Johanna Danneberg

Bis ins Hochland, dann nach links


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Vorhaben, mich eines Tages an der Universität der Künste zu bewerben, war er es schließlich gewesen, der ohne mein Wissen eine Bewerbung in meinem Namen losgeschickt hatte. So war ich damals zu einem „richtigen“ Job gekommen – als Sachbearbeiterin für Kommunikation am Schloss Charlottenburg, bei der Stiftung Preußische Schlösser.

      Es war ein guter Job gewesen. Bis vor zwei Monaten, als ich gekündigt hatte.

      ***

      Ich verabschiedete mich mit einem Kuss-Smiley von Heinrich. Es war kurz nach sechs.

      Auf der Toilette betrachtete sich gerade eine blonde junge Frau, die noch kleiner war als ich, und ein hautenges rosa T-Shirt zu einer roten Funktionshose trug, mit dem selbstkritischen Blick von gutaussehenden Menschen im Spiegel. Als ich aus der Kabine trat, stand sie immer noch da. Auf meine lila Stiefel deutend sagte sie in schottischem Englisch:

      „Die sind ja ganz entzückend!“

      „Endlich bemerkt das mal jemand.“

      Beide musterten wir daraufhin ihre eigenen braun-grünen Wanderschuhe. Sie waren knöchelhoch, aus Goretex, und potthässlich. Sie schien drauf und dran, sich dafür zu entschuldigen, und wir mussten beide grinsen.

      So kamen wir ins Gespräch. Juliette stammte aus Inverness, oben im Norden, und wollte den West Highland Way gemeinsam mit einer Freundin und ihrer Mutter laufen, die beide noch auf dem Weg hierher seien, aber in Kürze im Pub eintreffen würden. Heute Nacht würden sie alle drei in einem der Bed & Breakfasts in Milngavie übernachten, um dann morgen früh zu starten.

      „Aber ich schaff das sowieso nie im Leben“, vertraute sie mir an.

      Und wieso machst du es dann?, wollte ich fragen, aber sie redete schon weiter, und zwar über die Wetterprognose, die keinen Regen für die nächsten drei Tage vorausgesagt habe, aber dass man in Schottland genau genommen nur die nächsten drei Stunden halbwegs verlässlich voraussagen könne.

      „Jeder weiß das, trotzdem reden alle über die Drei-Tages-Prognose“, erklärte sie. Wir hatten unterdessen die Toilette verlassen. Juliette ging zur Bar und bestellte einen Cider. Während sie auf das Getränk wartete, lehnte sie sich mit dem Rücken an den Tresen, die Ellenbogen darauf gestützt, und ließ ihren Blick im Pub umherwandern. Um mich herum schnappte ich Gesprächsfetzen auf von amerikanischem Englisch, aber auch Französisch und Spanisch. Die Gruppe schottischer Frauen von vorhin lachte schrill über eine Bemerkung, die einer der Männer gemacht hatte, und die Barkeeperin hatte Verstärkung hinter der Theke bekommen. Ein paar mehr Anzugträger hatten sich zu dem Raucher von vorhin gesellt, aber auffällig viele Leute trugen Wanderklamotten. An einem der hinteren Tische putzte eine grauhaarige Frau völlig ungerührt von dem ganzen Gewusel um sie herum ihre Wanderschuhe. Der Fernseher übertönte die Geräuschkulisse. Juliette zog mich zu sich heran.

      „Hey schau mal, wie findest du den da hinten, mit den dunklen Haaren? Ich steh ja irgendwie auf diese südländischen Kerle...“

      Sie deutete zu dem Tisch, an dem die drei Berliner saßen. Der eine war tatsächlich ein eher dunkler Typ, ich vermutete türkischstämmig. Ich nickte unverbindlich und beobachtete den hageren Halbschotten mit Basecap, der gerade lauthals lachte, während Juliette sich zur Bar umdrehte, um ihren Cider entgegen zu nehmen.

      „Trinkst du gar nichts?“, wollte sie wissen.

      „Sie nimmt einen Apfelsaft“, sagte der Halbschotte, der plötzlich neben uns am Tresen stand, in Richtung Barkeeperin, und dann, formvollendet, zu Juliette und mir: „Ladys, die Runde geht auf mich.“

      Ich wechselte einen Blick mit Juliette, die natürlich registriert hatte, von welchem Tisch er gekommen war. Mein Rucksack lehnte ein Stück weiter an der Wand und sah tonnenschwer aus.

      „Gut, auf deine Rechnung, Professor Snape“, sagte ich.

      Sie kamen alle drei aus Neukölln. Der Halbschotte hieß Craig, wurde aber von seinem Kumpels Mackie genannt, und war in Dumfries, Schottland geboren. Mit 14 hatte es ihn zusammen mit seiner Mutter, einer gebürtigen Deutschen, nach Berlin verschlagen. Auf dem Gymnasium in Neukölln hatte er dann Mesut kennengelernt – das war der „südländische Typ“, der nun rechts neben ihm saß. Mesut hatte einen Fußballerhaarschnitt mit rasierten Schläfen und längerem Deckhaar, arbeitete bei dem Saturn Markt am Alexanderplatz als „Junior Manager Operations“, und trug eine brandneu aussehende Funktionshose, anders als Mackie, dessen Wanderklamotten aus Jogginghose und Kapuzenpulli bestanden. Gleich, nachdem Mackie ihn Juliette und mir vorgestellt hatte, verschwand Mesut mit seinem Handy und einer Packung Kippen nach draußen.

      Der dritte im Bunde hieß Basti, hatte volle Lippen, dichtes dunkelblondes Haar, und war vollkommen bartlos, was ihn seltsam jugendlich aussehen ließ. Er sei selbstständig, „E-Roller, ihr wisst schon“, sagte er. In der Zeit, in der Mackie einen Schluck Bier trank, leerte Basti sein ganzes Glas, machte aber einen nüchternen Eindruck. Er trug eine Brille mit getönten Gläsern, und ich hatte den Verdacht, dass er dahinter auf Juliettes und meine Brüste starrte; bekleidet war er mit einem Bundeswehroutfit samt Springerstiefeln.

      Die drei gaben eine ziemlich schräge Truppe ab.

      Mackie bestritt in seinem gepflegten Englisch den größten Teil der Unterhaltung. Gerade tauschte er sich mit Juliette über die Unterkünfte auf der Tour aus.

      „Also wir haben alles schon letztes Jahr gebucht“, erzählte sie. „So sind wir gezwungen, jeden Tag zu wandern, und können uns nicht drücken. Wir planen 6 Tage, jeden Tag im Schnitt etwa 16 Meilen, wobei die Tagesetappen natürlich unterschiedlich lang sind.“

      Das entsprach dem, was in meinem Buch über den West Highland Way stand. Die meisten Wanderer gingen den Weg in 6 Tagen.

      „Wir brauchten nichts buchen“, erklärte Mackie. „Haben unsere Unterkunft dabei.“

      „Genau wie ich“, warf ich ein.

      „Ist das nicht kalt im Zelt?“, fragte Juliette.

      „Vielleicht finde ich ja jemanden, der mich wärmt“, sagte ich.

      „Gerne!“, meldete sich Basti. Ich sagte:

      „Schafe. Ich meinte Schafe. Ich kuschel mich einfach an ein wolliges Lämmchen.“

      Basti verzog den Mund zu einem Grinsen. Er wirkte auf mich wie jemand, der in seiner Kindheit Käfer gequält hatte. Oder Kätzchen.

      Mesut kam zurück.

      „Nur Weiße hier“, maulte er. „Lauter weiße Wanderer. Was mach ich hier eigentlich, scheiße.“

      „Uns den Weg weisen. Dein Handy hält dreimal so lange wie meins“, sagte Mackie, der in sein Telefon vertieft gewesen war, und nun aufblickte. „Und weil Basti sein Navi nur anmacht, um der Frau mit der sexy Stimme zuzuhören, kann man ihn als Navigator genauso wenig gebrauchen.“

      Basti nahm seine Sonnenbrille ab, um die Gläser zu putzen. Er grinste immer noch. Kaum hatte er die Brille abgesetzt, kniff er die Augen zusammen, als würde ihn das schummrige Licht im Pub blenden.

      „Ohne Scheiß, Basti ist verliebt in sein Handy-Navi“, sagte Mackie zu Juliette, die zwischen den beiden hin- und herschaute.

      „Man braucht doch auf dem West Highland Way kein Navi“, sagte sie schließlich wahrheitsgemäß. „Der Weg ist gut ausgeschildert. Ihr müsst nur Ausschau halten nach dem weißen Sechseck mit dem Kreis in der Mitte.“

      „Wir bewegen uns gern auch mal abseits der gewohnten Pfade“, sagte Mackie.

      „Ja klar. So nach dem Motto – bis ins Hochland, dann nach links, oder was?“, sagte ich.

      Er lachte lauthals.

      „So ungefähr.“

      Juliette warf ein:

      „Ihr solltet das ernst nehmen. Wenn ihr den Weg verlasst, könnt ihr euch leicht verirren. Im Hochland sind schon Menschen verschwunden.“

      „Wir sind auf alles vorbereitet“, versicherte Mackie,