Hazel McNellis

Gefangene der Welten


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warmes Lächeln ließ ihr Gesicht leuchten. „Da bist du ja!“ Sie kam ihm entgegen und legte ihre Arme um seinen Hals, ehe sie ihre Lippen auf seinen Mund drückte. „Warum hat es so lange gedauert?“

      Jack ergriff ihre Hand und gemeinsam setzten sie sich in Richtung des Waldes in Bewegung. „Hab‘ schlecht geschlafen.“ – „Alpträume?“ Er nickte. Er erwartete, dass sie nachfragen würde, um den Inhalt seiner Träume unbedingt herauszufinden. Doch sie schwieg. Einem Pfad folgend, gingen sie in den Wald hinein. Das Laub der blühenden Baumkronen warf tanzende Flecken auf den Boden und raschelte leise im Wind.

      „Ich kann’s kaum erwarten, dir die Lichtung zu zeigen“, wechselte Sydney das Thema.

      Jack lernte Sydney eher zufällig während ihres Studiums kennen. Er stand an der Essensausgabe der Mensa hinter ihr, als ihr das Geld hinunterfiel. Sofort hatte er ihr geholfen, die verstreuten Münzen einzusammeln. Er erinnerte sich gut daran, wie ihre Augen zu ihm aufgesehen hatten: Groß, unschuldig und grün schimmernd wie zwei Smaragde.

      Er verliebte sich Hals über Kopf in sie.

      Jetzt, wenige Monate später, war er neugierig, was sie ihm so dringend zu zeigen wünschte. Viel gesagt hatte sie nicht am Telefon. Nur, dass sie ihm etwas zeigen müsse. Die Decke und die Snacks waren sein Einfall gewesen.

      „Wie weit ist es denn bis zu dieser Lichtung?“ Er unterdrückte ein Gähnen. Vielleicht konnte er die Decke dazu nutzen, Schlaf nachzuholen, wenn sie dort waren, überlegte er.

      „So weit ist es nicht.“ Verschwörerisch blitzte sie ihn an und Jacks Mundwinkel hoben sich.

      Sie erreichten die Lichtung eine Viertelstunde später. Eine Hütte stand mittendrin und ein Rabe krähte von einem Ast herab. Nicht sicher, was Sydney in Aufregung versetzte, runzelte Jack die Stirn. Ein Gefühl des Unwohlseins beschlich ihn. Als wollte die Sonne seine Gefühle bekräftigen, versteckte sie sich hinter sich bedrohlich auftürmenden Quellwolken. Sicherlich würde es bald anfangen zu regnen. Im Wald war Ihnen das Wetter nicht aufgefallen. Die Bäume hatten zu dicht beieinander gestanden, als dass man einen Blick auf den Himmel hätte werfen können. Der Wetterumschwung beunruhigte Jack.

      Er räusperte sich. „Du hast Recht. Die Lichtung ist klasse… Total spannend!“ Er zwinkerte Sydney zu und beobachtete, wie sie ihre großen Augen gen Himmel richtete.

      „Das hier doch nicht! Man sieht es nicht von hier! Komm‘ mit!“ Entschlossen zog sie an seiner Hand.

      Vor Aufregung klopfte Sydneys Herz wie wild. Eine Gänsehaut beschlich ihre Arme und ließ ihre Nackenhaare zu Berge stehen. Am Nachmittag zuvor hatte sie dasselbe Gefühl gehabt. Sie führte Jack über die Lichtung und an der Hütte vorbei, tiefer in den Wald hinein.

      Plötzlich blieb sie stehen.

      Jack warf einen Blick zurück über die Schulter. Er konnte die Hütte schwach hinter den Bäumen ausmachen.

      „Sieh genau hin!“ forderte Sydney ihn auf und deutete auf die Bäume vor ihm. Er hatte keine Ahnung, was er dort sehen sollte. Doch aufgrund der Eindringlichkeit ihrer Worte, kniff er seine Augen zusammen und sah hin.

      Zunächst hielt er es für eine optische Täuschung aufgrund des Lichteinfalls. Doch als er erneut hinsah, schnappte er nach Luft und starrte Sydney an.

      „Was ist das?“ –

      „Ich weiß es nicht. Ich war gestern hier vorbeigekommen, als ich spazieren war, und da schimmerte es silbern. Deshalb hatte ich die Lichtung überhaupt erst überquert.“ Die Anspannung ließ ihre Stimme zittern. „Normalerweise laufe ich nicht so weit in den Wald hinein. Aber immer dieselbe Strecke zu sehen wird mit der Zeit auch langweilig…“ Jack warf ihr einen Blick zu und sie fuhr fort: „Ich glaube, es ist eine Art Wand. Ich habe mich gestern nicht getraut, es anzufassen, aber als ich näherkam, verblasste es immer mehr bis es kaum noch auszumachen war. So wie jetzt.“

      Jack schluckte. Die Bäume vor ihnen lagen hinter einem dünnen Schleier. Ihre Umrisse waren verschwommen. Erst, wenn man wirklich hinsah, konnte man erkennen, dass die Bäume von sanften Wellen in Bewegung versetzt wurden.

      „Glaubst du, es ist gefährlich?“ Sydneys Stimme war gesenkt und sie flüsterte fast. Ob aus Angst oder aus Ehrfurcht vermochte Jack nicht zu sagen. Er hob einen Zweig vom Boden auf und trat auf den Schleier zu.

      „Pass auf!“ Ängstlich umklammerte Sydney seine Hand. Jack streckte die Hand mit dem Zweig aus. Die Spitze des Zweiges berührte den Schleier nicht, als sich der Zweig und die Wand gegenseitig anzuziehen schienen. Jack spürte einen leichten Druck, so als würde jemand am anderen Ende des Zweiges ziehen. Der Schleier wölbte sich dem Zweig entgegen und als es zur Berührung kam, führten Wellen vom Zweig weg. Die Zweigspitze durchdrang den Schleier wie eine Wasseroberfläche. Weiter geschah nichts. Der Zweig blieb vollkommen unbeeinflusst.

      Ob ein Mensch auch so einfach hindurchgehen kann, ging es ihm durch den Kopf. Der Wald setzte sich auf der anderen Seite der Wand wie gewohnt fort. Er ließ den Zweig fallen und streckte seine Finger der Wand entgegen.

      „Nicht! Was, wenn etwas passiert!“ Sydney riss seine Hand zurück und starrte ihn unsicher an.

      „Ich glaube nicht, dass etwas passiert. Es scheint völlig harmlos zu sein!“

      Ihr Blick gewann an Intensität und brannte sich in seinen. „Bitte riskier‘ nichts! Wir wissen doch überhaupt nichts über dieses Ding. Woher willst du dir so sicher sein, dass dir nichts zustößt?“

      Jack dachte kurz nach. „Ich spüre es.“ Selbst in seinen Ohren klang es irrational und unglaubwürdig. Vielleicht sprach seine Übermüdung aus ihm, überlegte er weiter. Vielleicht glaubte er, sich sicher zu sein und wäre es im ausgeschlafenen Zustand nicht. Er rieb sich mit der Hand über die Stirn und schloss die Augen. Er bekam Kopfschmerzen. Es stand außer Frage, dass er eine Menge Schlaf benötigte.

      „Vielleicht hast du Recht. Vielleicht sollten wir gehen und nicht weiter darüber nachdenken.“ Erleichterung zeichnete sich in Sydneys Gesicht ab.

      Die ersten Regentropfen fielen vom Himmel, nur schwach zunächst, doch schon bald prasselte der Regen laut auf sie nieder. Jack wandte den Blick zur Hütte. „Lass uns nachsehen, ob die Tür zur Hütte unverschlossen ist.“

      Als sie die Hütte erreichten, war ihre Kleidung durchnässt. Zitternd schlang Sydney die Arme um sich. Jack packte den rostigen Türgriff und drückte die Klinke herunter. Leise knarrend öffnete sie sich und sie traten schnell ein.

      Durch die verdreckten Fenster fiel wenig Licht in den Raum. Sie konnten einen Tisch und zwei Stühle ausmachen, sowie einen Kamin, der in die gegenüberliegende Wand eingelassen war, und an dem ein rostiger Schürhaken lehnte. Jack trat einen Schritt vor. „Anscheinend ist die Hütte vor langer Zeit verlassen worden.“

      Sydney verzog das Gesicht zu einer Grimasse angesichts des Drecks.

      „Ich schau nach, ob es Feuerholz gibt. Wir könnten den Regen abwarten und uns am Feuer trocknen.“ Mit wenigen Schritten durchquerte er den Raum und sah sich um.

      „Wie romantisch.“ Sydney folgte ihm und der Gedanke mit Jack an einem Kaminfeuer zu sitzen, ließ ihr Herz schneller schlagen. Sie kniete sich neben Jack und beobachtete, wie er ein Feuerzeug aus seiner Tasche zog, um ein paar dünnere Zweige in Brand zu setzen, ehe er ein dickeres Holzscheit obenauf legte und mit dem Schürhaken in der Glut herumstocherte.

      „Magst du ein Tunfisch-Sandwich?“

      „Ja, gerne.“

      Jack kramte in seiner Sporttasche und beförderte neben Sandwiches eine Kanne Tee hervor.

      Der Regen prasselte gegen die Fenster und dumpfes Donnergrollen kündigte ein Gewitter an.

      „Was machen wir, wenn es nicht aufhört zu regnen?“

      Sydney warf Jack einen Blick zu. Dieser blinzelte und erwiderte: „Ich würde sagen, wir können nach Hause gehen und eine Lungenentzündung riskieren oder wir warten ab bis sich das Unwetter verzogen hat. Bis morgen früh hat es sich bestimmt