Magdalena Gräfenberg

Helen und die Häute der Frauen - Erster Teil: SOKO Haut


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von In-A-Gadda-Da-Vida der Iron Butterfly, die er im Handschuhfach fand, voll aufgedreht laufen. Das machte ihn wach, baute ihn auf. Er liebte dieses Hämmern der Trommeln. Er kurbelte das Fenster herunter, um Luft zu bekommen. Der Geruch wurde zunehmend unangenehmer. Eine leichte Steigung und eine Rechtskurve. Der Wagen trieb nach links außen in der Kurve. Das grelle Licht aus diesen verdammten vier Scheinwerfern eines Überlandtrucks kam ihm entgegen. Er fluchte über diese Langholzer, die auch nachts noch Bäume transportierten. Er kurbelte nach rechts und versuchte, das Abdriften zu unterbrechen. Er trieb dennoch weiter nach links, das Licht verschwand vor seinen Augen und in seinem Kopf wurde es erst ganz hell und dann ganz dunkel und dann still. Das Bersten der Metallstreben des Geländewagens vernahm er nicht mehr. Er hatte darauf verzichtet, sich wieder anzuschnallen, als er beim Pinkeln gewesen war.

      Das Glück des Weibes heißt:

      Er will.

      F.W. Nietzsche

      …und vergiss die Peitsche nicht.

      Zum Wollen muss das Können kommen.

      Dr. Helen Blankenburg

      Der neue Fall

      Montag, 23. Mai 2011

      Das angekündigte Hoch mit Temperaturen über 30 Grad war seit fünf Tagen angekommen. Zuerst war noch rötlicher Saharastaub dabei gewesen und morgens war es noch relativ frisch. Ganz früh am Morgen war durchaus noch etwas Wärmendes angesagt. Ein Pullover zum Beispiel. Gegen elf Uhr wurde es dann aber schon fast unerträglich heiß, zumal noch eine hohe Luftfeuchtigkeit die Hitze begleitete. Es wurde schon vorausgesagt, dass dieses stabile Hochdruckgebiet mit hoher Wahrscheinlichkeit noch bis Ende Juli bleiben sollte. Man sprach von einem kommenden Jahrhundertsommer wie 2003. Helen hatte sich schon auf dieses Wetter freudig eingerichtet und trug seit Mitte der vergangenen Woche nur noch leichte Fähnchen. Sehr zur Freude der Fortbildungsteilnehmer, die sie im Wechsel oder auch gemeinsam mit BH, ihrem Chef, unterrichtete. Alleine leitete sie die Fortbildung Psychologie. Mit ihren leichten Sommerfähnchen und den farblich abgestimmten High-Heels gab sie den jungen Kollegen eine ziemlich gute Idee ihrer beeindruckenden und dabei sehr sportlichen Figur. Ihre Vorlesungen waren immer sehr gut besucht, da sich keiner ihren witzigen und auch körperbetonten Auftritt entgehen lassen wollte. Sie war der Favorit unter den Lehrern, und schnell hatten die neuen Teilnehmer der Fortbildung ihren schon seit einiger Zeit kursierenden Spitznamen „Schneewittchen“ übernommen. Wie er entstanden war, wusste niemand genau, aber er passte zu ihrer sehr weißen, makellosen Haut und ihren dichten, schwarzen Haaren und dunkelblauen Augen. Der etwas sehr frivole Zusatz wurde hinter vorgehaltener Hand weitergegeben und betraf ihre Figur, die Unruhe

      stiftete und für eine heimliche, aber große Anhängerschaft sorgte, welche von ihrer

      erotischen Ausstrahlung kräftig genährt wurde. Sie war es gewöhnt, dass man ihr auf die Bluse starrte und gelegentlich hinter ihr her pfiff. Sie war es auch gewöhnt, gelegentlich unanständige Angebote zu bekommen. Einer ihrer Vorgesetzten bei der Ausbildung hatte sie tatsächlich gefragt, ob sie nicht lieber ihr Geld schneller und reichlicher in einem anderen Job verdienen wolle, als hier bei der Polizei zu malochen. Sie habe doch genau die Maße, die dafür geeignet wären. Ihr Körper sei doch ihr Kapital und die wahre Goldgrube habe sie in ihrer Hose, sozusagen zwischen den Beinen. Er hatte dabei andeutende Handbewegungen gemacht. Das war noch bei der Reiterstaffel gewesen, bevor BH sie abgeworben hatte. In ihrer Personalakte stand dann auch, dass sie die Abteilung wegen sexueller Belästigung gewechselt hatte. Später traute sich das keiner mehr, obwohl man sie nur allzu gerne rumgekriegt hätte. Seit dieser Zeit führte sie auch ein elektronisches Tagebuch, in das sie alles akribisch eintrug. Das machte sie mit der gleichen Konsequenz, mit der sie auch ihr Kraft- und Fitnesstraining täglich durchführte.

      Nur ungern hatte sie sich heute, an ihrem freien Tag, trotz der Hitze in ihre Reitkluft gequält. Sie hatte sich diesen Tag für einen längeren Ausritt auf ihrem Hannoveraner Hengst reserviert. Im Anschluss an den Ausritt war noch, als einzige Dienstveranstaltung dieses Tages, das obligatorische Schießtraining vorgesehen.

      Auf dem Weg zu den Stallungen des Reit - und Fahrvereins war sie noch kurz in ihr Büro gegangen, um etwas Eiliges an ihrem Schreibtisch zu erledigen. Hierzu brauchte sie ihren privaten Rechner, den sie mit sich führte. Sie war früh dran, und es bestand die berechtigte Aussicht, niemanden zu treffen. Zu der unter Verschluss gehaltenen Dokumentation hatte sie noch Anfügungen zu machen, bevor sie in Vergessenheit gerieten. Eine Arbeit, die sie auch Moneypenny nicht überlassen durfte. Aktuell wurde diese Arbeit durch den Nato-Angriff auf Libyen, weil sie eine Sammlung von Informationen enthielt, die den Weg des Frauenhandels durch das Gaddafi-Land beschrieb. Die Verwicklung der Wüstenstämme in den Handel mit minderjährigen schwarzen Mädchen wurde im Rahmen der Aufstände gegen Gaddafi größer. Dieser Handel mit den Mädchen wurde zu einem wachsenden Wirtschaftsfaktor, zumal der Bedarf wuchs und der Nachschub aus der Produktion des Südens vorhanden war. Durch die erfolgreichen Angriffe der Nato auf Gaddafis Regime war der Weg für die Schleuser aus der Gaddafi-Opposition über das Mittelmeer plötzlich freier.

      „Leck mich am Arsch, was soll der Scheiß, was soll dieser Aktenberg auf meinem Schreibtisch“, grummelte Helen vor sich hin, als sie an diesem frühen Montagmorgen die Tür zu ihrem Arbeitszimmer aufschloss und den überfüllten Schreibtisch sah. Natürlich war ihr klar, dass sich an ihrem freien Tag oder am Wochenende etwas getan hatte. Es war klar, dass das immer wieder vorkam. Aber heute musste es nun wirklich nicht sein. Sie kramte die Kisten kurz durch und ahnte, dass ihre Pläne für heute pulverisiert waren. Sie nahm den Hörer, rief Jakob Tischer, den Hausmeister, an und raunzte dem Pedell aufgebracht ins Telefon.

      „Kobes, was soll der ganze Mist?“

      „Frau Doktor, ganz ruhig, das kommt alles vom Chef. Ich hatte nur den Auftrag, alles hinzustellen. Er musste weg. Besprechung. Es ist alles an deinem Urlaubstag, am Freitag, frisch reingekommen, deshalb stehen die Akten seit heute früh auf deinem Tisch.“

      „Von frisch kann keine Rede sein. Die Akten müffeln nach Schimmel. Aber das riechst du ja nicht als Kettenraucher.“

      „Ehrlich, die stinken?“

      „Alles stinkt, Kobes. Und mir stinkt‘s auch.“

      „Also, Helen, mehr weiß ich dazu auch nicht. Alles Weitere wird dir Moneypenny erklären, die müsste ja bald kommen.“

      „Na prima, das weiß ich selbst.“

      Helen knallte den Hörer auf den Kontakt und schaute missmutig auf die grauen Plastikkisten mit den Akten. Das passte ihr heute Morgen überhaupt nicht ins Konzept. Sie hatte sich diesen Tag freigehalten. Und er war komplett verplant mit privaten Terminen, dem Reiten und den turnusmäßigen Schießübungen. Außerdem wollte sie sich noch einen Ventilator und ein paar leichte Sachen kaufen, die dem Dresscode des Hauses entsprachen, aber leicht genug waren, um die Arbeit bei der zu erwartenden Hitze erträglich zu gestalten. Aus diesem Grunde war sie schon vor dem normalen Dienstbeginn und total unüblich im Reitdress erschienen. Etwas, das sie im Allgemeinen möglichst zu vermeiden suchte. Wäre ich bloß weg geblieben, dachte sie. Aber sie hatte ja in der laufenden Dokumentation noch etwas zu erledigen. Sie war sozusagen direkt in die Falle gelaufen.

      Sie baute ihren Laptop auf, öffnete das Programm auf ihrem Rechner und übertrug die bewussten Dateien auf ihren Dienstrechner. Sie hörte die Geräusche des beginnenden Arbeitstages. Der Chef war es jedenfalls nicht. Sein Auftritt machte sich anders bemerkbar. Außerdem war er ja außer Haus.

      Borhagens Sekretärin, Gerda Schlosser oder „ Miss Moneypenny“, wie sie von Helen und manchen anderen genannt wurde, war gerade gekommen. Das war nicht zu überhören. Ihre Zimmer lagen nebeneinander und hatten eine Verbindungstür. Als Helen das Sekretariat betrat, war Moneypenny gerade dabei, ihre Sommerjacke auf den Bügel in ihrem Schrank zu hängen.

      Sie hörte Helen eintreten. Helen war ja auch laut genug mit ihren Stiefeln, und sie ahnte wohl schon, was kommen würde. Sie kam Helens Wutausbruch zuvor und erklärte, noch mit ihrer Jacke beschäftigt, halb im Schrank und über die Schulter in Richtung Helen schauend, was sich am vergangenen Freitag, Helens Urlaubstag, abgespielt hatte.

      „Hallo