Caroline Régnard-Mayer

Ein Jahr ohne dich


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hatte tatsächlich fast den ganzen Flug geschlafen, außer die Momente der Mahlzeiten. Trotzdem fühlte ich mich wie gerädert. Aufgeregt bangte ich um mein Gepäck und das, was ich von meinem Fenster aus sah, entschädigte mich für jede Müdigkeit. Ich hielt den Atem an. Dort unten erblickte ich zum ersten Mal die Freiheitsstatue und die Skyline von Manhattan. »Wow, Constanze, der Anfang ist gemacht. Amerika, ich komme!« sprach ich zu mir selbst.

      Der Kapitän machte eine Ansage: »Verehrte Gäste, in circa zehn Minuten landen wir auf dem John F. Kennedy International Airport. Es ist jetzt 12:41 Uhr, bei angenehmen 19°C. Die gesamte Crew bedankt sich bei ihren Passagieren und wir wünschen Ihnen einen unvergesslichen Aufenthalt.«

      »Bitte sind sie so nett und legen sie ihre Handtasche unter den Sitz.«

      Die Stewardess meinte mich und riss mich aus meinen Tagträumen. Sie lächelte und warte bis ich Gesagtes ausgeführt hatte.

      Wir landeten und plötzlich kam ich mir doch recht verloren vor. Schon beim Anblick auf New York grummelte mein Bauch. Ich bekam weiche Beine, als ich die unbeschreiblich großen Hallen und Gänge sah. Allen Kulturen dieser Welt begegnete ich, während ich zur Gepäckausgabe lief. Neben mir wurde französisch gesprochen, dann huschte ein spanisch sprechendes Pärchen an mir vorbei, die Sprachen wechselten mannigfaltig von russisch zu italienisch. Zurzeit verstand ich kaum Deutsch, so verwirrt und verängstigt war ich plötzlich.

      »Excuse me!« Es hatte mich jemand angerempelt und schon war dieser Unbekannte in der Menge verschwunden.

       Constanze beruhige dich, geh zur Passkontrolle, dann dein Gepäck holen und bring den Zoll hinter dich. Danach ab ins Hotel. Du brauchst dringend eine Dusche und eine Mütze Schlaf.

      Mit meinen zwei Koffern stand ich zwei Stunden später vor der Ankunftshalle, nachdem ich die Immigration durchlaufen hatte, um überhaupt in das Land einreisen zu dürfen. Ich kramte meine Notizen aus der Tasche. Zu Hause am PC hatte ich mir die Bus- und Zugverbindungen herausgeschrieben, was jetzt eine große Hilfe war.

      »Entschuldigen sie bitte. Ich suche die Haltestelle ´Jamaica` der Air Train.«

      Ich sprach ein Ehepaar an, das an einem Taxistand wartete und sich in meiner Sprache unterhielt.

      »Sie gehen hier nach rechts, nach circa hundert Metern kommt eine Rolltreppe, die führt sie zur Air Train nach unten. Unten sehen Sie dann das Hinweisschild zur Haltestelle ´Jamaica`.«

      »Vielen Dank, Sie haben mir sehr geholfen.«

      Ich schnappte mein Hab und Gut und ging in die gezeigte Richtung. Nach etwa fünf Minuten saß ich endlich im Zug nach New York City. Mein Hotel lag im zentralen Bereich von Brooklyn. Unterwegs musste ich nochmals umsteigen, dann traf ich vollkommen erschöpft und müde im "The New York Loft Hostel" ein. Welch hektische Stadt habe ich mir denn hier ausgesucht? Der Lärm dröhnte mir in den Ohren und mit letzter Kraft und gestammeltem Englisch meldete ich mich an der Rezeption an.

      »How are you?«, begrüßte mich eine nette Frauenstimme.

      »Hello. Mein Name ist Constanze Winterstein. Ich habe ein Einzelzimmer für fünf Tage in ihrem Hostel gebucht. «

      »Hier gebe ich Ihnen das Anmeldeformular, das Sie bitte ausfüllen. Ich benötige bitte Ihren Reisepass. Sie haben das Zimmer Nummer 308 im 3. Stock. Der Aufzug befindet sich dort am Ende der Halle.«

      »Vielen Dank.« Mehr brachte ich nicht mehr über die Lippen. Zu müde war ich in der Zwischenzeit und wollte nur noch schlafen.

      »You are welcome«, wurde ich freundlich verabschiedet.

      ***

      Am nächsten Morgen war ich schon um sechs Uhr wach. Gemütlich ging ich duschen. Das große Badezimmer am Ende des Flurs hatte ich um diese Uhrzeit noch für mich alleine. Schnell waren die Haare geföhnt und ich ging zum Frühstück nach unten.

      »Hier ist ja mächtig was los!«, murmelte ich vor mich hin. Der Frühstücksraum war um diese Uhrzeit offensichtlich von den Nachteulen gut besucht. Kleine bunte Tische waren arrangiert direkt neben dem großen Buffet an der hinteren Wand des großen Raums. Große Fenster sorgten für viel Licht und Pflanzen als Abgrenzung zwischen den Tischgruppen für Behaglichkeit. Leise Musik spielte im Hintergrund.

      »Hi, ich bin Conny, ist bei euch noch ein Platz frei?«

      »Klar, wir gehen jetzt schlafen, waren die ganze Nacht in der City unterwegs.«

      »Wow. Und mächtig getankt, was?! Könnt ihr mir noch einen Tipp geben, womit ich heute und um diese Zeit mit dem Besichtigen von New York beginnen könnte?«

      Eines der Mädchen antwortete mir: »Ich würde dir empfehlen, nach dem Frühstück gleich zur Freiheitsstatue zu fahren. Dann ist dort noch nicht so viel los. Ach ja, ich bin Peggy«, und schon war sie verschwunden.

      Gesagt, getan! Aber zuvor schrieb ich meiner Mutter noch eine kurze Mail an einem PC, der allen Gästen zur Verfügung stand. Sie sollte wissen, dass ich gut angekommen war und in einem netten Hotel wohnte.

      Kurze Zeit später gegen 8:00 Uhr lief ich zwei Blocks weiter zur U-Bahn und fuhr bis zur Brooklyn Bridge. Die ersten Sonnenstrahlen zeigten sich zwischen den hohen Häusern. Ein besonderer Großstadtgeruch lag in der Luft. Ich überquerte die Brücke, die mit einer beachtlichen Länge die Stadtteile Manhattan und Brooklyn verbindet. Unter der Brooklyn Bridge fließt dunkel und dominant der East River und der Blick auf die Skyline von Manhattan war spektakulär. Zu Fuß ging ich beschwingt weiter zum New Yorker Hafen und dort bestieg ich die Fähre ´attery Park – Liberty Island´, Richtung New York. Die Fahrt und der Fußweg zur Fähre waren unbeschreiblich aufregend. Fremde Sprachen erreichten mein Ohr. Ich hatte noch nie so eine laute, pulsierende Stadt erlebt. Überall eilende Menschen, Autogehupe, Leuchtreklamen, die auch am Tage leuchteten, und gigantische Werbetafeln. Die Gerüche waren mir so fremd und wieder beschlich mich das mulmige Gefühl, das mich schon beim Landeanflug heimgesucht hatte. Doch ich schritt weiter meines Weges und sprach mir selbst Mut zu. Du hast es so gewollt, nun musst du auch hier durch, mit allen Vor- und Nachteilen.

      Von der Fähre aus hatte ich einen sagenhaften Blick auf die Skyline von New York. Es waren Gebäude, die in den Himmel wuchsen, so schien mir. Der Hudson River glitzerte im Morgenlicht. Weiße kleine Schaumkronen zeigten sich im Wasser, und die Gischt spritzte an beiden Seiten des Schiffs bis zur Reling hoch. Die Luft war warm und der Wind strich mir zärtlich um den Kopf, so als ob er mein aufgewühltes Inneres beruhigen wollte. Peggy hatte Recht, es waren erst wenige Touristen unterwegs, und die meisten New Yorker waren offensichtlich schon bei ihrer Arbeit.

      Dann sah ich sie, die Freiheitsstatue, genannt ´Statue of Liberty`. Wow. Um mich herum verstummten die Gespräche und ein Raunen ging durch die Menge. Die imposante Statue kam immer näher, und nach etwa einer halben Stunde Fahrzeit legten wir an der Insel an. Ich schlenderte gemütlich zum Sockel, um mir die vielen Gedenktafeln anzusehen. Aber immer wieder schaute ich über den Hudson River zur Stadt oder zum New Yorker Hafen, die mich magisch anzogen. Anschließend begann ich mit dem Aufstieg im Treppensystem, das mich bis zum Kopf der Statue brachte. Ich fühlte mich betrunken vor lauter Glück. Der Aufgang zur Fackel war leider gesperrt. Erstmals genoss ich den grandiosen Ausblick auf die gesamte Stadt und das anstrengende Treppensteigen war vergessen.

      Viele Gedanken schossen mir durch den Kopf. Ich schaute Richtung Europa und dachte an meine Mutter und meinen Bruder. Was beide wohl gerade tun würden? Es war dort schon Abend. Ich vermisste sie sehr. Schmerzlich zog sich mein Herz zusammen. Ach hätte ich sie beide jetzt doch an meiner Seite und wir könnten zu dritt diese Reise erleben. Für Mama wäre so eine Reise zu anstrengend - sie würde sicher ständig über ihre Grenzen gehen, um mit uns beiden mitzuhalten. Auch der Jetlag, der nach dem Rückflug nach Deutschland nicht ausbleibt, würde ihre Kräfte übersteigen. Aber sie würde solche Momente wie hier in diesem Augenblick sicher genießen.

      Direkt nach dem Abstieg kaufte ich Ansichtskarten. Ich schrieb diese an meine kleine Familie und meine Großeltern, erzählte ihnen von meinen ersten Eindrücken, während ich mir ein verspätetes Mittagessen in einem kleinen Lokal gönnte, das ich auf dem