Ben Knüller

Absurd


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Beschwerden gab es aber bisweilen nicht. Also würde sich auch niemand wundern, wenn’s bei Peters mal wieder qualmte.

      Er holte ein Feuerzeug aus der Hosentasche, legte es auf das Balkongeländer und nahm den Schuhkarton in beide Hände. Es raschelte darin geheimnisvoll. Aber es waren nur zwei Schuhe. Zwei nutzlose, nach Fabrik stinkende Schuhe. Und gleich nur noch Staub und Asche.

      Seth legte den Karton auf den Grill, begoss das Ganze mit ein bisschen Brennspiritus, der immer griffbereit neben dem Grill stand, und griff lechzend nach dem Feuerzeug.

      Und es brannte Es brannte herrlich, lichterloh und reinigend. Der Qualm schoss sofort in den Himmel, aber niemand würde es bemerken. Die Menschheit schlief noch, und selbst die Frühaufsteher würden sich nichts aus dem bisschen Qualm machen.

      „Brenne“, zischte Seth gierig. „Brenne!“

      Zuerst verfärbte sich der Karton, von hell- über dunkelbraun bis hin zu schwarz. Dann fing es im Inneren an, zu knistern… und zu rascheln. Hätte man eine kleine Meise gehabt, man hätte denken können, der Schuh wolle sich aus der Feuerfalle befreien. Den Deckel heben und aus dem dritten Stock springen. Auf eine merkwürdige Art gefiel Seth der Gedanke.

      „Aber leider geht das nicht“, murmelte er. „Leider bist du in Papier eingewickelt, ha-ha!“

      Eben noch um ein leises, stilles Vorhaben bemüht, warf Seth Peters den Kopf in den Nacken und bellte vor Lachen. Es kümmerte ihn wenig, was für ein Bild er abgab. Da stand nur ein Kerl auf seinem Balkon, der lachend etwas verbrannte.

      Und wie es brannte!

      Seth gönnte sich einen Kaffee beim türkischen Bäcker seines Vertrauens, eine Straße weiter. Nach kurzer Träumerei entschied er sich dann noch für ein frisch belegtes Brötchen. Der Bäcker mit Namen Asluf bemerkte, das Seth gut gelaunt war.

      „Weißt du, mein lieber Asluf, es gibt Tage im Leben eines Mannes, in denen er einfach mal zeigen muss, dass er ordentlich Eier in der Hose hat. Weißt du, was ich meine?“

      Asluf stieß ein stolzes, schallendes Lachen aus und schlug Seth über den Tresen hinweg auf die Schulter. Seth grinste so sehr, dass seine Mundwinkel langsam schmerzten.

      Mit dem Glück im Herzen und freudiger Leere im Kopf ging er wieder nach Hause und hüpfte die Stufen hinauf. Wie lange würde Lisa noch arbeiten? Gute sieben Stunden inklusive Heimfahrt. Und es stand noch ein Bier im Kühlschrank. Der Tag konnte gar nicht besser laufen.

      Er ging zunächst ins Wohnzimmer und schaltete den Fernseher ein. Irgendeine Wiederholung eines Actionfilms. Es fing mit einer Explosion an, und das war doch schon mal nicht übel. Das nächste Ziel war die Küche. Das Bier war eiskalt und feuchtete seine Hände an. Es zischte angenehm, als er es öffnete. Er wollte sich gerade hinsetzen und vor sich hin muffeln, als er bemerkte, dass er seine Schuhe noch gar nicht ausgezogen hatte. Mit einem Anflug von Ironie (Schuhe, ha-ha-ha, Schuhe!) ging er ins Schlafzimmer, setzte sich auf das Bett und begann, seine Schnürsenkel auseinander zu fummeln. Sein Blick fuhr beiläufig zum Schrank, der weit offen stand.

      Hatte er ihn nicht zugemacht? Die Frage nagte nicht an ihm, aber eigentlich war er sich ziemlich sicher, dass er in seiner korrekten Art die Tür geschlossen hatte.

      „Ach, Scheiße“, sagte er. „Ist doch auch egal.“

      Er ging hinüber und schloss die Tür. Dann ging es wieder weiter mit den Schnürsenkeln. Aus alter Gewohnheit machte er immer drei Knoten, bevor die Schleife an der Reihe war, und dementsprechend schwer war es im Nachhinein, die Dinger aufzukriegen.

      Als es kurz quietschte, tat Seth das als normales Geräusch ab, so wie ein vorbeifahrendes Auto oder ein schreiendes Kind auf der Straße. Er schaute auf und sah die offene Schranktür.

      „Okay“, murmelte er. „Was soll die Pisse?“

      Er stand auf und steckte seinen Kopf in den dunklen, penetrant riechenden Schrank. Er stand beinahe schon im Inneren, vermutete irgendeinen defekten Mechanismus, im Ernstfall vielleicht ein wildes Tier. Als die Tür schwungvoll zugeworfen wurde und seinen Rücken traf, dachte er instinktiv an einen Mörder, ein verrücktes Kind oder einen wahnsinnigen Penner.

      „Wer war das?“, rief er unter Schmerzen und stolperte zum Bett. Die Tür war zwar keine Guillotine, aber den harten Schlag des Holzes würde er auch morgen noch spüren. Und natürlich war auch niemand da, der die Schuld auf sich nehmen wollte. Nur Seth, der mörderische Schrank und ein offenes Bier im Nebenzimmer. Im Fernsehen schrie irgendjemand: „Scheiße, sie kommen!“ Seth ließ die Finger knacken, eine nervöse Tätigkeit seinerseits, und beruhigte sich selbst. Wer sollte denn schon hier sein? Er hatte die Tür abgeschlossen. Hundertprozentig. „Nur irgendein Defekt“, versicherte er sich und musste lachen. Sein realitätsnaher Verstand ließ selbstverständlich keine andere Lösung zu.

      Dann wurde er in den Arsch getreten, seiner empfindlichsten Zone, abgesehen vom Schniedel. Er schrie auf und drehte sich ruckartig um. Niemand da. Niemand, der sich einen Scherz mit ihm erlaubte. Und wenn doch, musste es sich um ein Gespenst handeln. Vielleicht noch mit Bettlaken über dem Kopf, zwei Gucklöcher inklusive. Unsinn! Wahrscheinlich war es der Wind, der...

      Noch ein Tritt, diesmal in die Ferse. Seth drehte sich reflexartig um, konnte auf Augenhöhe niemanden entdecken und sah weiter nach unten. Er wollte nervös lachen, konnte es aber nicht.

      Da stand ein High Heel Pumps. Dunkelrot und ziemlich allein. Seth kniff die Augen zusammen und erinnerte sich, dass Lisa diese Schuhe häufig im Urlaub trug, meist um ihren vorgegaukelten Luxus in alle Welt zu tragen. Er konnte sich bei bestem Willen nicht entsinnen, dass der Pumps schon da stand, als er vor einer Stunde ins Schlafzimmer gekommen war.

      „Das ist doch jetzt ein Scherz!“, sagte er. „Lisa! Komm raus! Ich weiß, dass du das bist! Es ist wegen deiner dämlichen Schuhe, oder?“

      „Halts Maul!“

      Die Stimme klang schrill und wütend, aber Seth konnte sich bei aller Liebe nicht vorstellen, dass sie zu Lisa gehörte. Trotzdem kam die Stimme aus diesem Zimmer, sie kam… vom Pump? Konnte das ernsthaft wahr sein? Hatte ein Schuh ihn gerade angepöbelt?

      „Was geht hier ab?“, sagte Seth und sah sich um.

      „Was soll schon abgehen? Du sitzt in der Scheiße!“

      Okay, die Stimme kam tatsächlich vom Schuh. Aber... das ist doch nur ein Stück Leder! Wie kann es sprechen? Wie kann es sich von selbst bewegen? Verdammt, wie kann es ihn überhaupt sehen?

      „Schön...“, murmelte Seth. „Schön, schön. Ich werde hier gerade mächtig verarscht. Lisa, du denkst wohl du könntest mir mit deinem dummen Schuh und deiner verstellten Stimme Angst einjagen? Da hast du dich getäuscht, du dumme Kuh! Ich werde jetzt…„

      Ein weiterer Tritt, diesmal gegen seinen Hinterkopf. Er war nicht schmerzhaft, erinnerte Seth eher an eine Nackenschelle mit dem Lineal, aber trotzdem schrie er überrascht auf und suchte die Stelle sofort nach einer Beule ab.

      „Mach dich doch nicht lächerlich!“, sagte jemand anderes – diesmal eine Herrenstimme -, Seth drehte sich zu ihr, und in seinem Gedankengang explodierte irgendwo das letzte Fass Vernunft.

      Seine Hausschuhe lehnten keck an der Unterseite seines Bettes. Die alten, braunen Kuscheldinger, die er irgendwann mal von seiner Mutter zum Geburtstag bekommen hatte.

      Seths Augen sprangen aus ihren Höhlen. „Hast du ... hast du das gerade gesagt?“

      Die Schuhe schnauften. Sie schnauften! „Wer sonst, dein Oberhemd? Hör mal zu, du verdammtes Arschloch. Das war eine ganz miese Nummer heute Morgen. Hast wohl gedacht wir sehen das nicht, hä? !? Antworte mir!“

      „W-was meinst du denn, um Himmels Willen?“

      „Stell dich doch nicht dümmer als du aussiehst!“, keifte der einzelne Pumps ihn uncharmant an. „Du hast ihn verbrannt! Du hast den armen, wehrlosen Neuankömmling verbrannt!“

      Jetzt formten sich erste Umrisse dieser schlechten