Henning Plähn

Ertrunken


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zu starren, denke ich. Ich ertrage den Moment nicht mehr, lasse sie los und drehe mich zum Fenster. Auch sie ist wohl enttäuscht von mir. Ich entschuldige mich und gehe.

      Geschrieben Juni 2002

      Schachmatt

      Ich hatte die Hand mit der schwarzen Figur gewählt und machte mir einen Spaß daraus, ihm die ersten beiden Züge nachzumachen. Als er dann jedoch wieder einen Bauern zog, ging ich mit dem Läufer schon gleich in die Offensive, obwohl ich ja weiß, dass es in diesem Stadium des Spiels noch nichts bringt. Ich bin kein so guter Spieler, als dass ich die Tragweite meiner Züge oder auch die meines Gegners im Voraus abschätzen könnte. Im Grunde bin ich immer froh, wenn sich irgendwann interessante Konstellationen entwickeln, an denen man sich dann messen kann. Für einen wirklichen Schachspieler muss sich das hier einfältig anhören, aber ich finde es auch übertrieben, regelrecht die Züge zu trainieren, um dann wirklich Schach spielen zu können. Für mich steht der Spaß im Vordergrund. Mein Freund sieht das ähnlich und es macht ihm immer Spaß mit mir zu spielen, auch wenn er etwas geübter ist. Ich glaube, ich habe noch nie gegen ihn gewonnen, und selbst wenn und ich es jetzt nicht mehr weiß, so zeigt es ja nur, dass ich gar nicht die Absicht habe. So saßen wir auch jetzt wieder am Brett und machen unsere Züge.

      Er ist dran und überlegt lange. Es sieht gut aus für mich, das habe ich auch schon erkannt. Ich weiß aber nicht, wie ich diesen Vorteil umsetzen kann, also warte ich ab und hoffe auf Fehler. Er zieht. Es ist wohl ein Sicherheitszug. Aus meiner Sicht ist die Konstellation unverändert. Ich spüre, wie der Moment gekommen ist, um vielleicht sogar einen Sieg einzufahren, aber ich weiß nicht wie. Überlegen hilft da wohl auch nicht wirklich. Bleibt mir das Warten auf offensichtliche Fehler. So wie gestern, als ich mit einer Bekannten gespielt habe. Ich hatte sie besucht, weil mir alleine langweilig gewesen war und ich nicht in meiner Bude hatte versauern wollen. Irgendwann hatte sie dann die Idee zu spielen. Wir waren schon etwas angetrunken, und das Spiel machte Spaß. Ich stand auch recht gut, so wie jetzt, fühlte aber noch lange nicht, dass ich sie besiegen würde. Sie machte dann die Fehler, auf die ich auch nun warte. Ich hatte nur ihre Figuren schlagen müssen.

      Ich ziehe meinen Springer, um weitere Felder zu bedrohen. Er zieht den Läufer und bedroht meine Dame und den Turm. Meine gute Ausgangsposition ist zerstört. Ich bin in einer ausweglosen Situation. Der Turm ist verloren. Vielleicht ist das das Gefühl, das sie gestern hatte, als ich ihr auch noch ihren Turm genommen hatte und sie dann praktisch handlungsunfähig war. Mir war gar nicht bewusst, in was für einer schlechten Lage sie sich befunden hatte, bis sie das Brett umwarf. Hatte ich zuvor immer herzhaft gelacht, war ich in dem Moment erschrocken über ihren Ausbruch. Ich sah sie an und beschwerte mich lächelnd, warum sie mir mein Spiel kaputtgemacht hatte, schließlich gewänne ich nicht so oft und müsse noch üben, den Sack zuzumachen. Und wie ich es üben muss. Ich rette die Dame. Mein Turm ist weg. Sein Läufer steht sehr bedrohlich. Eine Verteidigung ist mir nicht möglich. Ich nutze die Dame, um selbst Druck zu machen. Sein König ist von Bauern abgeschirmt, aber ich sehe eine Lücke, arbeite darauf hin, gerate dann aber schon selbst in Zugzwang, weil auch er jetzt angreift. Ich bin einen Zug zu spät. Trotzdem war es ein tolles Spiel. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich ihn das letzte Mal so in die Enge gezwungen habe. Ich weiß, dass ich nur häufiger spielen muss, um ihn irgendwann zu schlagen.

      Wir spielen noch mal. Wenn ich nur wüsste, wie ich es gestern gemacht habe. Meine ersten Züge sind wieder willkürlich, wie gestern auch. Eigentlich war ihr Wutausbruch gestern meine Rettung, denn auch ohne Gegenwehr wäre ich vielleicht nur zu einem erbärmlichen Remis fähig gewesen. Wahrscheinlich hätte ich dabei ohne ihre Reaktion auch weiterhin nicht mal bemerkt, wie sehr es sie verletzte, von einem Spaßvogel vorgeführt zu werden. So aber öffnete mir ihr plötzlicher Spielabbruch die Augen. Meine Züge sind immer noch unüberlegt. Auch er zieht recht schnell.

      »Wie läufst eigentlich bei dir? Immer noch verliebt?«

      »Ja, klar. Kein Ende in Sicht«, antwortete mein Freund.

      »Ich habe gestern wieder eine besucht.«

      Er hat gezogen und ich stehe ganz schlecht dar. Selbst ich sehe, dass das Ende nicht mehr lange auf sich warten lässt, wenn ich so weiter spiele wie bisher. Ich versuche, mich zu konzentrieren. Gestern hatten wir viel geredet, über die Liebe und das alles. Sie hatte wirklich was zu sagen. Einige Sätze sind plötzlich wieder da.

      »Wenn du die Dame bewegst, kannst du noch ein paar Züge schinden«, lacht mein Freund.

      All die Männer, die sie hatte, haben sie nicht glücklich gemacht, weil es eben nur für eine Nacht war und sie sich am nächsten Tag nur noch einsamer fühlte, als wenn sie gleich alleine geblieben wäre. Jedenfalls sagte sie das so. Ich verstand sie zwar, könne es aber nicht wirklich nachvollziehen. Jetzt fühle ich, was sie meinte. Ich vermisse sie.

      »Du weißt ja gar nicht, wie das ist, ständig auf der Suche zu sein.«

      »Red keinen Scheiß und zieh endlich.«

      Ich ziehe. Er überlegt kurz und zieht dann auch. Hoffentlich fühlt sie sich heute gut, wenn sie an mich denkt. Vielleicht sollte ich sie anrufen. Aber was soll ich ihr sagen? Meine Gedankenfetzen ergeben noch lange kein Gespräch.

      »Ach komm, mach schon!«, sagt mein Freund, der schon seit Jahren in einer glücklichen Beziehung lebt.

      Geschrieben Juli 2002

      Liebe auf den ersten Blick

      »Ich glaube, ich habe mich in dich verliebt.« Sie wusste nicht einmal, ob ich ihr sympathisch war. Jedenfalls sagte sie das so, wenn auch freundlich. Eigentlich ein Schlag in Gesicht, aber ich blieb unbeirrt. »Ich weiß nicht wieso, aber ich habe bei dir das Gefühl, als könnte ich es mein Leben lang mit dir aushalten. Das hört sich jetzt bestimmt komisch an, und es ist auch für mich ungewöhnlich, aber ich wollte einfach, dass du es weißt, bevor du nach Hause fährst. Ich dachte mir, dass ich es einfach sagen musste, damit du auch was von meinem Gefühl hast. Schließlich ist es wohl die einzige Gelegenheit. Wir sehen uns wohl kaum noch mal.«

      Ich war ja schon oft verliebt, aber noch nie so spontan und so intensiv. Doch, so intensiv habe ich die Liebe eigentlich immer empfunden, aber das Intensive an dieser Liebe war, dass ich es ihr einfach so sagte. Keine Hemmungen, Beklemmungen, Ängste oder sonstiges, das mich sonst immer davor zurückschrecken lässt. Es kam einfach aus mir raus. Sicherlich hat es viel geholfen, dass es auf eine fremden Party in einer fremden Stadt war und ich mich nicht darum scherte, was mein Geständnis für Konsequenzen in meinem Alltag haben würde. Ich war fest davon überzeugt, sie nie wieder zu sehen. Und wahrscheinlich war das auch der Grund, weshalb ich so bedingungslos und offen vorging. Ich hatte nicht die Zeit, um das übliche Geplänkel zu veranstalten.

      Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, weiß ich nicht, ob ich an dem Abend generell anders war, oder aber sie mich so verändert hatte. Es war unser vorheriges Gespräch, dass mich so geöffnet hatte. Es war die Art unseres Gesprächs, es waren ihre Augen, wie sie mich ansah, es war die Ruhe, die sie ausstrahlte, wenn sie mir zuhörte, ihre Art mir zu zeigen, dass sie mich verstand, oder auch einfach nur die Leichtigkeit des Gesprächs, das ich mir ihr hatte. Es war alles so vielversprechend. ...

      Ich kam eben beim Nachdenken über das, was ich nun eigentlich schreiben sollte, zu keinem Ergebnis, sondern geriet ins Träumen. Das Gespräch, das innige Gefühl, das ich dabei empfunden hatte, war wieder da. Es ist ein tolles Gefühl. Eigenartiger Weise wurde aber auch eine andere Erinnerung geweckt. Ich erinnerte mich plötzlich wieder an meine Erlebnisse während einer Ferienfreizeit mit dem Sportverein meines Heimatdorfes.

      Es ist nun etliche Jahre her, dass ich von meine Eltern auf diese Reise geschickt wurde. Ich selbst kann nicht sagen, wie alt ich war, wie ich überhaupt meine Kindheitserinnerungen zeitlich meist nicht einzuordnen weiß. Dennoch sind sie mir nicht unwillkommen, glaubte ich doch lange Zeit sogar, gar keine Erinnerungen zu haben. Aber jetzt lösen sie sich natürlich immer häufiger und meine Vergangenheit kehrt zu mir zurück, wie etwas, das man verlegt hat, schließlich aber doch wiederfindet, obwohl man nicht danach suchte. Ich könnte es aber auch pathetischer so beschreiben, dass sich, je mehr mir schon mal Erlebtes bewusst