Ben Brandl

LANGSAM VEREBBT DER APPLAUS


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das sie einen Moment verwirrte, und schnell schenkte sie ihm nach.

      ‚Unheimlich der Typ, passt so gar nicht hier herein.’ Sie wandte sich den Witzreißern zu und spürte seinen Blick im Rücken.

      Erst jetzt schien Michael sie zu bemerken, prüfend betrachtete er die Bewegungen der Frau. Sie war nicht mehr die Jüngste, leicht rundlich, mit großem, schönem Busenansatz, der ihn neugierig machte. Auf Grund ihres geschickt, aber zu stark geschminkten Gesichtes ließ sich ihr Alter kaum schätzen.

      Sie bemerkte, wie sein Blick sie sukzessiv auszog und fühlte sich angenehm berührt.

      Blondierte Haare, braune Augen, sinnlicher Mund, die etwas üppige Figur gut eingepackt, so ähnlich hätte Marylin Monroe ausgesehen, wenn sie einige Jahre älter geworden wäre. Michael spürte, zum ersten Mal seit langem, wieder das Verlangen nach einer Frau.

      Verwundert wischte er sich über die Augen.

      „Einen letzten noch. Trinken Sie einen mit?“, er ließ bewusst seinen Charme wirken.

      „Wenn sie unbedingt wollen. Ist in dem Fall wirklich der letzte!“

      Sie angelte sich die Flasche und schenkte zwei Gläser ein. Wasser und Eis war noch genügend da und sie wunderte sich erneut, wie viel ihr eigenartiger Gast schlucken konnte, ohne dass er sich merklich verändert hätte.

      Oder doch? Sein Gesicht wurde aufgeschlossener, lebhafter. Seine Augen nahmen sie gefangen.

      „Zum Wohlsein!“ Sie saß ihm gegenüber. Ihre Blicke saugten sich ineinander fest und sagten alles ohne Worte. Abrupt riss sie sich los.

      „Ich muss Feierabend machen, Sperrstunde!“ Sie wandte sich ab. „Komm morgen wieder, mein Süßer.“

      Michael war verletzt und gab grob retour.

      „Ich bin nicht dein Süßer, merk dir das!“

      Sie hatte gelernt, mit Männern umzugehen - mit betrunkenen Männern an der Bar. Sie war es gewohnt, angestarrt zu werden. Fast jeden Abend machte sie einer dieser Typen an. Irgendwann dachte man nur noch ans Geschäft. Kohle machen!

      Wenn man Glück hatte, entwickelte sich ein nettes Gespräch und der Job blieb nicht so stumpfsinnig.

      Michael starrte ihr wütend nach, beobachtete sie, wie sie routiniert abkassierte und die letzten Gäste verabschiedete.

      „Ich bezahl dann bitte!“ Er war sich nicht im Klaren darüber, was er tun sollte.

      Er wollte weiter trinken, er wollte auch die Frau, aber ihre Ablehnung schien ihm deutlich genug, und die Kneipe würde gleich schließen.

      Nur nicht nachdenken. Nicht über Frauen nachdenken.

      ‚Es ist doch zu blöd, dass man sie manchmal braucht!’

      Sie war jetzt bereit zu kassieren, zögerte es dennoch hinaus. Eigenartige Angst hielt sie plötzlich zurück. Angst, dass er einfach gehen würde.

      Die letzten Animiermädchen hatten ihre Freier abgeschüttelt, verabschiedeten sich augenzwinkernd, als sie sich endlich überwand, bei ihm abkassierte und ihn fragte:

      „Willst du auf mich warten, ich muss nur kurz abrechnen?“

      Ihre rauchig dunkle Stimme zitterte ein wenig.

      Michael hatte schon fast abgeschaltet, wollte sie schon aufgeben, war mehr mit der Frage beschäftigt, wo und wie er weitertrinken könnte. Er versuchte den gerade erreichten Schwebezustand zu erhalten. Seit einigen Tagen tauchte er nur für kurze Momente aus seinen schrecklichen Depressionen auf und von neuem drohte er abzuschmieren in das dumpfe Brüten des Alkoholikers.

      Er reagierte nicht, und sie fragte ihn noch mal.

      „Willst du auf mich warten?“

      „Gib mir noch einen Scotch.“ Er wirkte nicht mehr abweisend und sie schenkte ihm schnell nach.

      Sie hatte das Gefühl, ihn seit langem zu kennen.

      Ihre Abrechnung dauerte beträchtliche Zeit, weil sie sich heute schlecht konzentrieren konnte. Dann war allerlei aufzuräumen, sie löschte die Beleuchtung und als sie zuletzt zu ihm kam, war er über seinem Glas eingeschlafen.

      Während sie ein Taxi rief, beobachtete sie ihn wieder.

      Im Halbdunkel des normalen Oberlichts, das wie immer eine trostlose Atmosphäre verbreitete, betrachtete sie sein unruhig zuckendes Gesicht.

      Es wirkte verlebt, aber schön, fast zu schön für einen Mann. Sein Kopf war auf den Oberarm gesunken, welcher auf der Bartheke lag, und nervige, gepflegte, vermutlich sensible Hände hielten sich am Whiskyglas fest.

      Unwillkürlich dachte Sie:

      „Man muss ihn beschützen!“

      Michael wirkte fast zerbrechlich, verletzt, leidend. In seinem erschöpften, angetrunkenen Zustand wurden die Spuren der letzten Jahre stärker sichtbar. Sie hatten sich in sein ebenmäßiges Gesicht eingegraben.

      Die letzten Nächte in denen er sich systematisch voll soff, um zu vergessen, in denen er sich restlos durchhängen ließ und seinen Depressionen nicht standhielt, trugen wesentlich dazu bei. Die Jahre des Erfolgs rächten sich bei ihm. Abgehalftert, ausgeschieden, auf der Strecke geblieben. Man brauchte ihn nicht mehr.

      In seinem Beruf war er ganz oben gewesen, er schaffte es ein weiteres Mal, höher hinauf, vor kurzem war er noch ein Liebling der Götter, talentiert, kreativ, voller Tatkraft und Glück.

      Sein Absturz schien ins Bodenlose zu gehen. Er hielt einige Zeit stand, wehrte sich, versuchte immer wieder zu arbeiten. Aber er hatte zu viel verloren.

      Sie ahnte nichts von alldem, obwohl sich ein fast mütterliches Gefühl in ihr regte, ein warmes Bedürfnis, ihn in ihre Arme zu nehmen. Für sie ging eine starke Faszination von diesem Mann aus.

      Automatisch strich sie ihm vorsichtig und zärtlich über die Haare.

      Erschreckt und nervös fuhr er hoch. Er fand sich nicht sofort zurecht und stürzte seitlich zwischen die Barhocker.

      Sie stand wie erstarrt hinter ihrer Theke und konnte ihm nicht helfen.

      Michael richtete sich mit größter Mühe wieder auf. Er hasste es, seine Körperkontrolle zu verlieren. Den Kopf einnebeln ja, nicht mehr denken müssen ja, allein, der Körper musste gehorchen.

      Es gelang. Sein über viele Jahre gut trainierter Körper ließ sich einigermaßen kontrollieren, zumindest das, was er ihm jetzt abverlangte, brachte er.

      Die Zeit schien sich zu dehnen, und sie beobachtete ihn schweigend.

      „Ich hab ‘ne Taxe bestellt, wir können gehen. - Danke, dass du gewartet hast!“

      Etwas gehemmt, wusste sich, die mit Männern sonst so Routinierte, jetzt nicht gut auszudrücken.

      Michael murmelte Unverständliches, ihm war es recht so.

      Schweigend verließen beide den Laden, und sie schloss ab, als Michael draußen tief durchatmete. Es wurde bereits hell und lautes Vogelgezwitscher erinnerte daran, dass es Frühling war. Zu gerne wäre Michael zu Fuß gegangen - egal wohin, doch das bestellte Taxi bog schon um die Ecke.

      Im Taxi gab sie ihre Adresse an, und Michael hatte nichts dagegen.

      Während der Fahrt durch das morgendliche Berlin fasste sie seine Hand, die er ihr nicht entzog, und sie schwiegen sich weiter an. Michael ließ sich gleiten. Nach einem scheußlichen Übelkeitsanfall ging es ihm etwas besser. Die Hand der Frau war angenehm, lag ruhig in seiner, hatte etwas Tröstendes.

      Vielleicht würde er mit ihr schlafen.

      Er sah sie wieder vor sich, wie sie vorhin hinter der Theke stand, aufreizend fraulich, sexy. Einem plötzlichen Reflex folgend, nahm er sie in die Arme.

      Überrascht von seiner Heftigkeit reagierte sie sehr langsam, bis sie endlich