Alegra Cassano

24 literarische Leckereien


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Seltsames.

      Holger war so betrunken, dass ihm das letzte Weinglas aus der Hand fiel und der rote Inhalt sich auf den weißen Teppich ergoss. Als der Mann von seinem Schlaf erwachte, fand er wohl noch das Glas, das unbeschädigt war, jedoch war kein Fleck zu sehen. Verwundert tastete er den Teppich ab, aber dort fühlte er nichts Ungewöhnliches. Schulterzuckend taumelte er ins Bad. Vielleicht war das Glas ja leer gewesen, oder er hatte Weißwein getrunken.

      Am ersten Tag, nachdem die Kinder wieder zur Schule gegangen waren, stand ein Topf mit Suppe auf dem Herd, als sie zurück kamen. Die beiden wunderten sich, aßen aber mit großem Appetit. Vielleicht hatte ihr Vater ja gekocht, oder eine Nachbarin hatte das Essen vorbei gebracht.

      Die ungewöhnlichen Ereignisse häuften sich!

      Das Bad putzte sich von selbst, Schmutzwäsche war plötzlich sauber und gebügelt, die Betten machten sich jeden Morgen wie durch Zauberhand, Blumen, die niemand goss, gediehen. Holger und die Kinder staunten über diese mysteriösen Vorgänge. Nichts geschah, während sie im Haus waren. Aber wenn sie von Außerhalb zurückkehrten, waren die Wunder vollbracht. Es schien, als wäre Adele zurückgekehrt, um sich weiterhin um ihre Lieben zu kümmern.

      Holger war gerührt und freute sich zugleich. Die Kinder fanden es einfach praktisch, dass sie selbst kaum einen Finger rühren mussten.

      Eines Tages kam Holger früher von der Arbeit nach Hause, weil er sich nicht gut fühlte. Als er die Tür aufschloss, hörte er ein Klappern, das aus der Küche kam. Mit angehaltenem Atem schlich er in diese Richtung. Vielleicht würde er Adele nun sehen!

      Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, als er sich zur Küchentür schlich. Doch die Enttäuschung war groß, als der Raum leer war. Jemand hatte hier Vorbereitungen für ein Essen getroffen, das konnte er sehen, denn die Zutaten lagen, teilweise schon geschnitten, da. Offenbar hatte er den Geist seiner Frau vertrieben. Seufzend wandte Holger sich ab und sah aus dem Augenwinkel, wie jemand zur Haustür huschte. Schnell lief er dorthin.

      Hildegards erschrecktes Gesicht starrte ihm entgegen und mit einem Schlag wurde ihm klar, wer sich die ganze Zeit um alles gekümmert hatte.

      „Es tut mir leid“, flüsterte Hilde und sah ihn schmerzerfüllt an.

      Holger schüttelte den Kopf: „Was denn?“

      „Du hast so sehr daran geglaubt, dass sie es war. Ich wollte dich nicht verletzen, indem ich dir die Wahrheit sage.“

      Er nahm ihre Hand und betrachtete sie schweigend. Dann lächelte er: „Danke für alles, Hilde.“

      Markus

      „Ach, Schatz, nun stell dich doch nicht so an. Es wird bestimmt lustig.“

      Seine Mutter hatte gut reden. Sie musste ja auch nicht dorthin, sondern er.

      „Du bist doch ein großer Junge, oder willst du, dass ich mit komme?“, fragte sie nach und er spürte ihre Unsicherheit. Am liebsten hätte er gesagt: „Ja! Komm mit!“, aber dann würden die anderen erst recht über ihn lachen.

      „Die Jenny ist bestimmt auch da, und die Cora“, sagte seine Mutter und zupfte sein weißes Hemd zu recht. Er hatte sich schick machen müssen. Schließlich war das ja eine Weihnachtsfeier.

      „Den Pastor kennst du doch auch“, plapperte sie weiter. Das war nicht das Problem. Er kannte fast alle, die dort auf der Feier sein würden und die kannten ihn.

      Markus trug die Schüssel Salat, die er mitbringen sollte, zum Gemeindesaal. Er hatte ein flaues Gefühl im Magen, so ganz alleine. Als er hinein ging, rutschte er auf dem Schnee aus, der unter seinen Stiefeln auf den Boden schmolz. Er machte eine wilde Verrenkung, fing sich aber wieder und den Salat hatte er auch gerettet. Gelächter schallte ihm entgegen und er bekam einen roten Kopf.

      Vorsichtig ging er weiter und stellte seine Schüssel auf den Tisch, auf dem schon viele andere Speisen standen. Noch bevor er seine Jacke ausgezogen hatte, hörte er spöttische Stimmen.

      „Na? Hat Mutti dich heute fein gemacht?“

      Er sah an sich hinunter. Seine dunkelblaue Cordhose war ganz neu und schön warm. Das weiße Hemd sah so aus, wie das seines Vaters und er war mächtig stolz darauf, genau wie auf die blaue Fliege, die seine Mutter ihm umgebunden hatte.

      „Ja“, sagte er unsicher, weil er nicht wusste, was falsch daran war, wie er herum lief.

      „Da ist ja unser Spasti“, hörte er jemand anderen sagen. Dieses Wort kante er nicht, und wenn er seine Mutter danach fragte, wurde sie immer gleich wütend.

      Als Markus sich traute umherzublicken, sah er Jenny, ein Mädchen aus seiner Nachbarschaft, an der Wand lehnen. Sie war immer nett zu ihm und gab ihm oft was von ihren Süßigkeiten ab. Markus Mutter erlaubte ihm nur ganz selten etwas Süßes, deshalb fand er es nett von Jenny, dass sie ihm etwas zusteckte. Das war ein Geheimnis zwischen ihnen beiden.

      Markus ging auf Jenny zu und winkte schüchtern. Sie sah ihn aber anscheinend nicht.

      „Hallo Jenny!“, rief Markus. Er traute sich nicht näher an sie heran, weil zwei Jungen bei ihr standen, die ihn schon oft geärgert hatten. Jenny sah ihn nicht an. Ob sie ihn nicht gehört hatte?

      „Hallo Jenny!“, rief Markus noch einmal.

      „Dein Freund ruft nach dir“, sagte einer der Jungen, die bei ihr standen und alle lachten. Markus blieb abwartend stehen. Er dachte, dass Jenny gleich zu ihm kommen würde, wenn sie mit den beiden zu Ende gesprochen hatte. Sie ging zwar nach einer Weile in seine Richtung, raunte aber nur: „Hau ab!“, und verschwand auf der Toilette.

      Markus sah ihr verwundert nach. Hatte er etwas falsch gemacht? War sie böse auf ihn?

      Verwirrt sah er sich nach einem Platz um, auf den er sich setzen konnte. Ganz hinten an der Wand sah er einen freien Stuhl und ging dorthin. Markus konnte nicht so gut laufen, wie die anderen. Er drehte den einen Fuß immer ganz nach außen und deswegen sah es für andere komisch aus. Die Lacher und Bemerkungen ignorierte er, obwohl sie ihm immer noch weh taten.

      Kaum saß er, da kam Pastor Kunze zu ihm.

      „Na, Markus, hast du Spaß? Schön, dass du da bist“, sagte der nette Mann. Markus ging jeden Sonntag mit seiner Mutter zur Kirche und kannte den Pastor gut. Er wusste nicht, was er antworten sollte. Er war immer noch verwirrt, wegen Jenny, deshalb sagte er nichts.

      „Ich hole mir mal etwas zu trinken“, sagte der Pastor nach einer Weile, „möchtest du auch was?“

      Markus schüttelte den Kopf.

      „Na, Spasti, was machst du denn hier?“, fragte der große Björn und stützte sich so auf den Tisch, dass er Markus die Sicht versperrte. „Hat dir keiner gesagt, dass heute für Behinderte geschlossen ist?“

      Markus runzelte die Stirn und schüttelte dann stumm den Kopf.

      „Was willst du hier?“, stichelte Björn weiter, „Es will niemand etwas mit dir zu tun haben. Am besten gehst du gleich nach Hause zu Mami. Wenn du unterwegs einem Bus begegnest, zögere nicht dich davor zu werfen.“ Er lachte wiehernd. „Keiner würde dich vermissen, man!“

      Markus war solche Gemeinheiten gewohnt, aber trotzdem tat es immer wieder weh, nur zeigte er es niemandem mehr.

      „Lass mich in Ruhe“, sagte er, allen Mut zusammen nehmend.

      „Was?“, fragte Björn laut.

      Markus zuckte zusammen. Ein paar andere Jungen kamen hinzu.

      „Was ist denn los?“, fragte einer. Markus traute sich gar nicht aufzusehen.

      „Unser Spasti hat heute Mut gefrühstückt“, sagte Björn gehässig. „Komm mit raus, dann zeig ich dir was.“ Markus sah sich nach dem Pastor um. Er wollte nicht mit raus gehen. Björn war immer so gemein zu ihm.

      „Na