Hazel McNellis

Gefangene der Welten


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ihm in diesem kurzen Moment doch noch entwischen.

      „Hier, trinkt das!“ Er hielt ihr den Beutel mit Wasser hin. Durstig wie sie war, widersprach Sydney ihm nicht, legte den Kopf in den Nacken und trank gierig. Der Knebel hatte ihre Kehle völlig ausgetrocknet und die Mundwinkel brannten, als das kühle Nass auf sie traf.

      Damian betrachtete sie.

      Ihre Kehle lag frei und angespannt verfolgte er ihre Schluckbewegungen. Sündige Gedanken bahnten sich ihren Weg in sein Gehirn und noch ehe er es verhindern konnte, nahm er ihr den Beutel wieder ab.

      „He!“, fuhr Sydney auf.

      „Wir müssen sparsam sein.“

      Sein Blick saugte sich an ihrem fest. Eine seltsame Spannung baute sich zwischen ihnen auf. Nervös fuhr Sydney sich mit der Zungenspitze über die feuchten Lippen. Eine Gänsehaut ließ ihre Haut prickeln. Damians Blick folgte der Bewegung und verweilte geistesabwesend auf der rosigen Fülle ihrer Lippen. Plötzlich jedoch riss er sich los. Sein Atem entwich mit einem leisen Knurren und er ging, um den Wasserbeutel zu seinen Taschen zu legen.

      Irritiert blickte Sydney ihm nach.

      Was war verflucht noch eins in ihm gefahren, schalt er sich selbst. Starrte seine Zukünftige an, wie ein Grünschnabel, der zum ersten Mal eine Frau zu Gesicht bekam! Wütend über sich, schüttelte er den Kopf und biss die Zähne zusammen. Ein fürchterlicher Narr bist du! Er verstaute das Wasser – der Beutel war inzwischen halb leer – und blitzte sie wütend an. Dabei überraschte es ihn nicht, zu erkennen, dass sie seine Bewegungen verfolgte.

      Ihre Stirn lag in Falten und ihre grünen Augen leuchteten intensiv.

      Die Sonne wanderte inzwischen immer höher am Himmel; es wurde Zeit ihren Weg fortzusetzen.

      Verwirrung wühlte ihre Gefühle auf.

      Damian hatte sie auf eine Weise angesehen, die sie beunruhigte. Das klare, tiefe Braun seiner Augen hatte sich zu einem trüben, düsteren Ton gewandelt und sie hatte erneut an die Farbe eines Opals denken müssen. Sie beobachtete, wie er sich abwandte und zügig zum Pferd marschierte, das kurz mit den Ohren zuckte.

      Seine Kehrseite war außerordentlich ansprechend, das musste Sydney zugeben. Sie betrachtete die Bewegung der kräftigen Muskeln unter dem Stoff und seufzte verträumt. Ihr Blick wanderte weiter hinauf zu seinem dunklen Haar und bemerkte, wie er den Kopf schüttelte. Sie runzelte die Stirn. Was sollte das wieder heißen? Hatte er etwa bemerkt, wie sie ihn anstarrte?

       Wie peinlich!

      Augenblicklich erschrak sie über ihr Verhalten. Wie konnte sie ihn derart provozieren? Er hatte sie schließlich nicht gerade auf die angenehmste Art und Weise verschleppt.

      Ihre Blicke kreuzten einander.

      Dieser Mann war eindeutig der attraktivste Entführer von dem sie je gehört hatte.

      2.

      Jack regte sich. Es dauerte einen Augenblick, ehe er die Traumwelt hinter sich gelassen hatte. Er hatte einen Schrei gehört. Oder hatte er das nur geträumt? Seine Träume schienen ihm in letzter Zeit immer so verdammt real zu sein. Er hatte Kopfschmerzen. Jack griff sich an den Hinterkopf und zuckte zusammen.

      Sydney.

      Der fremde Mann in der Hütte.

      Die Erinnerung ließ seine Träume verblassen und er sprang auf – nur um sogleich wieder zurückzusinken. Der Schmerz in seinem Kopf explodierte. Er kniff die Augen zusammen und versuchte ruhig zu atmen, als er erneut in selige Bewusstlosigkeit fiel.

      Eine ganze Weile später erreichte ein Poltern sein Gehör und drang zu ihm durch. Es klang wie die Hufe eines Pferdes. Jack regte sich. Er blinzelte und sein Blick glitt zum Fenster. Der Regen hatte mittlerweile wohl aufgehört, doch die Sonne war noch nicht wieder aufgegangen. Wie lange hatte er hier gelegen? Er runzelte die Stirn und setze sich auf. Vorsichtig berührte er die Wunde an seinem Kopf. Dieser sandte ein dumpfes Pochen in seine Schläfen. Langsam erhob sich Jack und ging zur Tür. Sie stand noch immer offen und eine kleine Pfütze hatte sich an der Türschwelle gebildet. „Sydney?“, rief er mit rauer Stimme. Stille antwortete ihm.

      In der Ferne konnte er den Nachhall der Hufe hören. Wo hatte man sie hingebracht? Ohne weiteres Zögern trat er hinaus und blickte sich um.

      Unsicher betrachtete Jack das Schimmern des Schleiers zwischen den Bäumen vor sich. Der Schürhaken lag unbeachtet im nassen Gras und schien der einzige Beweis, dass es zu einem Kampf gekommen war. War es Zufall, dass man Sydney entführt hatte? Oder steckte da doch mehr hinter? Zerknirscht fuhr er sich mit der Hand durchs Gesicht. Er brauchte Hilfe. Besser, er informierte Sydneys Dad. Gemeinsam konnten sie überlegen, welche Schritte als nächstes angebracht waren.

      Er warf einen letzten Blick auf den Schleier. Dann wandte er sich um und marschierte zurück. Er sollte verdammt sein, wenn er Sydney nicht wiederfand.

      Als er Sydneys Haus schließlich erreichte, fühlte Jack sich außerordentlich mies. Das schlechte Gewissen und Schuldgefühle plagten ihn. Warum hatte er auch nur so übermüdet sein müssen? Er dachte an seine Alpträume und ein Schauer erfasste ihn. Was hatte das alles zu bedeuten? Fast kam es ihm vor, als würden seine Träume der vergangenen Nächte wahr werden. Er schüttelte sich, um das ungläubige Entsetzen und die Sorge wieder abzuschütteln und begegnete Pauls Blick. Sydneys Vater stand vor ihm und wartete auf eine Erklärung.

      „Ich weiß nicht, wo sie ist. Als ich wieder zu mir kam, war sie bereits fort.“

      Pauls gedämpfte Schritte auf dem dicken Teppich im Wohnzimmer waren – neben dem unermüdlichen Ticken der Wanduhr – das einzige Geräusch im Zimmer. Er durchquerte das Zimmer wieder und wieder.

      „Ich muss die Polizei anrufen. Sie müssen nach ihr suchen.“

      Seine Stimme war heiser und Jack fühlte sich noch furchtbarer bei dem Gedanken daran, wie Paul sich fühlen musste, nachdem seine Tochter nun entführt worden war.

      Vor drei Jahren war Timothy, Sydneys Bruder, im Alter von sechs Jahren tödlich verunglückt. Er war einem Ball hinterher gelaufen, als dieser auf die Straße rollte. Der Fahrer des Mustangs hatte keine Chance zum Ausweichen gehabt.

      Damals hatte er, Jack, keinen Kontakt zu Sydney gehabt, doch er erinnerte sich, dass sie eine lange Zeit nicht zum Unterricht kam. Stattdessen – so lauteten die Gerüchte – musste sie einen Therapeuten aufsuchen, um das Erlebte verarbeiten zu können.

      Jack räusperte sich. „Ich kann die Polizei anrufen.“

      Paul hob den Kopf. Seine stahlblauen Augen fixierten Jack scharf. Dann nickte er und fuhr sich erschüttert mit der Hand durch die kurzen Stoppeln seines Haars. Der ehemalige Marinegeneral war kaum wiederzuerkennen. Zu erschüttert, um die Führung zu übernehmen, ließ Paul Jack zum Telefon gehen und die notwendigen Schritte einleiten.

      Es war eine Tragödie für Paul gewesen, Timothy zu verlieren. Wenn nun auch noch Sydney für immer fort war, wusste er nicht, was er tun würde. Er fühlte sich, als hätte ihn ein Güterzug überrollt und sein Innerstes zerfetzt.

      Kassandra, seine Ex-Frau und Sydneys Mutter, hatte es sich nach Timothys Tod leicht gemacht. Sie hatte sich einfach nach Brasilien abgesetzt.

      Verbittert presste er die Lippen zusammen, als er daran zurückdachte. Zumindest hatte sie mit ihrer Flucht gewartet, bis er mit Sydney eine Therapie begonnen hatte. Kassandra war mit ihrem esoterischen Kram so mit sich beschäftigt; sie vertrat die Ansicht, sie bräuchte eine Therapie nicht. Sie glaubte, ihr Schutzpatron würde ihr genug Trost spenden. Er wusste noch zu gut, wie sie ihr Amulett befingert hatte, als sie ihm ihre Entscheidung, nicht mit zum Therapeuten zu gehen, mitgeteilt hatte. Sie hatte es schon immer übertrieben mit der Esoterik. Beim Gedanken daran schnaubte er.

      In dem Moment kam Jack zurück. „Sie schicken jemanden her und nehmen die Vermisstenanzeige auf.“

      „Sie sind vollkommen sicher,