Johanna Danneberg

Bis ins Hochland, dann nach links


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ich. „Es sind doch keine Ferien in Berlin.“

      Ich wusste das, weil meine Mutter als Hortleiterin in einer Grundschule arbeitete.

      „Du glaubst mir wirklich nicht, dass ich Lehrer bin, oder?“, fragte er, und hob theatralisch die Hände, mit den Handflächen nach oben.

      „Meine Stelle lief zum letzten Halbjahr aus“, erklärte er dann. „Eine Elternzeitvertretung. Ich bin also gerade arbeitslos. Und ich hatte schon lange mal meinen Vater besuchen wollen. Tja, und weil Mesut Stress mit seiner Freundin hatte, und Basti seit ungefähr zwei Jahren keinen Urlaub, haben wir kurzerhand die Flüge gebucht. Nachher kommt mein alter Herr, er hat mir gerade geschrieben, Jungs. Und morgen wandern wir los. Wir brauchten einfach mal ne Luftveränderung.“

      Die anderen beiden nickten eifrig.

      „Ich finde, ihr seht eher aus, als würdet ihr einen Junggesellenabschied feiern, hättet aber den Bräutigam vergessen.“

      Wir unterhielten uns immer noch auf Englisch. Alle lachten, bis auf Basti, der die Sprache anscheinend nicht so gut beherrschte.

      „Du bist witzig, Mella“, sagte Mackie. „Witzige Frauen find ich sexy.“ Er machte eine Pause. „Und du trinkst wirklich nur Apfelsaft?“

      „Ich muss noch fahren“, sagte ich.

      „Gibt es einen Grund, warum du so ganz alleine wanderst?“, fragte Juliette. „Ich hätte eine Höllenangst!“

      „Eigentlich wollte ein Freund mitkommen“, log ich. „Aber der ist leider krank geworden.“

      Mein Handy, das ich vor mir auf den Tisch gelegt hatte, vibrierte mit einer eingehenden Nachricht. Ich wollte es schnell wegpacken, aber es war zu spät, auf dem Bildschirm leuchtete ein Bild von Lilly und mir auf.

      „Hey, ist das deine Tochter?“, rief Juliette.

      „Sie ist vier“, antwortete ich.

      „Kann ich mal sehen?“

      Wiederstrebend zeigte ich ihr das Foto. Lilly war eines dieser Kinder, bei denen man nicht sagen konnte, ob sie ein Junge oder Mädchen war, mit ihren halblangen blonden Strähnen, dem klaren Gesicht, immer in Shorts und T-Shirt, und meistens barfuß.

      „Voll süß. Sieht dir echt ähnlich, die Kleine.“

      Kann gar nicht sein, dachte ich, hielt aber den Mund. Viel zu kompliziert alles. Ich erwischte Craig dabei, wie er mich mit einem Blick musterte, als wäre ich ein Gebrauchtwagen, den es auf versteckte Mängel zu prüfen galt.

      Juliette erhob sich, irgendwo in Richtung Tresen deutend.

      „Da ist meine Mom“, sagte sie, bevor sie zu mir gewandt noch hinzufügte: „Echt mutig, dass du das durchziehst, Mella.“

      Sie drückte mich kurz, nickte Mackie und Basti zu, und verschwand in der dichter werdenden Menschenmenge im Pub. Basti stand ebenfalls auf, die leeren Gläser in der Hand, um Nachschub zu holen. Craig und ich blieben am Tisch zurück.

      „Bist du noch mit ihm zusammen?“

      „Wem?“

      „Dem Vater deiner Tochter?“

      „Nein.“ Ich musterte ihn. „Was ist mit dir? Frau und Kinder zu Hause?“

      „Nö. Nur ne kleine Schwester, die verdammt nervt.“

      In der darauffolgenden Pause musterten wir uns gegenseitig.

      „Warum wanderst du wirklich den West Highland Way?“, fragte er unvermittelt.

      Ich zuckte mit den Schultern:

      „Aus demselben Grund wie ihr: ich brauchte ne Luftveränderung.“

      Er sah mich aus seinen hellbraunen Augen an.

       „Dann viel Glück Mella. Ich hoffe, du findest, was du suchst.“

      Ich stand auf.

      „Man sieht sich“, sagte ich.

      „Hoffentlich“, antwortete er grinsend.

      Aus dem Kerl sollte man schlau werden.

      Zurück an meinem Tisch wuchtete ich meinen Rucksack über die Schulter und machte, dass ich raus kam. Die Tür des Pubs schloss sich mit leisem Bimmeln hinter mir. Ich sah Mesut, der abseits von den anderen Rauchern mürrisch den wolkenverhangenen Himmel studierte, und entfernte mich zügig. Je weiter ich heute kam, umso mehr Vorsprung hatte ich vor diesen drei merkwürdigen Typen, dachte ich, während ich an den mittlerweile geschlossenen Geschäften wieder in Richtung des Wegweisers lief.

      Ich erreichte die Treppe, und setzte endlich meinen Stiefel auf den West Highland Way.

      Kapitel Zwei

      Getrennt hatte ich mich von Falk Ende Januar. Es war seltsam reibungslos abgelaufen, wie die Trennung von Eigelb und Eiweiß. Protestieren können hätte er sowieso nicht, war er es doch gewesen, der zu Weihnachten, anlässlich seines Heimatbesuchs in der ostdeutschen Provinz, mit seiner Ex-Freundin im Bett gelandet war. Nachdem er mir den Seitensprung gebeichtet und dann beteuert hatte, dass sie ihm nichts mehr bedeutete, dass er betrunken gewesen sei, dass ich mich die letzten Monate so kühl ihm gegenüber verhalten habe, und dass er nichts lieber wolle als mich glücklich zu machen, hatte ich eine Stunde in der Küche unserer Dreizimmerwohnung gesessen, krampfhaft bemüht, irgendwas zu fühlen (Wut? Trauer? Erleichterung?), und schließlich angefangen, mich um einen Nachmieter zu kümmern, was nicht einmal zehn Minuten gedauert hatte – ein Anruf bei einem befreundeten Pärchen aus Friedrichshain hatte genügt, sie hatten sofort zugesagt, die Wohnung samt Einbauküche zu übernehmen. Falk hatte in jener Nacht bei einem Kumpel geschlafen. Am darauffolgenden Nachmittag hatte ich ihm den Auszugstermin genannt und er hatte begriffen, dass die Sache mit uns vorbei war. Als ich die Tränen in seinen Augen bemerkte, hatte ich über die Pfauenplage im Tierpark schwadroniert („Die greifen Touristen an, ohne Mist, einer lenkt ab, und der andere klaut denen die Stulle“), und irgendwann hatten wir darüber reden können, wie es weitergehen würde.

      Selbstverständlich konnte Lilly nicht zu ihrer Mutter zurück. Ihre Mutter, das war die Frau, mit der Falk im Bett gelandet war, und da die schon kurz nach Lillys Geburt wieder durch die Clubs in Jena, Leipzig und Dresden gezogen war, lag das alleinige Sorgerecht bei Falk. Ich hatte rechtlich gesehen nicht den geringsten Anspruch auf Lilly, ich benötigte sogar eine schriftliche Vollmacht von Falk, um sie überhaupt vom Kindergarten abholen zu können. Bei dem Gedanken daran, sie nicht mehr um mich haben zu können, war es mir vorgekommen, als würde ich innerlich einfrieren. Aber Falk, so war bei dem Gespräch rasch klar geworden, lag viel daran, dass ich weiter Kontakt mit Lilly haben würde – allein schon aus dem Grund, dass es für ihn höchst kompliziert werden würde, sie neben seinem Vollzeitjob alleine zu betreuen. Und so hatten wir ein Arrangement gefunden.

      Bereits am Abend zuvor hatte ich geklärt, dass ich wieder bei meiner Mutter einziehen konnte, die in einer großen Altbauwohnung nur zwei Straßen weiter wohnte. Die beiden ehemaligen Kinderzimmer von meiner Schwester und mir waren noch genauso so eingerichtet, wie wir sie bei unserem jeweiligen Auszug verlassen hatten. Ein bis zweimal die Woche würde Lilly mit dort übernachten, und auch jedes zweite Wochenende. Lauras altes Zimmer wurde zu Lillys Zimmer, und ich nahm wieder mein altes Eckzimmer daneben. Beide waren durch eine zweiflügelige Tür verbunden, und wir hatten sogar ein eigenes Bad zur Verfügung, ganz so wie meine Schwester und ich früher.

      Falk hatte die Immobilienseiten im Internet durchforstet und festgestellt, dass er sich eine eigene Wohnung, und sei sie auch noch so klein, im Prenzlauer Berg nicht würde leisten können. Er verdiente zwar nicht schlecht – er arbeitete bei einer Versicherung und kümmerte sich dort um den ganzen IT-Kram – aber das Viertel war enorm angesagt bei jungen Berliner Familien, und die Mieten in den letzten Jahren entsprechend gestiegen.

      Den Ausschlag gegeben hatten am Ende die Beziehungen meines Vaters, auch wenn ich bis heute nicht recht wusste, woher er den schweigsamen Polen eigentlich kannte, mit dem