Henning Plähn

Ertrunken


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hatte, und daher die weiblichen Blicke des öfteren an ihm haften geblieben waren. Ebenso hatte er jedoch auch die neidischen Blicke der Männer auf sich gezogen, und es war innerhalb kürzester Zeit bekannt gewesen, dass er ein Tunichtgut sei und daher mit Vorsicht zu genießen. Der junge Reimer hatte sich aber davon nicht beirren lassen und auch den Mädchen schien es bei Begegnungen mit ihm egal gewesen zu sein, zumal er immer eine höfliche Distanz zu halten im Stande gewesen war, die bislang niemanden kompromittiert hatte.

      Dann jedoch war aus dem übermütigen Spiel des Jungen Ernst geworden, als er Emmi Peters vom Petershof in Owschlag in sein Herz geschlossen hatte. Er hatte sich in das zurückhaltende Mädchen verliebt und auch sie war von ihm mehr als angetan gewesen. Für ihn hatte es festgestanden, dass er sie heiraten werde, zumal der Petershof reich war und eine nicht unbeachtliche Mitgift in Aussicht gestanden hatte. In einem Zweispanner, mit Frack und Zylinder bekleidet, die er eigens zu diesem Zweck gemietet hatte, war der frisch Verliebte an einem schönen Sommersonntag nach dem Kirchgang beim Petershof zu Owschlag vorgefahren, um sich die Gunst seiner Geliebten zu verdienen. Kaum hatte einer Emmis zahlreichen Brüder die Kutsche gesehen, waren auch die übrigen Familienmitglieder alarmiert worden, um sich das Schauspiel ansehen zu können. Die Reaktionen waren unterschiedlich gewesen und hatten von peinlich berührt bis zu spöttisch angetan geschwankt. Nur Emmi hatte genau gewusst, was sie zu tun hatte, und war auf ihr Zimmer verschwunden, um sich herzurichten. Im Kreise der Familie Peters war der komische Vogel dann allerdings mit Anstand aufgenommen worden, und man hatte Konversation gepflegt, wobei Willi sich immer wieder nach Emmi erkundigt hatte. Unter anderem hatte er auch wissen wollen, wie viel Geld sich auf ihrem Sparbuch befände. Selbst dabei hatte man das erstaunte Entsetzen unterdrückt und versucht, sich mit spitzem Humor aus der Affäre zu ziehen. Nach schier endlosen Minuten war dann aber Emmi erschienen und hatte ihre Familie endlich von diesem Spinner erlöst. Willi hatte sich fortan nur noch mit ihr unterhalten.

      Nachdem der Gast dann gegangen war, hatten alle, die Zeugen dieser unfassbaren Szenen gewesen waren, sie in verhöhnender Weise nachgeahmt oder sich darüber aufgeregt. Entweder hatte man über Willi gelacht oder ihn verteufelt. Nur Emmi hatte versucht, ihren Verlobten in einem besseren Licht dastehen zu lassen. Auch die übelsten Widerreden hatten sie nicht davon abbringen können, diesen Sonderling zu heiraten, der sich so unerschütterlich um sie bemüht hatte.

      Das Alltagsleben der beiden hatte dann allerdings anders ausgesehen, als Willi sich das erträumt hatte. Die Arbeit des Hofes war hart; für ihn, der so elegant und fein war, zu hart. Emmi, die zu arbeiten gewohnt war, hatte den Hof nahezu allein bewirtschaftet. Willis Beitrag hatte lediglich darin bestanden, die Erträge auf dem Markt zu verkauften.

      Der Wochenmarkt war Willi Reimers Leidenschaft gewesen, bei der er den Alltag hatte vergessen können. Er war der geborene Verkaufsmensch, und wie immer, wenn er sich wohl fühlte, hatte er bei seinen Verkaufsgesprächen zu Übertreibungen geneigt und war dabei schnell zu einer der Attraktionen des Marktes geworden. So bekannt er allerdings als Marktschreier war, außerhalb des Marktes schien Willi keine Existenz zu haben. Und weil sein Hof so abgeschieden im Wald der Hüttener Berge lag, waren ihm neben seiner Prominenz auf dem Markt fast ebenso schnell Mystik und Legenden zuteil geworden. Vor allem die Kinder nannten ihn fortan nur noch den Berggeist, wenn sie ihn zu Gesicht bekamen.

      Als die beiden Einsiedler schließlich eine Tochter zur Welt gebracht hatten, hatte sich ihr Alltag noch beschwerlicher gestaltet. Emmi war der Sache einfach nicht gewachsen. Irmgard, die Tochter, hatte zwar mit zunehmendem Alter mehr mitgeholfen, jedoch war ihr dabei auch schnell bewusst geworden, wie aussichtslos die Lage war. All die Jahre hatte sie daheim mit ansehen müssen, wie ihre Mutter gesundheitlich immer mehr abgebaut hatte. In der Schule war sie immer wieder mit ihrem verschrobenen, faulen Vater gehänselt worden und hatte zuletzt auch schon gar keinen Widerstand mehr geleistet, sondern selbst Witze über ihn gemacht, um so den Hänseleien den Reiz zu nehmen. Von dem Geld, das der Vater vom Markt nach Hause gebrachte, waren die Schulden des Hofes lange schon nicht mehr getilgt worden. Der Schuldenberg war über die Jahre stetig angewachsen und Irmgard war dieser Zustand zunehmend unerträglicher geworden. Schließlich hatte sie damit angefangen, eine Rücklage zu schaffen, indem sie ihrem Vater Erträge vorenthielt und selbst zu Geld machte.

      Das hatte Irmgard geraume Zeit so betrieben, bis sie, mittlerweile schon volljährig, zur Bank gegangen war, um die finanzielle Lage ihrer Eltern endgültig in den Griff zu bekommen. Und wie das Leben so spielt, hatte es nicht lange gedauert, und Irmgard war mit dem jungen Bankangestellten Aßmus in den heiligen Bund der Ehe eingetreten und weggezogen.

      Nach diesem Lebenseinschnitt für die Familie war die Arbeit des Hofes endgültig liegengeblieben. Emmi war schon zu gebrechlich geworden, um noch auf dem Feld zu arbeiten. Für Willi war nun endgültig der Zeitpunkt gekommen, an dem er hatte zur Kenntnis nehmen müssen, dass seine Träume gescheitert waren. Seine Gedanken kreisten nun um einen Neuanfang für sich und seine Frau. Die war, nachdem sie mehr Zeit hatte, häufiger zu Besuch bei alten Freundinnen und Willi bemerkte, wie ihr das neuen Lebensmut gab. Sie hatte sich wahrlich einen schönen Lebensabend verdient, und er wollte ihr dabei behilflich sein. Anfangs hatte Willi sogar noch geglaubt, er könne den Hof verkaufen, wurde aber natürlich schnell eines besseren belehrt. Schließlich hatte er sich dann zur Abtretung an seinen Neffen entschlossen.

      Emmi genoss den herrlichen Herbsttag. Sichtlich gut gelaunt gelangte sie nach ihrem Kaffeekränzchen wieder zu Hause an und hatte so vieles zu berichten. Allerdings war ihr Mann nicht zugegen, so dass sie nach ihm suchte. Als sie ihn fand, brach Emmi schreiend und weinend zusammen, da er sich in der Scheune erhängt hatte.

      Die Nachricht vom Tode des Berggeistes war noch einige Tage Dorfgespräch. Jeder hatte eine persönliche Geschichte mit ihm erlebt, und fand überall offene Ohren. Vor allem der Postbote wurde immer wieder gebeten, die Geschichte mit dem Brief zu erzählen, schließlich war er es, der den Unglücklichen zuletzt lebend gesehen hatte. Und noch lange erzählte er gerne, es sei ihm sofort klar gewesen, dass da etwas nicht stimme, so wie der Berggeist dem Brief überhaupt keine Aufmerksamkeit gewidmet habe, sondern ihn geheimnisvoll neben sich gelegt habe, um dann davon abzulenken. Aber er, der Postbote, habe ja nicht aufdringlich sein wollen und sei gegangen, nachdem der Alte so sonderlich und abweisend gewesen sei.

      Selbst heute, eine Generation später, ist der Berggeist noch ein Thema, denn hätten meine Eltern am Abendbrottisch nicht davon erzählt, würde ich das alles nicht aufgeschrieben haben.

      Um die Erzählung zu vervollständigen, ist noch zu erwähnen, dass Irmgard die finanzielle Regelung der Angelegenheit übernahm. Die Bank war großzügig. Da sie nichts mehr zu holen sah, schrieb sie die Schulden ab. Welche Rolle dabei Irmgards Mann spielte, bleibt ungeklärt und gab Anlass zu getuschelten Spekulationen. Der Hof wurde der Gemeinde überschrieben, die dafür Emmi im Gemeindehaus den Lebensabend sichern sollte. Der Gemeinde brachte das jedoch keinen Nutzen, außer dass das unselige Grundstück unter öffentlicher Obhut verfallen konnte. Die Ruinen werden auch noch heute von Spaziergängern entdeckt. Emmi lebte noch einige Jahre glücklich und bescheiden. Sie redete nicht viel, aber auch ihren besten Freundinnen gegenüber, mit denen sie sich regelmäßig auf einen Kaffee traf, sagte sie nicht ein böses Wort gegen ihren toten Mann, in den sie sich so wider alle Vernunft verliebt hatte.

      Geschrieben Oktober 2001

      Im Regen

      Der Regen klatscht schon seit einiger Zeit ans Fenster ihres Zimmers. Mir ist dadurch im Grunde nicht unbehaglich zumute, nur fühle ich mich etwas beklemmt. Bei Sonnenschein würden wir uns bestimmt nicht so still gegenüber sitzen, denke ich. Ich habe keine Lust, mich zu produzieren. Ich weiß nur all zu gut, wie ich in ähnlichen Situationen schon durch mein sinnloses Gerede das Gespräch, das ich eigentlich beabsichtige, verhindert habe. So begnüge ich mich jetzt damit, sie anzusehen. Ihre offene, fast kindliche Art kommt mir dabei hilfreich entgegen. Nicht jeder Mensch kann so ohne weiteres mit jemandem zusammensein und sich einfach nur ansehen, ohne dabei zu sprechen. Und wie schon gesagt, fühle ich mich dabei auch nicht ganz wohl.

      Dann jedoch blitzt es und wenig später kommt das Donnergeröll. Sie ist begeistert, springt sofort auf, um aus dem Fenster zu sehen. Ich bleibe erst noch sitzen und betrachte ihren Körper. Sie steht auf ihren Zehen, ihre Arme auf die Fensterbank