Chris Cartwright

Der Schlüssel zum Glück


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auf den dunkelhäutigen Hans abgesehen, und so hatten sie das Lager der Fahrtengruppe bei Nacht eingekreist und mit Parolen und rechten Liedern in Angst und Schrecken versetzt. Nach gefühlten, endlosen Stunden hatte der Terror dann seinen Höhepunkt erreicht, als es kurz vor Sonnenaufgang zu einem kurzen aber brutalen Schlagabtausch zwischen zwei der Glatzköpfe und Hans kam. Andy und die anderen Jungen waren versteinert vor Angst und schockiert über die banale aber brutale Ablehnung des schwarzen Gruppenleiters, der sogar noch den deutschen Namen „Hans“ trug. Der Kampf, wenn man es überhaupt so nennen konnte, beschränkte sich auf die Selbstverteidigung von Hans gegen die brutalen Schläger, doch rasch war Hans handlungs- und kampfunfähig gemacht. Einer der Rechtsradikalen hatte ihn mit einem großen Holzbalken einen heftigen Schlag gegen das Bein versetzt und Hans ging fast wie betäubt vor Schmerz zu Boden. Es geschah alles in Sekundenschnelle, aber noch bevor Hans auf dem Boden aufprallte hatten die Glatzköpfe Reißaus genommen. Gott sei Dank.

      Hans wurde ins Krankenhaus gebracht, wo festgestellt wurde, dass sein Bein gebrochen war und er einige schwere Prellungen erlitten hatte.

      So musste die Fahrtengruppe wohl oder übel den Heimweg antreten, und das bereits eine Woche vor dem geplanten Ende der Fahrt. Das war so ziemlich das Schlimmste, das Andy jemals erlebt hatte, und es hat ihm auch im Nachhinein noch manch schlaflose Nacht bereitet.

      Es gibt eben Dinge oder Erlebnisse, die einen Menschen verändern, nach denen man einfach nicht mehr normal weiter leben kann wie zuvor, und das war ein solches Erlebnis.

      Seine zweite Leidenschaft war eine Band, die er vor zwei Jahren mit ein paar Freunden aus seiner frühen Jugendzeit gegründet hatte. Er spielte Gitarre, eher schlecht als recht, aber für die Singerunden der Pfadfinder am Lagerfeuer vollkommen ausreichend. Die Band war auch mehr am miteinander Musizieren und Spaß haben orientiert, und weniger an einer erfolgreichen Karriere, jedenfalls empfand Andy es so.

      Andys bester Freund war seit früher Jugend an Sam Pearl gewesen. Bis vor wenigen Jahren lebte Sam mit seinen Eltern in der direkten Nachbarschaft von Andy, sodass sie fast ihre gesamte Kindheit und Jugend gemeinsam verbrachten, doch dann wurde Sams Vater im Dienst versetzt, und so musste Sam mit seinen Eltern einige Kilometer weit wegziehen. Nun gingen Andy und Sam leider nicht mal mehr zusammen auf die gleiche Schule.

      Da sich die beiden Freunde nun nur noch sehr unregelmäßig bzw. fast gar nicht mehr sahen, beschlossen sie, sich einmal wöchentlich regelmäßig in der Stadt zu treffen.

      An ihrem Lieblingsort, einem historischen Denkmal einer alten Zollstation oberhalb des großen Flusses gelegen, wo sie miteinander ein Bier tranken und ihre Freundschaft pflegten.

      Und das taten sie. So wurde der Mittwochabend eine feste Institution in Andys und auch Sams Leben, und um dem alle Ehre zu machen, ließen die beiden Freunde sich nicht einmal von Schnee, Wind, Regen und Kälte abhalten, ihrer Tradition nachzukommen.

      In der Schule war Andy kein Überflieger, eher im Gegenteil. Ihm war das stupide Auswendiglernen und Anwenden vieler Fächer einfach zu blöde. Es sollte ein Wunder sein, dass Andy die Schule überhaupt mit dem Abitur abgeschlossen hatte, denn seine Interessen lagen schon immer mehr in den praktischen Dingen und nicht in der Theorie.

      Tatsächlich freute sich Andy bereits als kleiner Junge darauf, erwachsen zu werden und das Leben, die Liebe und die schönen Momente in vollen Zügen genießen zu können. Doch die Eskapaden seiner Jugend hatten diese Hoffnungen und Träume in ihm zerstört.

      Daraus resultierte eine anfängliche Depression, da Andy von sich selbst und seinem Lebensinhalt enttäuscht war, er hatte einfach höhere Erwartungen vom Leben.

      Was hatte er sich als Junge alles erträumt, Dinge zu erleben, Erfahrungen zu machen und einfach glücklich und zufrieden mit sich selbst und seinem Leben zu sein. Davon war er jedoch sehr sehr weit entfernt.

      Schüchtern aber bedacht versuchte er sein Leben zu führen, was ihm jedoch nicht in zufriedenstellendem Maße gelang. Es wurde Zeit dass er sein Leben endlich selbst in die Hand nahm auf die Reihe bekam.

      Auch die ein oder andere ungewöhnliche Eigenschaft prägte Andy. Zum Beispiel gefiel es ihm nicht, wenn jemand etwas Nettes über ihn sagte oder ihm gar ein Kompliment machte. Gegen Lob ist man machtlos, egal wie banal oder schlicht es auch sein mag.

      Er konnte sich, zumindest zum damaligen Zeitpunkt, selbst nicht sonderlich gut leiden und so empfand er es als unangemessen und unangebracht, wenn jemand ihn lobte. Denn er war auf sich selbst und auf seine momentane Lebenssituation alles andere als stolz.

      Zwar war er ein guter und treuer Kamerad für seine Freunde und auch seinen Eltern gegenüber war er stets bemüht, aber für sich selbst hatte er nur wenig getan.

      Denn er wusste schlicht und einfach nicht, wie und was er anstellen sollte, um glücklich und zufrieden zu sein.

      Auch war er streng gegenüber jedermann, aber vor allem zu sich selbst.

      Zwar war er jemand, dem es stets egal war, was andere über ihn dachten, doch er schätzte die ehrliche und aufrichtige Meinung seiner Freunde und Familie.

      Außerdem mochte er es alleine zu sein, Spazieren oder Joggen zu gehen, Zeit für sich zu haben.

      Aber er hasste es für längere Zeit alleine zu sein, sodass die schlechten Gedanken überhand nehmen können. Er mochte es alleine zu sein, aber er hasste die Einsamkeit.

      Andy war jemand, der einen stetigen inneren Kampf mit sich selbst auszufechten schien und so immer hin und her gerissen war, dass er gerade so mit sich selbst ins Reine kam.

      „Ich denke, also bin ich“ war für ihn ein Kalenderspruch, dem er absolut nichts abverlangen konnte.

      Seine Realität sah eher aus wie „Ich denke zu viel, also weiß ich nicht mehr, wer ich eigentlich bin.“

      Andy war ein Denker mit durchaus tiefgründigen Gedanken, gleichwohl grübelte er über viele Dinge nach, viel zu viele Dinge, so dass er schließlich nicht mehr wusste, wer, was oder wie er ist oder sein sollte.

      Die Daseinsbewältigung machte ihm zu schaffen.

      Es war ein trauriges Grübeln, wie das Ertrinken in Selbstmitleid, ohne eine Lösung oder ein positives Ergebnis.

      Es schien, dass gänzliche Freude aus seinem Leben schon seit geraumer Zeit verschwunden war, er war wie gelähmt, und das Leben zog an ihm vorbei.

      Die Lektion, dass einem das Leben nichts schenkt, sollte er erst noch auf harte und tragische Weise lernen, ebenso wie die Entbehrlichkeit des Einzelnen in der Welt.

      Und so quälte er sich von Tag zu Tag mit der inneren Hoffnung, dass in seinem Leben irgendwann etwas Aufregendes, Spannendes oder Schönes passieren würde, was ihn bewegen, verändern oder ihm eine Richtung weisen würde, was jedoch nicht geschah.

      Er fühlte sich verloren. Und am liebsten würde er gerne alles hinter sich lassen und seine Geschichte neu schreiben.

      Wohin war bloß das Feuer verschwunden, dass früher einmal heiß und Leidenschaftlich in ihm brannte, dass sich nach Abenteuern sehnte?

      Aber was war er für ein Typ?

      Kompliziert, soviel ist sicher. Beherzt und anspruchsvoll, grundsätzlich misstrauisch, und doch unsicher in seiner selbst. Hoffnungsvoll, wenn auch manchmal zweifelnd. Pragmatisch und doch orientierungslos.

      Er war Gefangener seines eigenen Anspruchs und seiner Unzulänglichkeiten.

      Geplagt von immer wiederkehrenden, negativen Gedanken und Schuldgefühlen.

      Andy war schon irgendwie verkorkst, nicht gerade auf die einfache und angenehme Weise. Ihn plagten häufig Albträume, oftmals mit wiederkehrenden Motiven, was es ihm nicht einfach machte zur Ruhe zu kommen und Schlaf zu finden. Auch fiel es ihm schwer, weil ihm der Tag nie genug war oder ihm nie genug gebracht hatte.

      Andy hatte in seinem Leben noch nichts Großes oder Bedeutendes erreicht und das wurmte ihn gewaltig. Selbstvertrauen entsteht durch selbst erlebten Erfolg, und den Begriff „Erfolg“