee. Eigentlich wollte ich mit ihr über so vieles sprechen, doch aus irgendeinem Grund verließ mich der Mut. In meinem Kopf wandelten tausend Fragen umher, doch ich traute mich nicht, auch nur eine davon zu stellen. Ich fürchtete mich davor, etwas zu erfahren, das mich verletzen konnte.

      »Kann ich dir helfen?«, fragte ich stattdessen und meine Mutter nickte zustimmend. Mir war klar, dass ich ihr im Laufe des Tages alle Fragen stellen musste, die mir auf der Seele brannten - sicher erwartete sie das auch von mir - doch in diesem Moment wollte ich nur ein bisschen Ruhe.

      Steven kam am frühen Nachmittag in den Blumenladen und ich freute mich, ihn endlich kennenzulernen.

      »Liebling, du hast mir nicht gesagt, wie hübsch deine Tochter ist. Hallo, ich bin Steven.« Er schenkte meiner Mutter ein verliebtes Lächeln und umarmte mich.

      »Hallo«, erwiderte ich und löste mich von ihm. Steven war ein freundlicher Mann, Anfang fünfzig mit dunklen Haaren und fast schwarzen Augen, den ich auf den ersten Blick wohl für einen griesgrämigen Highlander gehalten hätte. Er hatte diese raue Ausstrahlung, die mich einschüchterte, aber mir wurde sofort klar, dass dieser Eindruck täuschte. Ganz offensichtlich war er ein offener und freundlicher Mensch, der immer einen witzigen Spruch auf den Lippen hatte.

      Als ich die Blicke bemerkte, die er mit meiner Mutter tauschte, seufzte ich leise. Ihre Liebe zueinander ließ sich nicht leugnen und ich war glücklich, dass meine Mutter einen Mann wie Steven gefunden hatte. Ich sah ihm an, dass er für sie durchs Feuer gehen und sie beschützen würde.

      Ich hatte Mom vermutlich noch nie so glücklich gesehen. Die Trennung von meinem Vater hatte ihr zu schaffen gemacht, doch sie versuchte, ihre wahren Gefühle zu überspielen. Es war immer offensichtlich gewesen, dass meine Mutter mich dadurch schützen wollte. Je älter ich geworden war, desto klarer wurde mir das. Wenn ich darüber nachdachte, hatte ich mich schuldig deswegen gefühlt. Mom hatte für mich auf die Liebe verzichtet, solange ich klein gewesen war. Dass sie ihr Glück endlich gefunden hatte, weil sie wegen mir hierherziehen musste, entschädigte die Jahre der Einsamkeit wohl ein bisschen.

      »Gewöhnst du dich langsam wieder ein, Emilia?«, fragte mich Steven, als Mom sich gerade um eine Kundin kümmerte. Ich zuckte mit den Schultern.

      »Es ist schwer, sich an etwas zu gewöhnen, von dem man nicht weiß, ob es zum Alltag gehört.« Steven und ich waren in den kleinen Pausenraum gegangen, wo auch er sich erst einmal eine Tasse Kaffee nahm.

      »Ja, das glaube ich dir. Ich arbeite hier in der Gegend als Notarzt, weswegen ich in etwa weiß, wie es dir gehen muss.«

      »Das weiß niemand«, erwiderte ich leise.

      »Ja, das stimmt leider.« Steven lachte. »Entschuldige, aber bei den meisten Leuten funktioniert das.«

      »Diese einfühlsame Art ist so eine Masche von euch Ärzten, oder?« Auch wenn mir nicht nach Lachen zu Mute war, schaffte Steven es dennoch, mir ein Schmunzeln zu entlocken.

      »Irgendwie schon. Was ich damit sagen will: