Henning Plähn

Ertrunken


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      Henning Plähn

      Ertrunken

      Roman

      Vorwort des Herausgebers

      Die nachfolgenden Texte entstammen zweier Word-Dateien, die der Autor Ende September 2006 per Email an die Mitherausgeberin dieses Buches verschickte, bevor er am 25. Oktober 2006 in Elmina/Ghana unter unbekannten Umständen bei einem Badeunfall ums Leben kam. Eine Datei war mit Erzählband bezeichnet, die andere mit Tagebuch. Ob das Tagebuch des zweiten Teils dieses Buches allerdings lediglich Ergänzung des Erzählbandes des ersten Teils ist, wie der Autor in seiner Begleitmail suggeriert, oder aber umgekehrt, wie ich meine, sei trotz der Anordnung der Texte in diesem Buch dahingestellt.

      Insgesamt ist hierzu zu bemerken, dass ich persönlich die Anordnung der einzelnen Textteile, im Grunde sogar die Texte selbst, entgegen der Meinung der Mitherausgeberin für rein literarisch halte. Schon im Auftakt des Tagebuchs wird meines Erachtens die ästhetische Struktur des gesamten weiteren Textes deutlich. Auch wenn die Mitherausgeberin jedoch dennoch weiterhin daran festhält, dass es sich beim ersten Tagebucheintrag, bis auf eventuelle Ausbesserungen und Ergänzungen, um den authentischen, irgendwann Ende Oktober 2002 entstandenen Einstieg in die weiteren, ebenfalls im Groben und Ganzen authentischen persönlichen Aufzeichnungen des Autors handelt, so habe ich mich entschieden, die für meine These relevanten Textstellen mit Anmerkungen zu versehen.

      Die Veröffentlichung der Tagebuchtexte im ersten Teil erfolgt dennoch unter Unterdrückung der Nachnamen, Ortsangaben oder sonstiger persönlicher Daten, sonst aber ohne jede Änderung und, abgesehen von den Fußnoten, ohne jede weitere Beifügungen.

      Erster Teil

Erzählband

      Vorwort des Autors

      Tugendhaftes Empfinden und Sensibilität für moralische Fragen werden in der heutigen Zeit, in der alles Nichtstoffliche als Utopie verschrien wird, und Liebe am Körperlichen gemessen, oft als unnötiger Ballast abgetan. Steht anfangs noch der Glaube ans Ideal, so wächst aufgrund des verbundenen Leids die Ablehnung des Glaubens an Ideen wie die Liebe. Der Prozess vom Träumer zum Erwachten, zum Realisten ohne Leid, und die Möglichkeit der sorglosen Liebelei scheint erstrebenswert, Liebe dagegen kompliziert und anstrengend. Und schwimmt man auf seiner Suche nach Liebe nicht geradezu gegen den Strom? Wenn man sich aber mit seiner Idee von der Liebe gegen seine Mitmenschen wendet, wie sinnlos ist dann diese Liebe?!

      Allerdings ist der Versuch, seine Idee von der Liebe aufzugeben, um bei den anderen mitschwimmen zu können, ebenso konfliktbeladen wie das Verüben extremen Unrechts, selbst wenn es gesetzlich erlaubt ist.

      Jugendliebe

      Damals, im Winter 1978/79, war das ganze Land überzogen mit einer Decke aus leuchtendem Eis und Schnee. Besonders an Tagen, an denen die Sonne schien, erstrahlten Hügel und Felder. Bäume sahen aus wie Skulpturen, die die Natur zur Preisung ihrer eigenen Herrlichkeit erschaffen hatte. Es war eine Wonne, sich den malerischen Horizont anzuschauen, wenn man einen Blick dafür hatte.

      Sie hatte diesen Blick, saß in ihrem Zimmer und genoss die Aussicht, die durch das Fenster zu ihr durchdrang. Das anschauliche Stillleben der Natur wirkte beruhigend auf sie, ihre Gedanken waren daher klar und ungewöhnlich tiefgreifend. Im Sommer war sie noch das kleine Schulmädchen gewesen, dem die Eltern erzählten, was sie zu tun hatte. Nun wohnte sie zwar immer noch bei ihnen, hatte aber nach der Schule eine Lehre angefangen, die ihr das Gefühl gab, vollwertiger, eigenständiger Teil der Gesellschaft zu sein. Das Leben einer Erwachsenen, auf das sie sich schon immer so gefreut hatte, hatte also nun endlich auch für sie begonnen.

      Allerdings war aufgrund der katastrophalen Witterung die letzten Tage in der ganzen Region der Notstand ausgerufen worden. Die Straßen waren unbefahrbar, gearbeitet werden konnte nicht. Ungeachtet dem Umstand, dass sie nun also wieder ihre Zeit bei den Eltern fristete, waren es dennoch sehr schöne Tage für sie, die sie nutzte, um sich ihre Zukunft zu erträumen und in Phantasien zu schwelgen.

      Während sie also auch jetzt wieder selbstgefällig über die Veränderung in ihrem Leben nachdachte, und darüber, was ihr das Leben noch alles zu bieten hatte, betrat ihre Mutter das Zimmer.

      »Laura, was ist mit Frühstück? Du solltest lieber noch was essen.«

      »Ja, später. Ich habe jetzt noch keinen Hunger.«

      »Das geht nicht. Wir müssen gleich los. Die Tülldorfer sind über Nacht zugeschneit und ich hab unsere Hilfe schon zugesagt.«

      »Ach Scheiße, da hab ich schon mal Urlaub und nun soll ich auch noch so ’n Mist mitmachen! Können sich die Tülldorfer nicht selbst helfen?!«

      »Tut mir leid, aber das muss sein! Also junge Dame, iss noch was und dann geht’s los. Nicole und Melanie helfen auch mit. So schlimm wird’s bestimmt nicht werden.«

      Laura war dann wieder allein in ihrem Zimmer. Die Ruhe, die sie vorher noch verspürt hatte, war nun dem Ärger gewichen. Trotzig stand sie auf, machte Musik an und verließ das Zimmer in Richtung Küche.

      Auch auf dem Weg zur Hilfsaktion hatte sie immer noch das Gefühl, die Welt sei ungerecht. Die Natur erschien ihr kalt und hart und hatte ihren vorherigen Anmut eingebüßt.

      Als sie den Weg Richtung Tülldorf einbogen, war dort schon der größte Teil des Dorfes im netten Plausch versammelt. Ihre Freundinnen waren im Gespräch mit den Jungs des Dorfes und Laura gesellte sich zu ihnen.

      Es dauerte nicht lange und sie hatte ihre gute Laune wiedergefunden. Der Grund hierfür lag vor allem in einem jungen Mann, mit dem sie sich schon einmal unterhalten hatte. Das war im Sommer gewesen, als seine kleine Schwester und sie zusammen ihren Schulabschuss gefeiert hatten. Damals hatte sie sich schon überlegt, warum sie ihn nicht schon öfter im Dorf getroffen hatte. Es war sehr angenehm, sich mit ihm zu unterhalten, und seine teilweise spitzen Anspielungen machten die Sachen für das Mädchen besonders reizvoll. Seine Schwester hatte nach dem Abschlussfest gesagt, dass er in Hamburg studiere, aber auch schon vorher kaum zu Hause gewesen wäre, sondern sich mehr in der Stadt mit Schulfreunden herumgetrieben hätte. Auf Anfrage bekam Laura nun von ihm zu erfahren, dass er über die Feiertage seine Eltern besucht hatte und dann hier eingeschneit worden war, so dass sich seine Abreise wohl noch einige Tage hinauszögerte. Er sehe darin jedoch mittlerweile keinen Nachteil mehr, da der Winter auf dem Lande viel schöner sei als in der Stadt. Sie konnte dem nur zustimmen, hatte sie nicht vorhin erst die Schönheit in sich aufgesogen.

      Die Hilfsaktion, die sie zuvor noch als schreiende Ungerechtigkeit empfunden hatte, verwandelte sich nun also rasch in ein wunderschönes Ereignis. Laura wich dem jungen Studenten nicht mehr von der Seite. Auch der Dorfgemeinschaft, die gerade in einem solch harten Winter wie damals zusammengeschweißt wurde, fiel auf, was die beiden doch für ein schönes Paar abgäben.

      Als der Durchbruch zu den Leuten aus Tülldorf geschafft war, wurde sich in den von Holzöfen geheizten Häusern des Dorfes aufgewärmt, und heißer Punsch erwärmte nicht nur die Körper. Die Stimmung der Dorfbevölkerung war nach getaner Arbeit ausgelassen fröhlich.

      Auch Laura fühlte sich sehr wohl nach diesem Tag. Jedoch war er ja noch nicht zu Ende, und die Lust auf ein nächtliches Fest stieg in ihr auf.

      Nachdem sie sich einen Punsch hatte geben lassen, ging sie wieder zu ihrem neuen Freund, der abseits des geselligen Treibens draußen vor dem Haus auf einem Holzbalken saß. Er schien gerade nachzusinnen, sah Laura aber an und sagte etwas Nettes, als sie sich neben ihn setzte. Ihre Hand neben seiner.

      Es ist ein schönes Bild, das die beiden vor dem erleuchteten Haus, umrahmt von der winterlichen Idylle bei untergehender Sonne, abgeben. Im Hintergrund hört man das fröhlich Treiben im Haus. Der Junge beschreibt ihr seine Eindrücke und Gedanken. Er erzählt von seinem Studium, redet allgemein über das Leben in der Stadt, über seine Freundin, die er sehr liebe, und wie schön doch der Winter daheim sei, obwohl er sie vermisse. Er ist fast ebenso glücklich wie seine kleine Zuhörerin, nur hat er nicht dieses prickelnde Gefühl im Bauch, das sie selig beflügelt. Sie verliert ihre Gedanken in seinen, obwohl sie eigentlich nicht mehr richtig zuhört, und weiß selbst