Ole R. Börgdahl

Faro


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dem Tisch ab und richtete sich etwas in seinem Stuhl auf.

      »Ich will es kurz machen«, fuhr Sieber fort. »Ich habe jetzt Antwort vom B.d.U. Sie folgen meiner Empfehlung und werden Sie zum Offiziersanwärterlehrgang befehlen. Ich verliere zwar meinen besten Torpedomixer, aber so ist das eben. Im Juni geht es für Sie los. Solange bleiben Sie noch an Bord, aber ich will trotzdem sehen, dass dies vorerst Ihre letzte Fahrt auf U-810 wird.«

      Michael räusperte sich. »Ich darf sagen, dass ich mich sehr freue, Herr Kaleun, danke, vielen Dank.«

      Sieber winkte ab. »Ich habe ja nicht allein entschieden, ich habe ja lediglich eine Empfehlung abgegeben und außerdem ist Ihnen auch der Krieg ein wenig zu Hilfe gekommen.« Der Kaleun schenkte noch einmal die Gläser nach.

      Michael nickte. »Ich weiß selber, dass mir unter normalen Umständen eine Offizierslaufbahn nicht möglich wäre.«

      »So habe ich es nicht gemeint. Sie dürfen sich nicht kleiner machen als Sie sind. Es gibt immer Mannschaftsgrade und Unteroffiziere, die das Zeug zum Offizier haben und genauso gibt es Offiziere, denen man am liebsten ihre Schulterklappen abreißen möchte. Nutzen Sie Ihre Chance.«

      »Das werde ich, Herr Kaleun.«

      »Für Sie geht’s dann im Sommer nach Mürwik. Kennen Sie Flensburg?«

      »Nein, Herr Kaleun, noch nie da gewesen. Ich war zur U-Boot-Ausbildung in Kolberg.«

      »Aber Sie haben schon von der Roten Burg gehört, dem Hauptquartier der Marineschule Mürwik.«

      Michael schaute Sieber verlegen an. »Ja, Herr Kaleun, ich habe mich natürlich schon erkundigt.«

      »Dann wissen Sie auch, dass es keine leichten sechs Monate werden. Schon die Unterkunft in Mürwik ist bescheiden. Die Offiziersanwärter werden ins Danziglager gesteckt, das sind ganz üble Baracken. Da werden Sie sich noch einmal nach der Gemütlichkeit auf unserem Boot zurücksehnen. Ja und dann verlangt natürlich auch der Lehrgang eine Menge von Ihnen. Da zählt nicht allein Ihre Erfahrung als Soldat und Seemann.« Sieber zögerte. »Können Sie übrigens reiten?«

      Michael lächelte. »Ich weiß was Sie meinen, Herr Kaleun. Ich habe gelesen, dass die Marineschule einen eigenen Reitstall unterhält. Ein Offizier muss auch zu Pferde eine gute Figur machen, zumindest war das wohl so, bevor es Motorräder gab. Aber ich kann Sie beruhigen. Ich komme vom Lande und dann hat mein Vater auch noch eine Sattlerei. Ich bin daher schon als Kind geritten, zwar nicht elegant, aber ich kann mich auf einem Pferd behaupten.«

      »Wieso Motorräder?«, fragte Sieber.

      »Entschuldigung, Herr Kaleun. Wenn ich nicht U-Boot fahre, dann fühle ich mich auf meinem Motorrad am wohlsten. Ich habe zu Hause bei meinen Eltern eine alte BMW, an der ich gelegentlich bastle.«

      »Ein Krad, ach darum.« Sieber nickte. Dann überlegte er. »Ich habe mal nachgeschaut. In Mürwik würden Sie zum Jahrgang Crew II/43 gehören. Mein Gott, wenn ich bedenke, elf Jahre ist das bei mir schon wieder her. Zu meiner Zeit gab es jedes Jahr immer nur einen Lehrgang. War soweit wohl auch in Ordnung, wenn es die Crew 32 damals nicht so hart erwischt hätte.«

      Die Männer schwiegen einige Sekunden. Michael kannte die Geschichte der Crew 32, dem Niobe-Jahrgang. Mit dem Untergang des Segelschulschiffes Niobe waren über sechzig junge Offiziersanwärter des Jahrgangs 1932 ausgelöscht worden. Sieber war an dem Schicksalstag ebenfalls auf der Niobe, wurde aber von einem Bauern aus den Fluten gerettet. Sieber erzählte gerne, dass er noch heute Kontakt zu dem Mann habe und dass er ihm vor Jahren seine allererste Kriegsauszeichnung nach Fehmarn geschickt hatte.

      Sieber ergriff den bauchigen Cognac-Schwenker. »Auf die Crew 32 und auf die Crews des Jahrganges ’43.«

      Beide Männer leerten ihre Gläser in einem Zug.

      Sieber schmatzte mit den Lippen. »Emmermann hat einen guten Geschmack, muss man ihm wirklich lassen. Übrigens, von Ihrem Lehrgang machen wir vorerst nicht viel Aufheben. Die Mannschaft und auch die Offiziere werden erst nach dieser Fahrt von mir unterrichtet. Ich bitte Sie, es auch so zu halten, ist wirklich besser. Nichts ist schlimmer, als wenn alle wissen, dass man seine Abschiedsvorstellung gibt.«

      »Jawohl, Herr Kaleun.«

      *

      Die Maschine hielt an der Einfahrt zum Hafengelände. Michael drehte sich um und erkannte den Kradmelder. Sie hatten sich vor zwei Tagen über das Motorrad unterhalten.

      »Wo soll’s hingehen?«

      »Nach Lorient rein. Kennen Sie den Marinebunker in der Rue Monsun.«

      »Werd’ ich schon finden. Steigen Sie auf.«

      Michael kletterte auf den Sozius und hielt sich am Bügel vor dem Sitz fest. Das Motorrad fuhr an, verließ den Hafen und flitzte nach wenigen Minuten durch die engen Straßen der Altstadt. Ohne Stopp erreichten sie die Rue Monsun. Nachdem Michael abgestiegen war und sich für das Mitnehmen bedankt hatte fuhr der Kradmelder sofort weiter. Auf dem Platz vor dem Wohnbunker standen einige der Männer von U-810. Sie grüßten lässig, als Michael an dem Posten vorbeiging und den Vorraum betrat. An einem Brett hing die Anwesenheitsliste, in die sich Michael eintrug. Beim Verlassen des Bunkers würde er seinen Namen wieder ausstreichen. Es war keine zuverlässige Anwesenheitskontrolle, aber es war Vorschrift. Im Wohnbunker der 10. U-Boot-Flottille durften sich nur Mannschaften und Unteroffiziere aufhalten, die auf Freiwache waren, aber auch dies wurde von den Offizieren nicht kontrolliert. Hinter der schweren Stahltür, die Michael wieder sorgfältig verschlossen hatte, begann es muffig zu riechen. Beim Eintreten war es jedes Mal unangenehm, aber nach wenigen Minuten nahm man den Bunkermief schon nicht mehr wahr. Michael kannte schlechtere Quartiere. Am schlimmsten waren die engen und feuchten Wohnschiffe der Ausbildungsflottille in Danzig und in Drontheim, die jede kleinste Bewegung und Unruhe im Hafenbecken mitmachten. Michael hörte Stimmen und Musik. Die Laute drangen gedämpft aus einem der Aufenthaltsräume des Wohnbunkers. Er ging den Flur entlang. Die kahlen Bunkerwände waren hellgrau gestrichen. Die Maserung der Verschalung war auf dem Beton zurückgeblieben. Die Wandflächen wirkten damit so, als wären sie aus kaltem, versteinertem Holz errichtet. Als Michael den Aufenthaltsraum betrat kam ihm der Duft frischen Kaffees entgegen. An den Tischen wurde Karten gespielt. Zwei Mann saßen sogar vor einem Schachbrett. Michael fand unter dem dreckigen Geschirr eine noch halbwegs saubere Tasse, spülte sie aus und nahm sich einen Kaffee, schwarz mit drei Löffeln Zucker. Er setzte sich zu den Kartenspielern. Gefreiter Hoffmann zeigte ihm vertraulich sein Blatt.

      »Die Jungs zieh’ ich aus, das wird’n Schneider.«

      »Ja, hat er denn die Buben?«, rief Obergefreiter Schlenker über den Tisch und grinste dabei. Mit einem kräftigen Schlag donnerte er eine Piksieben auf die Tischplatte. Matrose Sprenger gab wortlos eine Herzsieben dazu.

      »Na sieh an, hat der kein Pik mehr«, kommentierte Hoffmann und ließ seinerseits eine Pikacht auf die anderen beiden Karten gleiten. Dann griff er sofort nach dem Stich, zog ihn zu seinem Haufen herüber und legte nun selbst eine Karte vor.

      Michael beobachtete noch einige Stiche und es schien wirklich so, dass Hoffmann ordentlich punktete. Schlenker begann nun zu fluchen, während Sprenger weiterhin still blieb. Auf dem Grammophon im Aufenthaltsraum lief die ganze Zeit ein Schlager. Nach den letzten Takten war es für einige Sekunden still, dann setzte die Musik wieder ein. Noch war nicht herauszuhören, was gespielt wurde, doch dann donnerte es plötzlich los:

      »[...] Der Onkel Eduard aus Bentschen, der ist der beste aller Menschen. Er hat ein dickes, dickes Portemonnaie und darum freue ich mich, wenn ich ihn seh [...].«

      Alle wandten sich fast gleichzeitig um. In der Ecke am Grammophon stand Matrose Kehl und drehte die Lautstärke noch ein Stück auf:

      »[...] der Onkel Eduard aus Bentschen, der ist so gut wie ein Papa [...].«

      »Hey Kehl, mach’ den Scheiß aus«, brüllte Greimel, »das ist ein Befehl!«

      »Ich will die Serrano wieder hören«, stimmte Schlenker ein, », und zwar hopp, hopp.«

      Kehl schaute seine Kameraden