Johanna Danneberg

Bis ins Hochland, dann nach links


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Das war wirklich ärgerlich gewesen, zumal sich der Vorfall, als ich gegen die Entscheidung protestiert hatte, ziemlich in die Länge gezogen hatte und ich am Ende, natürlich ohne das Pfefferspray, noch beinahe meinen Flug verpasst hätte.

      Glücklicherweise hatte ich nach meiner Landung in Glasgow mittels einer schnellen Internetrecherche einen Laden in der Innenstadt ausfindig machen können, der auf Notfallvorsorge, Überleben in der Wildnis und biologische Kleinkläranlagen spezialisiert war. Dort hatte ich nicht nur eine Gaskartusche für meinen Kocher bekommen, sondern auch eine neue Dose Pfefferspray.

      So ausgerüstet stand ich immer noch in der Fußgängerzone von Milngavie, und sah dem Mann und seinem Hund hinterher.

      Dann tat ich das, was ich immer tue, wenn mir jemand einen guten Rat gibt: nämlich genau das Gegenteil. In diesem Fall hieß das, dass ich meine Wanderstöcke packte und in Richtung Pub stiefelte.

      ***

      Wie in jeder britischen Kleinstadt lag der Pub von Milngavie an zentraler Stelle im Ort. Er hieß „The Jacobite's Arms“, was auf die blutige Tradition schottischer Aufstände gegen die Engländer hindeutete. Das wusste ich, weil ich im Vorfeld meiner Reise zu Recherchezwecken eine Fernsehserie geschaut hatte, in der sich eine zeitreisende Frau unversehens inmitten einer Armee schottenrocktragender Hochlandkrieger, den Jakobiten, wieder findet, und sich selbstverständlich in einen von ihnen verliebt. Nach 28 Folgen hatte ich das Gefühl gehabt, mich bestens mit schottischer Geschichte und Lebensart auszukennen, was sich nun bestätigte, als ich den Namen des Pubs las.

      Gerade öffnete sich die Tür. Ein Mann in Sakko und Anzughose trat heraus, klappte den Kragen hoch und zündete sich eine Zigarette an. Aus dem Inneren des Pubs drangen Gemurmel und Musik. Ich trat ein. Der dunkle Holzfußboden klebte ein wenig, in einer Ecke standen ein Billardtisch und ein Flipperautomat und auf dem kleinen Röhrenfernseher an der Wand lief Fußball.

      Ich steuerte den Tisch unterhalb des Fernsehers an, da ich dort an der Wand eine Steckdose entdeckt hatte, kramte das Ladekabel aus dem Rucksack und steckte das Handy dran. Dann ging ich an den Tresen. Schräg gegenüber saß ein massiger Kerl und betrachtete sein leeres Glas, das winzig aussah in seinen großen Händen. Er hatte einen buschigen rötlichen Bart und trug die Haare in einer Art Dutt auf dem Hinterkopf; unauffällig lugte ich um den Tresen herum, um festzustellen, ob er einen Schottenrock trug. Das war nicht der Fall.

      „Noch einen für dich?“, sprach ihn die Barkeeperin an.

      Der Mann nickte und schob einen Schein rüber. Ich beobachtete, wie sie ihm einen Apfelsaft eingoss.

      „So einen nehme ich auch“, sagte ich in meinem Schulenglisch, bezahlte, und erwähnte etwas lauter als nötig: „Ich wandere den West Highland Way.“

      Die Frau, sie war deutlich jünger als ich, lächelte breit und antwortete mit australischem Akzent:

      „Ihr Verrückten. Ich könnte das nicht. Die Kälte im Hochland, der ewige Wind... Und dann erst die Mücken!“

      „Gestochen werden eh immer die anderen“, sagte ich.

      Die Barfrau zog die Augenbrauen hoch, und stellte mir den Apfelsaft hin. Ich sah zu dem Rothaarigen hinüber, aber dessen Aufmerksamkeit war auf den Fernseher gerichtet.

      „In Schottland trinkt man Bier“, sagte neben mir jemand auf Deutsch. Ein hagerer Typ mit schwarzem Basecap war an den Tresen getreten.

      „Man sieht mir wohl an dass ich Deutsche bin?“, fragte ich.

      „Man hört es.“

      In akzentfreiem Oxford Englisch bestellte er drei Bier. „Streber“, sagte ich.

      „Nö. Englisch-Lehrer.“

      Er bezahlte seine Pints und wendete sich mir mit einem Schmunzeln zu. Ich bemerkte einen tätowierten Drachen an seinem Hals. Zusammen mit dem Drei-Tage-Bart und dem schmalen Gesicht hatte er etwas Verlebtes an sich, wie von jahrelangem Schlafmangel. Ich schätzte ihn auf etwa mein Alter, wobei ich mich da auch täuschen konnte (ich selber zum Beispiel ging locker für 25 durch, obwohl ich letztes Jahr 31 geworden war). Mit geübtem Griff klemmte er die drei Biergläser zwischen die langen Finger, und ich sah, dass auch seine Hände mit Tattoos übersät waren.

      „Ja klar, Englisch-Lehrer. Und ich bin die Queen.“

      „Ach so? Ich dachte, Mary Poppins.“

      Seine Augen wanderten kurz zu dem Bubikragen mit Schleife an meiner Bluse, bevor er mich wieder direkt fixierte. Er hatte hellbraune, wache Augen.

      „Dann kannst du mir ja bestimmt auch sagen, wie man den Namen dieser Stadt ausspricht.“

      „Klar. Milngavie.“ Es klang tatsächlich ziemlich authentisch. „Mach dir nichts draus. Ich hab den Vorteil, dass mein Vater aus Schottland stammt, deswegen komme ich gut mit dem Dialekt klar. Aber meine Kumpels dahinten, ick schwör dir, die verstehen kein Wort seit wir hier sind.“

      Er deutete in Richtung Eingangstür, zu einem Tisch ein paar Meter von meinem entfernt, wo zwei Männer auf den Stühlen fläzten. Ich sah leere Pint Gläser auf ihrem Tisch und drei Wanderrucksäcke an der Wand neben ihnen.

      Die Art, wie er „ick schwör dir“ gesagt hatte, ließ mich fragen:

      „Seid ihr aus Berlin?“

      „Neukölln“, bestätigte er, und ging mit dem wiegenden Schritt von trainierten Männern zu seinem Tisch. Na gut, dachte ich, ein mit Tattoos übersäter Englisch-Lehrer, das war in Berlin sogar halbwegs glaubhaft. Seine Kumpels nahmen die frischen Biere entgegen, und er rutschte auf einen freien Stuhl.

      Als ich kurz darauf mit meinem Saft an ihnen vorbeiging, neigte der Typ mit Basecap den Kopf in einer ironischen Verbeugung und prostete mir zu, als wäre ich wirklich die Queen.

      Ich nahm demonstrativ mein Handy zur Hand, um auch dem Rest meiner Familie – also Mama, Papa und meiner Schwester Laura – zu schreiben, dass ich gut angekommen sei. Aber die Anwesenheit des Halbschotten einige Tische weiter nahm ich wahr, als hätte die Luft dort einen anderen Aggregatzustand.

      Die Tür zum Pub ging auf, ein Pärchen in farblich abgestimmten Wanderklamotten trat, einen kräftigen Windstoß mit sich bringend, ein; ihnen folgte eine Gruppe einheimischer Damen, die sofort zur Bar strebten und Gin Tonics bestellten. Zu ihnen gesellten sich kurz darauf ihre Männer, und während sich der Pub zusehends füllte, ließ meine Anspannung nach. Ich sah auf die Uhr. Kurz nach halb sechs. Es würde noch bis weit nach neun hell sein. Mein Plan war, heute noch ein oder zwei Kilometer aus Milngavie rauszukommen, irgendwo mein Zelt aufzuschlagen, um morgen früh frisch und ausgeruht die erste Etappe zu starten.

      ***

      Eine halbe Stunde später saß ich immer noch in meiner Ecke. Ich hatte mich über die Messenger App auf dem Handy festgequatscht mit meinem besten Freund Heinrich. Er befand sich grundsätzlich in einer anderen Zeitzone als ich, aber als ich ihm vorhin eine Nachricht geschickt hatte mit meinem Standort und meinem Vorhaben, war er zufällig gerade online gewesen und hatte sofort reagiert: „Schottland, Mella?! Ernsthaft? Haben die da überhaupt Cappuccino?“

      Wir hatten uns im Hörsaal 1 der Humboldt-Universität Berlin kennengelernt, Studiengang Kunstgeschichte, erste Vorlesung, „Einführung in die Formanalyse und Grundlagen der Bildgeschichte“. Ich hatte mindestens zehn Minuten lang aufmerksam gelauscht, Notizen gemacht und mich angemessen verhalten. Dann, als ein anderer Student sich bei einer Frage der Professorin schnipsend wie ein Erstklässler gemeldet hatte, war mir halblaut herausgerutscht: „Die Gemüselasagne hat einen Haken“. Mein Sitznachbar hatte sich erkundigt, ob er mir irgendwie helfen könne. Ich hatte geantwortet, dass er sich keine Sorgen machen müsse, das sei nicht ansteckend. Nach der Vorlesung waren wir einen Cappuccino trinken gegangen, und seither unzertrennlich. Als ich nach drei Semestern das Studium schmiss, mein Kinderzimmer in der Wohnung meiner Mutter räumte, und in eine WG in Kreuzberg zog, half Heinrich mir beim Umzug – wobei er eigentlich mehr in einer Ecke stand und darauf achtete, mit seinem Vintage Hugo Boss Sakko keine der Wände zu berühren, als dass er wirklich mit anpackte. Als einige Jahre später