dabei ganz und gar nicht französisch aus.
Schlenker zog schließlich weiter, ohne noch etwas zu erwidern. Weiss steckte sein volles Dutzend Fläschchen in eine Leinentasche und strebte der Stelling zu. Er konnte seine Habseligkeiten schon jetzt an Bord zu verstauen. In seiner Küche gab es dafür immer noch ein Plätzchen. Michael betrachtete sich die Schokolade. Er hätte sich jetzt, gerade in diesem Augenblick, gerne ein Stück genommen, aber er wusste, dass er es später bereuen würde. Er zögerte, verteilte die Dosen schließlich auf die Taschen seiner Uniformjacke und ging.
*
»Kaffee?«, fragte Manfred Keicher.
Michael blickte auf, schob gleich das Lesezeichen zwischen die Seiten und schlug das Buch zu, in dem er gelesen hatte. Manfred Keicher stellt eine dampfende Tasse auf den Tisch und setzte sich zu ihm.
»Danke!« Michael nahm die Tasse und trank vorsichtig einen Schluck. »Hast sogar an den Zucker gedacht.«
Manfred Keicher nickte und griff dann nach Michaels Buch. »Zeig mal, was lieste denn da immer?«
»Bordlektüre, Familiengeschichte aus dem alten Ostpreußen, lag unterm Tannenbaum.«
»Die Barrings«, las Manfred Keicher den Titel laut vor. Er wiegte das Buch in der Hand. »Ganz schöner Wälzer, was. Und, ist es gut?«
»Nicht grad’ ein Abenteuerroman, aber recht unterhaltsam, wenn man es historisch mag.«
»Ach, nee, nich’ doch!«, stöhnte Keicher auf. Dann blätterte er aber doch in dem Buch, begann auf irgendeiner Seite zu lesen, überflog ein paar Zeilen, blätterte weiter und las auf einer anderen Seite. »Oh, hier steht was von Bismarck.«
Michael nickte. »Es spielt zu Kaiserszeiten, Wilhelm Eins und Fürst Bismarck.«
Manfred Keicher blickte hinüber zum Nachbartisch, an dem Obermaat Klaus Lischke in einer Zeitung vertieft saß. Dann sagte er laut: »Da fällt mir ein, hat sich der Führer nicht in eine Reihe mit dem Alten Fritz, mit Bismarck und mit dem ollen Hindenburg gestellt?«
Michael hatte gleich verstanden, was Manfred Keicher vorhatte. Er sah ebenfalls zu Lischke hinüber, der so tat, als wenn er nichts gehört hätte. Lischke blätterte sogar ganz unbeteiligt die Zeitung um und heftete seine Augen auf einen der Artikel.
Michael räusperte sich, bevor er antwortete. »Also, ich erklär’ dir das mal. Bismarck war Reichskanzler und Hindenburg Reichspräsident. Der Führer ist beides, also ist das doch nicht ganz so verkehrt, dass er dazugehört, in diese Reihe, mein’ ich, oder?«
»Moment Mal, Moment Mal«, trumpfte Manfred Keicher auf. »Unser Führer ist aber doch nicht der König von Preußen, wie es der Alte Fritz war, das kann man doch wohl nun nich’ behaupten.«
Lischke sah endlich auf. Er faltete die Zeitung zusammen, als wenn er im Begriff sei aufzustehen, aber er blieb sitzen als wenn er auf Michaels Antwort wartete.
Michael tat ihm den Gefallen. Er räusperte sich erneut »Hör’ mal zu, Manfred. Der Nachfolger vom König oder eben auch vom Kaiser ist doch der Reichspräsident und so hat das alles wieder seine Richtigkeit.« Michael zählte mit den Fingern noch einmal auf. »Alter Fritz, Bismarck, Hindenburg und schließlich unser geliebter Führer Adolf Hitler. Eine Reihe und in einem Atemzug zu nennen, oder?«
Manfred Keicher rieb sich das Kinn. »Ich merke schon, du hast da mehr Ahnung von, als ich. Vielleicht sollte ich doch mal dieses Barring-Buch lesen.«
Michael zuckte mit den Schultern. »Kannst es gerne haben, wenn ich damit durch bin. Gibt sogar noch ’ne Fortsetzung.«
»Noch so’n Wälzer?«
Michael nickte.
»Ach nee, ich lass es doch lieber bleiben. Ich hab’ das ja jetzt verstanden, wie das mit dem Führer, dem Alten Fritz und mit Hindenburg und Bismarck is’.« Manfred Keicher zwinkerte Michael zu.
Obermaat Lischke tat weiterhin wie unbeteiligt, stand schließlich von seinem Platz auf und verließ ohne eine Bemerkung den Raum.
*
Die Fenster waren verdunkelt, gedämpfte Musik drang auf die Straße. Die Männer im Lokal begannen ein Lied anzustimmen. Michael saß am Bordstein, das Gesicht in die Hände vergraben. Das Gegröle wurde kurz lauter, als Greimel aus dem Lokal auf den Bürgersteig trat. Er setzte sich zu Michael, zündete sich eine Zigarette an und reichte sie ihm.
»Nimm mal ein paar Züge, dann wird’s dir besser.«
Michael schüttelte den Kopf. »Nee, danke, lieber nicht, davon bekomme ich wieder das Kotzen.«
Greimel drückte die Zigarette am Bordstein aus und schnippte die Reste auf die Straße. »Willste’ noch hier sitzen bleiben, oder soll ich dich gleich zum Bunker bringen.«
»Weiß nicht. Ich würde mich gerne langlegen.«
»Aber nich’ hier auf der Straße.« Greimel fasste Michael unter die Arme und sie erhoben sich. »Ich habe einen Wagen organisiert, ich fahre dich jetzt rüber und in zwei Stunden schaue ich noch einmal nach dir, und wenn es dann besser ist, nehm’ ich dich wieder mit.«
Michael nickte. Greimel stütze ihn, als sie am Lokal vorbei in eine Seitenstraße zu einem dort geparkten Kübelwagen gingen. Sie schafften es gerade noch bis zum Wohnbunker. Michael stürmte sofort in den großen Waschraum und übergab sich in eine der Toiletten.
Greimel schüttelte den Kopf. »Man, du siehst wirklich beschissen aus, vom Saufen kommt das nich’.«
Michael sah ihn an, erwiderte aber nichts. Dann schlich er über den Gang bis zu seiner Schlafzelle. Er ließ sich aufs Bett sinken, legte den Kopf aufs Kissen, behielt aber die Beine auf dem Fußboden. Greimel folgte ihm, zog ihm die Stiefel aus und wuchtete Michaels Beine auf das Bett. Dann holte er eine Decke aus dem Spint, legte sie Michael über den Körper und zog sie bis hoch zum Kinn. Greimel ging zur Tür, drehte sich noch einmal um und schüttelte erneut den Kopf. Er verließ die Schlafzelle, kehrte aber kurz darauf wieder zurück, mit einem Zinkeimer, den er Michael vor das Bett stellte. Er klopfte ihm schließlich sanft auf die Schulter und verschwand endgültig. Während der Nacht war Michael für den Eimer sehr dankbar. Er musste sich noch mehrere Male übergeben, bis er schließlich erschöpft einschlief. Der Lärm der heimkehrenden Kameraden weckte ihn nicht. Das Frühstück und das Mittagessen verpasste er. Man ließ ihn in Ruhe. Greimel meldete ihn für den Neujahrstag krank.
*
Am Abend war Michael für eine halbe Stunde aufgestanden, hatte nur einen Tee getrunken und war sofort wieder zu Bett gegangen. Er hatte sich noch zwei weitere Decken besorgt, ihm war kalt. Er hatte dann gut zehn Stunden am Stück geschlafen und war hungrig aufgewacht. Er fühlte sich merklich wohler. Statt eines Kaffees nahm er zum Frühstück aber wieder nur einen Tee und dazu noch eine Scheibe Brot, die er sparsam mit Butter bestrichen hatte. Im Aufenthaltsraum trat Matrose Kehl an seinen Tisch.
»Ein frohes Neues wünsch’ ich, Herr Obermaat.« Kehl setzte sich.
»Danke gleichfalls«, erwiderte Michael leise. Er sah Kehl an, der frisch und vergnügt neben ihm saß und lächelte.
»Lag’s am Schnaps?«, fragte Kehl gleich darauf.
»Nicht unverschämt werden, Matrose.« Dann zögerte Michael. »Sagen Sie nicht, dass sich die Lords schon über mich lustig machen.«
Kehl schüttelte den Kopf. »Nein, nein, das weiß wohl niemand, dass Sie gekotzt haben, meine ich.«
»Und woher wollen Sie es dann wissen?«
»Der Greimel hat’s dem I WO gestern gemeldet. Also, er hat natürlich nicht gesagt, dass der Herr Obermaat gekotzt hätte. Von Unpässlichkeit oder so war die Rede. Ich stand in der Nähe und hab mir eben meinen Teil gedacht.«
»Da haben Sie aber falsch gedacht«, fuhr Michael ihn an.
»Jawohl, Herr Obermaat, soll nicht wieder vorkommen.« Kehl überlegte.