Christian Manhart

Die Zeitgene


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Wenn der Mensch nachdenkt, kann er sich Erlebnisse aus seinem Gedächtnis holen und sie sich noch ein Mal vor Augen führen. Man kann sich auch Formeln merken oder Gedichte, Melodien und vieles mehr. Die Meisten können damit sehr gut umgehen. Johann hoffte, dass es sich bei der Zukunft ähnlich verhalten würde.

      Musste man, vorausgesetzt die Theorie entsprach der Wahrheit, das Zukunftsgedächtnis erlernen und trainieren? Die Erfahrungen auf diesem Gebiet waren logischerweise nicht vorhanden. Der Wissenschaft war bisher niemand bekannt, der nachweislich in die Zukunft sehen konnte. Leute, die behaupteten sie könnten in die Zukunft sehen, wurden vielleicht gerade noch von einer kleinen Schar aus der Allgemeinheit als glaubwürdig eingestuft. Von der Wissenschaft wurden sie höchstens milde belächelt. Ab und an beschäftigten sich mit diesen Phänomenen einzelne Psychoanalytiker, aber ohne konkrete Ergebnisse vorweisen zu können. Schon aus den verständlichen Gründen, nicht ernst genommen zu werden, behielten Menschen die über die besagten Fähigkeiten verfügten, ihre Informationen besser für sich.

      Johann blieb nichts anderes übrig. Er musste ganz von vorne anfangen.

      Natürlich konnte man nicht willkürlich in das Genmaterial eingreifen. Hinter den Milliarden an Kombinationsmöglichkeit steckte ein einzigartiges und ausgeklügeltes System, welches die Natur entworfen hatte. Vielleicht hatte es auch tatsächlich einen Gott gegeben, der sich diesen genialen Bauplan ausgedacht hatte. Niemand wird es je erfahren.

      Johann war es schließlich als bisher einzigem, seriösen Molekularbiologen gelungen, die Gene des Menschen, diese hochkomplizierten Stränge an Aminosäureverbindungen zu entschlüsseln und Funktionen zuzuweisen.

      Wobei man unter einer einfachen Entschlüsselung nicht verwechseln durfte, dass lediglich die Reihenfolge der Verbindungen bekannt war. Nicht jedoch deren einzelne Bedeutung. Das wurde in den Pressemitteilungen gerne verschwiegen.

      Johann war schon früher einen Schritt weiter gegangen. Ihm hatte die Auflistung der Gene nicht genügt. Er wollte wissen welche Aktivitäten dahinter stehen.

      In seiner Würzburger Studienzeit hatte er eine spezielle Software entwickelt, die ihm eine Art Matrix lieferte. Das Programm war nur wenige hundert Kilobyte groß, aber es hatte es ihn sich. Mit ihrer Hilfe wurden die netzwerkartigen Querverbindungen sichtbar und Johann konnte die Gene direkten Funktionen zuordnen. Damals war er auch auf die Mastergene gestossen. Sie waren der eigentliche Clou an dem komplizierten Bauplan.

      Diese Software und ihre Benutzung machte Dr. Johann Baptist Schellberg zu diesem genialen gefragten Wissenschaftler. Niemand hatte bisher auch nur annähernd so detaillierte Kenntnisse wie Johann. Das machte ihn so einzigartig.

      Für Johann war es ein leichtes die Gene zu bestimmen welche die Parkinson auslösten. Doch damit war es alleine nicht getan. Seine Mitarbeiter und Studenten animierte er Lösungen zu finden, wie sich solche Gene dauerhaft ausschalten liessen. Damit waren sie beschäftigt und Johann konnte sich um seine viel wichtigere Forschung kümmern. Er isolierte Stammzellen von Mäusen und stellte ein Extrakt her, welches einen veränderten Bauplan enthielt. In diesen Stammzellen hatte Johann eine Anzahl von Pseudogenen eingeschaltet. Die Mäuse begannen sich darauf hin tatsächlich zu verändern.

      Mäuse sind die idealen Versuchstiere. Ihre rasche Population versorgt die Wissenschaftler mit einem unerschöpflichen und steten Nachschub. Ein Mäuseweibchen ist in der Lage, bis zu achtmal Junge pro Jahr zu bekommen. Die enorm wichtigen Erkenntnisse von Veränderungen über mehrere Generationen hinweg, lassen sich dadurch in kürzesten Zeiträumen nachweisen.

      Eine Maus ist dem Menschen genetisch sehr nahe. Viele ihrer Gene finden sich auch beim Menschen wieder. Von den über 20000 Genen der Maus, kann man 15000 identische, auch beim Menschen nachweisen. Auch das Mausgenom wurde inzwischen komplett entschlüsselt. Das war ein großer Vorteil bei der Forschung. Johann konzentrierte sich zu allererst auf die äquivalenten Gene und Pseudogene von Mensch und Maus.

      Mittels seiner speziellen Technik die er entwickelt hatte, musste er die Schlüsselgene finden und sie eindeutig lokalisieren. Wenn es ihm bei dem Genom der Maus gelang, konnte er bei seinen Versuchen auf den Menschen übergehen. Ihm war natürlich bewusst, dass er dafür geeignete Versuchspersonen finden musste. Doch das konnte er immer noch entscheiden, sollten die Erkenntnisse erfolgreich sein.

      Die Chromosomen 2 und 11 waren ihm schon immer aufgefallen. Vor allem Nummer 2 hatte eine ungeheure Zahl an aktiven Genen. Aber auch Nummer 11 war eines der wichtigsten Chromosomen. Beide Gene wiesen in etwa eine gleiche Anzahl an Genen auf. Auch die große Zahl an Pseudogenen zogen die Aufmerksamkeit von Johann auf sich. Es waren ähnlich viele wie aktive Gene. Hier irgendwo musste sich etwas Besonderes befinden.

      In einem der anderen Chromosomen musste sich der Hauptschalter befinden. Die Natur war zwar erfinderisch, und doch verfuhr sie stets nach identischen Verfahren. Für die intakten und aktiven Gene hatte Johann bereits vor längerer Zeit bestimmte Zusammenhänge und Mastergene, auch Steuergene genannt, identifiziert. Sie versteckten sich in anderen Chromosomen. Es war eine ähnliche Ausgangslage wie bei den Geschlechtschromosomen. Diese waren nur vorhanden um die Entwicklung zu einem männlichen oder weiblichen Organismus zu steuern.

      Nächtelang stellte Johann Daten zusammen und liess sie von einem der schnellsten Universitätsrechner der Welt bearbeiten. Der Supercomputer hatte seinen Platz bei der Universität von Hamburg. Münster und Hamburg hatten einen Kooperationsvertrag geschlossen, das der Uni von Münster umfassende Nutzungsrechte einräumte. Das war ein Glücksfall für Johann. Auf diese Weise kam er unerwartet schnell zu seinen Ergebnissen. Er hatte mit seiner Vermutung Recht behalten.

      Ein bisher im Chromosom 1, bekanntes Gen, das die Bezeichnung RYR2 trägt, steuert die Gedächtnisbildung. Ein äquivalentes Gen hatte die Computerauswertung in den Pseudogenen gefunden. Johann musste versuchen dieses Gen zu aktivieren um seine Theorie bestätigt zu wissen. Das würde eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen und es war natürlich nicht sicher ob die gewünschten Auswirkungen auch eintrafen.

      Seine Abteilung war weiter mit den Analysen für die Parkinson beschäftigt. Erste kleine Ergebnisse gab es schon und Professor Waldhans war zufrieden. Johann begann deshalb mit seinen praktischen Versuchen. Mit zwei Assistenten hatte er einen speziellen Versuchsaufbau konstruiert der es ihm ermöglichen sollte, seine gefundenen Zeitgene bei den Mäusen nachzuweisen. Denn die Ausnutzung des gesamten Genvorrates musste bei den anderen Säugern in etwa die selben Auswirkungen zeigen. Johann hatte ausgerechnet, dass die vollständige Transkription etwa vier Wochen dauern würde.

      Die Zeit war also reif für die erste Testreihe.

      Der Versuchsaufbau bestand aus einer Kiste von zwei Metern Länge und einem Meter Breite. Die Kiste war durch eine massive entspiegelte Glasscheibe abgedeckt. An drei Randstellen konnte man durch runde Öffnungen hineingreifen. Johann platzierte dort vier normale Mäuse und eine Maus dessen Genmaterial er künstlich verändert hatte. Der gesamte Versuch konnte aus verschieden Perspektiven gefilmt werden. Begleitet wurde der Versuch von seinen zwei Assistenten.

      Johann wollte beweisen, dass die Zeitgene das Verhaltensmuster von Mäusen veränderte.

      An einem Ende der Kiste befanden sich in jeder Ecke, Ausgänge mit Röhren dahinter. Am Ende der Röhren war leckeres Futter platziert. Sollte wie zu erwarten, die Mäuse durch die Röhre kommen um sich das Futter zu holen, wurden sie gefangen und getötet. Ein weiteres viel größeres Schälchen mit Leckerbissen war hinter einem viel größeren Ausschnitt der Kiste. Hell erleuchtet und auf einem Podest. Dazu muss man wissen, dass Mäuse immer an einem schützenden Rand entlanglaufen. Niemals würden sie quer durch einen Raum laufen. Deshalb stellt man auch Mausefallen immer an der Wand auf. Mäuse laufen durch die Falle hindurch, nehmen das darin ausgelegte Futter auf und tragen es in ihren Bau. Mäuse sind ganz einfach zu durchschauen. Keine normale Maus würde sich das Futter von diesem exponiertem Platz holen.

      Bei diesem Versuch waren die hungrigen Mäuse wie geplant, innerhalb weniger Minuten in den Röhren verschwunden. Nur Johanns manipulierte Maus zögerte. Sie beobachtete die anderen ohne sich selbst zu bewegen. Auch diese Maus hatte großen Hunger.

      Dann machte sie sich