Magdalena Gräfenberg

Helen und die Häute der Frauen - Erster Teil: SOKO Haut


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und das, was ihr nicht so wichtig erschien, sparte sie für später auf. Jedenfalls waren es zwei Aktenkomplexe. Einmal aus dem Jahr 2008. Dieser Fall war unabgeschlossen von den Ungarn ad acta gelegt worden. Durch den zweiten Komplex von 2010 war er wieder zum Leben erweckt worden.

      Eine stabile Schnur hatte beide Aktenkomplexe auch sichtbar zusammengeführt. Der zweite Teil von 2010 war deutlich umfangreicher durch die Tagebücher einer Mandy und die Briefe einer Manuela. Diese wollte sie zum Schluss lesen. Die Hinweise, die ihr Chef mit seinen Zetteln gegeben hatte, erwiesen sich als sehr hilfreich. Borhagen hatte tatsächlich sehr genau gelesen. Falls er sich auch alles gemerkt haben sollte, konnte Helen mit großer Hilfe rechnen. Bei den eher privaten, pornographischen Berichten hatte er vor allem jeden auftauchenden Namen registriert und einer neuen Farbe zugeordnet. Das erleichterte Helen die Arbeit erheblich.

      Die Akten von 2008 umfassten:

      Polizeiakten Vesprem: 01.08.08:

      Vorgang im Wald bei Vesprem - Fund zweier verstümmelter, teilweise verbrannter männlicher Leichen in einem ausgebrannten, russischen Jeep. Kopien der Fotos vom Tatort.

      Mit diesem Bericht fing alles an. Daher nahm Helen ihn sich genau vor.

      Es war ein dickes Bündel von Bildern und Kopien. Sie blätterte die Bilder durch, blieb an einigen Aufnahmen hängen, sah die teilweise verkohlten Leichen im Wagen, die teilweise aus der offenen Wagentür heraushingen. Unschöne Anblicke, die jedoch keinen Eindruck darüber vermittelten, was wirklich abgelaufen sein könnte. Diese männlichen Leichen waren ausgenommen, wie Schlachttiere geöffnet. Hatten zum Teil noch Jacken, Hosen und Stiefel an, das meiste aber fast bis zur Unkenntlichkeit verkohlt. Sie waren an den Füßen mit Drahtschlingen versehen. Aufnahmen von Gegenständen im Gras, alle nummeriert, Organteile, Haufen von Därmen auf dem Waldboden, ein Anblick, der Würgereiz bescherte, ein Silikon-Brustimplantat, Fleischerhaken, eine Metallstange mit Löchern und Kettenteilen. War wohl in Eile liegen geblieben, dachte Helen.

      Großaufnahmen von schwarzem Blut im Gras. Großaufnahmen von weißlicher Flüssigkeit auf Gräsern.

      „Was soll das? Sperma?“, fragte sich Helen. Und das Brustimplantat, da war auch noch eine Frau zerstückelt worden, und vermutlich nicht nur das.

      Dann kam der Bericht eines Joggers. Der erste Zeuge. Das war wohl der Erste, der am Tatort gewesen war. Helen war gespannt auf die Aussage und las.

      Zeugenaussage Jogger:

      - zum Vorgang im Wald bei Vesprem vom - 01.08.08. Nochmalige Vernehmung am 02.08.08 -

      Igor Pec berichtet:

      Auf meinem üblichen morgendlichen Waldlauf, den ich immer variiere, am 03.07.2008, so gegen 5:30, nahm ich die Route durch ein ziemlich abgelegenes Waldstück. Da bemerkte ich in der Nähe einer Wegkreuzung im sumpfigen Wald von Tajvedelmi Körzet bei Szekesfehervar Brandgeruch wie von Reifen und Chemikalien. Ich stoppte und ging dem Rauchgeruch nach und kam rechts vom sandigen Weg auf eine Waldlichtung, auf die auch ein mit Gras zugewachsener Weg führte. Die frischen Reifenspuren im Gras erregten im Zusammenhang mit dem giftigen Brandgeruch meine besondere Aufmerksamkeit. Es gab noch weitere unterschiedlich breite, frische Reifenspuren im noch immer feuchten Boden. Da stand auf einer Waldwiese, in der Nähe eines Entwässerungskanales, ein intensiv riechendes, nicht mehr qualmendes, sonst jedoch fast völlig ausgebranntes Autowrack eines russischen Militärgeländewagens. Drin und halb heraushängend die teilweise verkohlten Leichen von zwei Männern in, soweit noch erkennbar, Jagdkleidern. Hosen nur an den Beinen. Der Brustkorb und der übrige Rumpf waren deformiert und aufgebrochen. Geruch und Anblick waren kaum zu ertragen. Ich musste mich spontan übergeben. Danach habe ich nicht weiter nachgesehen, ich war völlig verschreckt und bekam auch Angst. Vielleicht war noch jemand in der Nähe. Ich bin dann sofort weiter zu meinem Auto gelaufen, das weit weg stand. Dann habe ich die Polizei in Szekesfehervar verständigt. Beim Rumlaufen auf der Wiese bin ich in eine Blutlache getreten, was ich erst am Auto bemerkte. Ich habe die Schuhe mitgebracht. Vielleicht brauchen sie die Blutspuren.

      Helen nickte und dachte, dass ihr dieses morgendliche Erlebnis auch nicht sonderlich gefallen hätte.

      Bei der zweiten Vernehmung hatte nur geklärt werden sollen, ob der Jogger etwas angefasst oder mitgenommen hatte. Und man hatte eine Blutprobe von ihm haben wollen, was Igor P. erlaubt hatte.

      Nein, er habe nur Schock und Angst empfunden und sich übergeben. Die Schuhe mit den Blutspuren habe er schon abgegeben. Er würde sie gerne wieder haben. Es seien teure Laufschuhe.

      Helen las im Polizeiprotokoll weiter, was die kriminaltechnische Aufarbeitung ergeben hatte und welche Rückschlüsse gezogen worden waren:

      Reifenspuren von insgesamt drei Fahrzeugen. Eine Spur gehörte zu dem verbrannten Kommandeurswagen. Zwei Fleischerhaken mit Blut. Die DANN-Analyse ergab das Blut einer Frau, identisch mit einem Teil der gefundenen Organteile und den Spuren an der Silikonprothese.

      Ein 1,2 m langes Eisenrohr mit großen Löchern und einem großen Haken in der Mitte mit Spuren von der Rinde eines Baumes, den man später auch identifizieren konnte.

      Unter diesem Baum eine weitere Blutlache der gleichen weiblichen DANN-Zugehörigkeit, Anteile von Fettgewebe, im Gras der Umgebung Spermaspuren der beiden verkohlten Männerleichen, Nachweis über die nachgewiesene DNA.

      Weiter fand man im angrenzenden Gebüsch einen zerschnittenen String Tanga, die Mamma-Silikonprothese mit den erwähnten DNA-Spuren eben dieser Frau.

      Auf der Wiese vor dem Baum, an dessen Fuß sich die Blutlache und die Spermaspuren befanden, fand man Zigarettenkippen und zwei halbe Cohiba Corona. Die DNA wurde gesichert. An den Cohibas ließen sich auch zwei unterschiedliche DNA-Spuren nachweisen.

      Das Blut an den Schuhen von Igor P., dem Jogger, stammte von einer weiteren, einer fünften männlichen Person.

      Langsam bekam Helen ein Bild, was eventuell abgelaufen war. DNA von sechs Personen, einer weiblichen und fünf männlichen.

      Weiter menschliche Därme von drei unterschiedlichen Opfern, die den verbrannten Leichen und der bekannten weiblichen DNA zuzuordnen waren.

      Mehrere Hülsen von Schrotpatronen mit DNA-Spuren der Leichen im verbrannten Wagen und Spuren der DNA von den Schuhen des Joggers.

      Waren sie mit ihren eigenen Waffen erschossen worden? Hatten sie sich gewehrt, war es zum Kampf gekommen? Sieht so aus, dachte Helen, wenn man die Blutlache berücksichtigt, in die der Jogger getreten ist.

      Die Leichen waren regelrecht ausgeweidet worden. Es fehlten alle wichtigen inneren Organe, Lungen, Herz, Leber und Nieren. Sie waren niemandem zuzuordnen. Die Toten waren Unbekannte. Tod durch Kopfschuss mit Schrot durch den Mund, danach ausgeweidet und verbrannt. Niemand vermisste sie, wie es aussah. Das verbrannte Auto war ohne Nummernschilder und ohne Motorennummer und Fahrgestellnummer.

      Diese Nummern konnten angeblich auch nicht rekonstruiert werden, was Helen nicht verstand. Sie hatte in Erinnerung, dass es Methoden gab, sie sichtbar zu machen. Ein ehemaliger russischer Kommandeur-Geländewagen, wie es viele in Ungarn gegeben hatte und noch immer gab.

      Helen las den Bericht über die DANN-Analysen nochmals genauer. Ihr war etwas aufgefallen. Ein Darmstück, das mit der Vagina vernäht war, enthielt auch diverse Spermaspuren der sogenannten Jäger. Daneben gab es noch weitere Spermaspuren sowie nicht menschliche Spermien, DNA-Spuren von Caniden.

      „Von Hunden“, dachte Helen und konnte mit dieser Feststellung noch nichts anfangen.

      Auch das Erbrochene des Joggers Igor Pec war registriert, stellte sie fest.

      Sorgfältig gesichert und analysiert, dachte Helen und betrachte intensiv die Großaufnahme der Brust-Silikonprothese. War da eine Seriennummer zu erkennen? Sah danach aus. Etwas blass und unvollständig, nur Reste. Die Nummer war weitgehend mechanisch abgetragen. Die vollständige Nummer wäre ein echter Treffer. Man konnte vielleicht den Hersteller und den Operateur ermitteln, dann die ehemalige Besitzerin. Helen erinnerte sich, dass vor ein paar Jahren über die Seriennummer ein Mord aufgeklärt werden konnte. Sie dachte