Alegra Cassano

24 literarische Leckereien


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      Es gibt einen Raum in unserem Haus, der ist mir unheimlich. Ich betrete ihn höchst ungern, aber leider muss ich hindurch, wenn ich in unser Schlafzimmer will. Ich habe schon darüber nachgedacht, die Räume zu tauschen, habe aber Angst, dass dann das Schlafzimmer zu diesem sehr mysteriösen Raum mutiert.

      Vielleicht fragt sich der Leser jetzt, was an diesem Zimmer denn so merkwürdig ist, deshalb will ich versuchen es in Worte zu fassen.

      Jedes Mal, bevor ich die Tür zu diesem Raum öffne, bekomme ich eine Gänsehaut. Das war übrigens nicht immer so. Früher bin ich gerne hinein gegangen und habe mich sogar gefreut. Wann genau diese Veränderung mit dem Zimmer vorgegangen ist, kann ich nicht sagen, es muss aber schon einige Jahre her sein.

      Ich habe mich also geistig gewappnet und die Tür geöffnet. Ein merkwürdiger Geruch strömt mir entgegen. Es ist eine Mischung, nicht angenehm, aber auch nicht so schlimm, dass ich würgen muss. Normaler Weise sehe ich mich gar nicht näher um, versuche nur auf dem kürzesten Weg das Schlafzimmer zu erreichen, aber manchmal ist selbst das nicht zu schaffen. Ich muss nicht durch das ganze Zimmer, ich brauche nur drei Schritte zur Seite zu machen, aber oft ist das bereits ein Problem.

      Offenbar mag das Zimmer es nicht, wenn ich so hindurch husche. Auf jeden Fall liegen dort oft die unglaublichsten Dinge im Weg, die ich zur Seite räumen oder überklettern muss.

      Anfangs habe ich versucht, die Gegenstände wegzuräumen, hatte damit aber wenig Erfolg. Meist lagen sie schon bei meinem nächsten Besuch wieder dort und hatten noch ein paar Sachen zur Verstärkung mitgebracht, so dass es noch schwerer war, vorbeizukommen.

      Einmal fasste ich mir ein Herz und nahm mir das ganze Zimmer vor, unterstützt von einer Freundin. Wir sortierten, ordneten, putzen und das fast einen Tag lang. Das Zimmer sah danach wieder aus wie früher und ich freute mich sehr, obwohl wir beide ganz erledigt waren. Als meine Freundin mich in der darauffolgenden Woche wieder besuchte und nach dem Zimmer fragte, musste ich ihr die traurige Mitteilung machen, dass unsere Bemühungen erfolglos geblieben waren. Sie konnte es nicht glauben und wollte es sehen. Der Anblick trieb ihr die Tränen in die Augen. Es war richtig unheimlich. Das Zimmer schien sich nur in dem von ihm gewählten Zustand wohl zu fühlen. Bücher hatten sich auf dem Boden breit gemacht, Socken waren aus ihrer Schublade gekrochen und hatten sich getrennt (vielleicht hatten sie sich mit ihrem Partner nicht mehr verstanden?) ausgerollt und auf Möbel gelegt, ganze Berge von Papier hatten sich zu Kaskaden ergossen. Mitten in diesem Wust thronten Plastikflaschen, die vor Durst schon ganz schrumpelig waren.

      In dem, was einmal ein Bett gewesen war, bewegte sich plötzlich etwas. Meine Freundin schrie aus vollem Hals und rannte die Treppen hinunter.

      „Was war das?“, fragte sie entsetzt, als wir in Sicherheit waren.

      „Der Bewohner“, mutmaßte ich.

      Jemand wohnte tatsächlich in dem Zimmer. Ich hatte ihn länger nicht gesehen, erinnerte mich aber dunkel, dass es ein männliches Wesen war.

      „Du lässt dort jemanden wohnen?“, fragte meine Freundin entsetzt. Ich zuckte die Schultern: „Ihm scheint es zu gefallen.“ Sie schüttelte angewidert den Kopf und verabschiedete sich, wobei sie mir viel Glück wünschte und mit den guten Rat gab, dass Zimmer zu meiden.

      Wenig später hörte ich ein unheimliches Poltern genau über mir. Mein Herz setzte einen Schlag aus. Das war aus dem verwunschenen Zimmer gekommen! Vorsichtig schlich ich nach oben, immer zur Flucht bereit. Tatsächlich stand die Tür des unheimlichen Zimmers ein Stück offen. Dafür war die Badezimmertür geschlossen und ich hörte das Wasser rauschen. Vorsichtig spähte ich in den Raum, und sah, dass das Bett verlassen war. Das Oberbett war auf die Erde geworfen worden, die Kissen lagen knautschig im oberen Drittel und wurden von allerlei Kabeln gekrönt, die wie kleine, dünne Schlangen wirkten.

      Dann ging die Tür des Badezimmers auf und ich merkte zu spät, dass ich nicht flüchten konnte. Vor mir lag der Chaosraum und hinter mir stand das Wesen, das hier hauste. Meine Nackenhaare stellten sich auf und ich bekam eine Gänsehaut. Etwas streifte meine Schulter und huschte an mir vorbei, wobei die Zimmertür des Zauberzimmers zugezogen wurde.

      „Mensch, Mama! Du sollst doch nicht in mein Zimmer!“, hörte ich eine tiefe Stimme missmutig rufen. Die Stimme kam mir nicht bekannt vor. Hier hatte mal mein Sohn gewohnt, aber der hatte doch so eine niedliche Piepsstimme gehabt. Er war so ein ordentliches Kind gewesen und hatte sein Zimmer immer aufgeräumt. Manchmal staunte ich selbst, wie akribisch er seine Autos und Bauklötze sortierte. Für alles gab es eine eigene Kiste.

      Ich seufzte tief. Was war aus meinem Kleinen, Süßen nur geworden? Wo war er hin? Hatten Außerirdische ihn entführt und dafür dieses Wesen da gelassen, das seine Sachen auf die Erde wirft und dann noch darauf herum tritt? Dieses Wesen, dass nichts weiter sagen kann, als: „Was gibt es zu essen? Mach ich gleich“, und, „Gib mal Geld.“ Ich weiß es nicht. Vielleicht kann mein Mann ja der Sache auf den Grund gehen. Er ist mutiger als ich, aber selbst er traut sich nicht in diese Höhle des Grauens.

      Der Putzteufel

      Adele war eine sehr reinliche Frau. Böse Zungen behaupteten sogar, sie hätte einen Putztick, aber das sah sie ganz anders. Sie hatte es einfach gerne sauber und freute sich, wenn alles blitzte, blinkte und so frisch roch, wie ein Morgen im Frühling. Adele hatte Zeit. Sie war Hausfrau mit Leib und Seele und Putzen war ihre Leidenschaft.

      Eines Tages goss die sparsame Adele die Reste zweier Reiniger zusammen, was eine verheerende Wirkung hatte. Das Fenster im Bad war geschlossen und die Reinigerdämpfe füllten schnell den ganzen Raum. Adele wurde es schwindelig, sie stürzte unglücklich und verstarb auf den frisch gewischten Bodenfliesen, auf denen sich ihr Blut sehr unschön verteilte.

      Thomas und Christina, die beiden halbwüchsigen Kinder Adeles, kamen am Nachmittag nach Hause. Sie wunderten sich zwar, dass die Mutter ihnen nicht öffnete, so wie immer, aber da sie Haustürschlüssel besaßen, ließen sie sich einfach selbst herein. Die Teenager waren sehr hungrig und eigentlich an prompte Bedienung gewöhnt. Da von Mutter Adele aber nichts zu sehen war, bedienten sie sich ausnahmsweise selbst. Der Eintopf hatte genau die richtige Temperatur und die Kinder ließen es sich schmecken.

      Am späten Nachmittag kam Vater Holger müde von der Arbeit nach Hause. Wie immer, hängte er seine Jacke an die Garderobe und rief nach seiner Frau. Als er die Tür des Bades öffnete, gewahrte er das Grauen, war aber so verstört, dass er die Tür einfach zuwarf, den Druck seiner Blase ignorierte und wie ferngesteuert in die Küche lief. Dort sah er das Chaos, dass die Kinder hinterlassen und dass niemand beseitigt hatte. Für ihn war der Tisch auch nicht gedeckt worden und so musste er selbst einen Teller holen und sich bedienen. Während er den, wie immer köstlichen Eintopf in sich hinein schaufelte, wurde ihm bewusst, was er gerade im Bad gesehen hatte.

      Nach dem Essen schlich er sich deshalb zurück zum Ort des Geschehens, um sich zu vergewissern, dass seine Augen ihn nicht getrogen hatten. Da lag Adele in ihrem Blut und gab keinerlei Lebenszeichen von sich. Holger wusste nicht, was er tun sollte. Verstört lief er in das obere Stockwerk, wo die Kinder in ihren Zimmern lärmten, als wollten sie sich gegenseitig an Lautstärke übertreffen. Er wollte ihnen erklären, was mit ihrer Mutter geschehen war, fand aber nicht die richtigen Worte.

      „Kinder, ich muss euch eine traurige Mitteilung machen“, begann er, als er die Aufmerksamkeit seiner Sprösslinge auf sich gezogen hatte. Vier Augen starrten ihn an. Holger begann zu schwitzen. Wie konnte er den Kindern so eine grauenvolle Nachricht überbringen? Er brachte es nicht über sich.

      „Wir können das untere Bad eine Weile nicht benutzen“, fuhr er leise fort. Die Kinder quittierten das mit einem Achselzucken und drehten die Lautstärke ihrer Anlagen wieder auf.

      Holger begab sich kraftlos nach unten und rief die erste Person an, die ihm einfiel, Adeles Schwester Hildegard. Diese kam sofort, besah sich das Unglück und schlug die Hände über dem Kopf zusammen, dann holte sie rasch Eimer und Lappen und fing an, die Blutlache aufzuwischen. Adele hätte nicht gewollt, dass sie jemand so sah.