Christian Manhart

Die Zeitgene


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tut...mit leid. Ich werde alles was möglich ist, für ihn tun. Und für dich auch, sofern du es möchtest.“

      Karin stand auf und ging zum Fenster. Oft hatte Sie in den vergangen Monaten dagestanden und in die Nacht hinausgeblickt. Gedanken von Rache und Genugtuung sind ihr dabei durch den Kopf gegangen. Aber jedes mal wenn Sie Johann mit Winston besuchte, war das Mitleid und Mitgefühl stärker als alles andere. Jeden Tag, ständig wurde Sie daran erinnert, dass es sich tatsächlich jemand in den Kopf gesetzt hatte, kleinere Menschen zu produzieren. Und dieser Jemand hatte nichts gemein mit einem Monster oder einem durchgedrehten Wissenschaftler. Johann hatte aus tiefster Überzeugung der Menschheit zu helfen gehandelt. Die Gespräche, die Sie vor der Katastrophe mit ihm geführt hatte, waren sehr überzeugend gewesen. Nun sass er da, ohne Beine, zu einem Skelett abgemagert, die langen Arme und Hände in den Schoss gelegt und Sie konfrontierte ihn mit den Folgen seiner Forschung.

      Karin musste in nächster Zeit über ihre Zukunft nachdenken. Sie hatte schließlich ihr eigenes Leben. Das war sehr kurz gekommen in den vorangegangenen Monaten. Sie hatte ohne Ziel dahingelebt, in der Hoffnung wenn Johann aufwachen würde, Antworten auf ihre Fragen zu finden. Im Moment sah es nicht danach aus.

      Denn Johann war nach der Entlassung aus der Klinik, ein körperliches Wrack. Sie beschloss ihn vorerst zu begleiten und noch eine Weile bei ihm zu bleiben, bis er mit seiner Behinderung besser zurechtkam.

      Wenn Johann soweit war und in seinem Forscherdrang lebte, brauchte er sie nicht mehr. Vielleicht tat eine Ortsveränderung ganz gut, um auf andere Gedanken zu kommen. Sie brauchte eine Inspiration wie sie ihr Leben mit Winston gestalten sollte.

      Sie drehte sich wieder um und sah Johann in die Augen. Er erwiderte ihren Blick.

      „Karin, ich könnte es sehr gut verstehen, wenn du...“

      „Mach dir keine Sorgen, ich werde dich fahren. Du solltest im Übrigen mehr essen. Du musst unbedingt zu Kräften kommen. Du siehst immer noch sehr mitgenommen aus.“

      „Ich habe aber keinen Hunger.“

      Schon bei dem schieren Gedanken an Essen wurde Johann schlecht. Essen war doch außerdem reine Zeitverschwendung. Er hasste das Gefühl einen vollen Magen zu haben.

      Karin nötigte ihn dennoch eine für seine Verhältnisse üppige Mahlzeit einzunehmen. Es gab Spagetti mit Fleischsosse und Salat. Danach klagte er über Bauchweh.

      Johann telefonierte am nächsten Tag fast zwei Stunden lang mit Professor Waldhans. Sie hatten sich auf Anhieb gut verstanden. Sie vereinbarten einen Termin. Waldhans konnte es kaum erwarten Johann persönlich kennen zu lernen.

      Das Vorstellungsgespräch in Münster verlief mehr als erfreulich. Münster empfing sie als eine wunderbare Stadt. Die Universität, die Menschen dort, begegneten ihnen mit einer warmen Freundlichkeit, die sie beide überraschten. Die Verwaltung war in einem historischen schlossähnlichem Prachtbau untergebracht. Vom Schlossplatz bis zu Fakultät der Mikrobiologie an der Corrensstrasse waren es nur wenige hundert Meter Entfernung.

      Nach dem Gespräch gingen sie mit Professor Waldhans durch den wunderschönen botanischen Garten der Schlossanlage. Waldhans war ein kräftiger Mitvierziger mit schwarzen langen Haaren und einem sympathischen Lächeln. Bei jedem seiner Worte konnte man den Ehrgeiz und die Begeisterung heraushören, die er bei seinem Beruf empfand.

      Sprachlos wurde Waldhans allerdings erst, als er Winston erblickte. Zuerst hatte er, wie so viele Menschen vor ihm, an eine Puppe gedacht die Karin mit sich führte. Es gab ja jede Menge Leute die einen absonderlichen Spleen hatten. Aber die Puppe war lebendig. Ein Mensch im Miniformat. Karin liess Winston herunter und er lief wie ein Wiesel durch den Park.

      Waldhans beugte sich zu Johann hinunter während Karin Winston wieder einzufangen versuchte.

      „Sagen Sie, Schellberg: Ist das wirklich ein Mensch? Das ist ja sensationell.“

      „Selbstverständlich ist das ein Mensch. Ich möchte Sie bitten, Diskretion zu bewahren. Meine Freundin leidet sehr darunter. Der Kleine hat ein sehr ausgeprägtes Hallermann-Streiff-Syndrom. Ich hoffe ich werde ihm eines Tages helfen können.“

      „Ah, davon habe ich schon mal gehört. Tut mir leid. Aber es sieht so surreal aus, wie er da läuft.“

      „Kann ich mir vorstellen. Sie müssen wissen, die Krankheit ist extrem selten. Meines Wissens gibt es auf der ganzen Welt nur eine Handvoll Betroffene. Ich hätte nicht gedacht, dass er älter wie ein Jahr wird. Aber Karin kümmert sich so aufopfernd um ihn. Ansonsten ist er übrigens kerngesund.“

      „Mein Vertrauen haben Sie. Ich neige im Allgemeinen nicht zum Ausplaudern von Geheimnissen.“

      „Vielen Dank. Das kommt uns sehr entgegen.“

      Karin kam mit Winston wieder zu ihnen zurück. Winston streckte sein Ärmchen nach Waldhans aus. Er zögerte kurz und nahm aber dann doch Winston in seine Hände. Genau genommen hätte eine Hand gereicht. Winston lachte vor Vergnügen und Waldhans bekam einen weiteren Schock. Karin konnte sehen wie er blass wurde. Sie kam nicht umhin Professor Waldhans aufzuklären.

      „Seine Augen und seine Zunge sind leider verkümmert. Aber er stört sich nicht daran. Es sieht schlimmer aus als es ist.“

      „Ich sehe schon, Sie haben ihre Freude mit ihm. Entschuldigen Sie bitte meine Reaktion. Er ist in jeder Hinsicht ungewöhnlich.“

      Während Sie nebeneinander her gingen untersuchte Winston ausgiebig das Gesicht von Waldhans.

      „Na, das ist mir aber ein aufgeweckter Junge. Der ist ja kaum zu bändigen.“

      Waldhans musste lachen. Er wollte ihn gar nicht mehr hergeben.

      Seine Freude über die Zusage von Johann Schellberg konnte er kaum verbergen. Die Fakultät versprach sich durch die Mitarbeit von einer Kapazität wie Johann, einen baldigen Durchbruch bei den Erkenntnissen der Parkinsonschen Krankheit. Schon lange vermutete man genetische Ursachen für deren Auftreten. Professor Waldhans fand, Johann sei genau der Richtige für die Besetzung der Stelle. Beim ersten Anblick von Johann war er einigermaßen schockiert. Dass Johann die Beine amputiert werden mussten, war ihm bereits bekannt, nicht jedoch sein schlechter Allgemeinzustand. Diese hagere ausgezehrte Gestalt hatte wenig mit seiner eigenen Persönlichkeit zu tun. Doch das Äußere von Johann täuschte. Im Grunde war Johann sein Körper nur lästig. Sein Kapital war sein Kopf und sein genialer Verstand.

      So waren sie sich nach der Besichtigung der Labore im Institut sehr schnell einig. Waldhans stellte es Johann frei, die Stelle sofort anzutreten, sobald es ihm wegen des Umzuges möglich war. Aber zuerst brauchten sie eine behinderten gerechte Wohnung oder ein Haus.

      Professor Waldhans empfahl ihnen eine Immobilienagentur die vorzugsweise für leitende Universitätsmitarbeiter Objekte bereithielt.

      Bevor sie die Rückreise antraten, statteten sie dem Büro einen Besuch ab und liessen sich einige Angebote heraussuchen. Entscheiden konnten sie sich auch noch zu Hause. Für Johann war es ohnehin zu stressig sich auch noch Wohnungen oder Häuser anzusehen. Er überliess diese Arbeit lieber Karin. Er war überzeugt, sie würde das Richtige für sie finden.

      Münster

      Eine behindertengerechte Wohnung zu finden war dann doch nicht so einfach wie anfangs gedacht. Karin entschied sich nach langen hin und her für eine relativ teure Wohnung in der Nähe der Fakultät. Johann hatte kein Problem darin gesehen, jeden Monat fast 2000 Euro dafür auszugeben. Ein großer Vorteil des Objekts war, dass sie einen Teil der Möbel übernehmen konnten. Den für den Einkauf von Möbel hätte Johann nie und nimmer Zeit gefunden. Gleich nach ihrer Ankunft stürzte sich Johann mit Enthusiasmus in die Arbeit. Parallel zu den Forschungsarbeiten des Universitätsprojektes betrieb er natürlich seine Studien zur Erforschung der Zukunftsgene.

      Seine Idee erforderte jedoch eine gründliche Überarbeitung der bereits bekannten Gene des Menschen und verschiedener ausgewählter Tierarten. Natürlich waren ausgiebige Tierversuche unabdingbar. Johann musste bei Tier und Mensch zuerst nach Gemeinsamkeiten