Jörgen Dingler

Oskar trifft die Todesgöttin


Скачать книгу

sie nicht mal wieder rein, weil sie die gar nicht erst rausholt. Das weißt du doch.«

      »Es verhält sich hier etwas anders, Große. Diese zwei sind zwar schon im Casting für einen Superjob, hatten aber noch kein Vorsprechen.«

      »Heißt das… die wissen noch nichts von ihrem Glück?«

      »Genau. Aber wir wissen es. Leider wissen wir den Auftraggeber noch nicht.«

      »Hm, schräg. … Was soll das denn für‘n Superjob sein?«

      »Rate doch mal.«

      »Ähhhh…« Sie verdrehte albern die Augen, machte auf blöd, zog wieder eine lustige Schnute. Es war ein langer Tag, dann war sie schon etwas bekifft. Das Denken ging zwar etwas langsamer vonstatten, funktionierte aber noch.

      »Ist nicht wahr?«, stieß sie auf einmal mit dem Rauch aus.

      »Doch. Ich sagte ja, dass es sich hier anders verhält.«

      »Sind die lebensmüde? Oder einfach nur blöd?«

      »Noch wissen sie ja nichts von ihrem Glück. Sollte es zu dem kommen, was unsere Spatzen von den Dächern pfeifen, frag den Betreffenden doch selbst.«

      »Sowieso. … Der Betreffende… vielleicht wird‘s ja unser moderner Steve McQueen-Verschnitt«, entließ sie lasziv und fixierte erneut das Display, dieses Mal so lüstern wie gefährlich. Sie bekam Lust, jetzt und hier. Ihr Vertrauter am anderen Ende merkte das. Insofern war die nicht sonderlich charmante Bezeichnung eine schlecht getarnte Untertreibung hinsichtlich des Begehrens, das der ‚Steve McQueen-Verschnitt‘ in ihr auslöste. Aber derjenige auf dem Display, das nur ihre Augen sahen, war leider nicht da – jetzt und hier. »King Of Cool«, hauchte sie eisig und kaum hörbar den Spitznamen des legendären Filmhelden und führte ihren Zeigefinger zum Display, berührte es.

      Sie war schon ziemlich lange nicht mehr geil auf jemanden.

      »Das Blauauge?«, hakte die coole Stimme nach, was ohnehin klar war.

      »Yep!«

      »Bei dir hat er das Casting offensichtlich schon gewonnen«, holte die sonor brummende Stimme des Gesprächspartners sie wieder zurück, ernüchterte sie. Das war quasi ein Zeichen, genau das richtige Signal zum Weiterfahren.

      »No comment. Versuch den Auftraggeber rauszukriegen«, schnappte sie und drückte ‚auflegen‘. Sie ließ das Fenster hinunter, vergewisserte sich, dass gerade niemand vorbeiging und schnippste den kläglichen Rest Joint hinaus in Richtung Fahrbahn. Dann ließ sie das Zehnzylinder-Triebwerk an und raste los.

       Rom, Juni 2011

      Die junge Touristin wirkte verloren. Sie war klein und zierlich, hatte einen Stadtplan in der Hand, Sonnenhut und Sonnenbrille auf, trug eine kakifarbene Leinenhose und flache Schuhe. Die offenen Doppeldeckerbusse, die – wie in anderen Metropolen – Touristen an den Sehenswürdigkeiten vorbeischaukeln, dürfen nicht in die Vatikanstadt einfahren. Sie halten in der Via della Conciliazione kurz vor der Piazza San Pietro und spucken ihre Fahrgäste in Scharen aus – hop on, hop off. Einem dieser Busse musste die Touristin entstiegen sein. Die junge Frau drehte sich einmal um die eigene Achse und sah sich suchend um. Sie wirkte lustig mit ihrem großen Sonnenhut, aber auch grazil wie eine Ballerina.

      Die hilfesuchende Touristin war Emiliana Casali auf Anhieb sympathisch. Ein ähnlicher Typ wie sie: hübsch, zierlich, quirlig. Emiliana war zwar auf dem Weg zur Arbeit, weil sie aber wegen des außergewöhnlichen Programms früher als sonst dran war, sollte diese eine Minute noch drin sein. Den Petersplatz würde die Touristin wohl kaum suchen, der war gleich da vorn. Die Unbekannte strahlte sie an. Ganz so jung, wie sie anfangs aussah, schien die Touristin doch nicht zu sein. Aus mehreren Metern Entfernung sah sie wie Anfang 20 aus, war aber sicher schon Mitte, Ende 20, wenn nicht gar schon Anfang 30. Schwer zu sagen bei einem kleinen Gesicht, das zu einem Gutteil von einer großen Sonnenbrille bedeckt wurde. Trotzdem erkannte Emiliana, dass die Touristin eine quicklebendige Niedlichkeit und Jugend ausstrahlte, andererseits aber so vieles erlebt zu haben schien, was mit Anfang 20 nicht korrelierte. Emiliana sah solche Dinge, wenn sie direkt vor jemandem stand.

      »Ciao, scusi…«, wandte sich die Unbekannte an sie und sah so lieb und hilflos aus.

      »Si, signorina?«, fragte Emiliana. Die Touristin sprach offensichtlich italienisch. Und falls sie kein Italienisch sprach und wie so viele erstmal mit den unvermeidlichen paar Brocken Möchtegern-Italienisch eröffnete, dann könnte Emiliana ihr mit ihrem guten Englisch weiterhelfen, das sie schon von Berufs wegen können musste. Die Unbekannte sprach wirklich italienisch, gut sogar, wenn auch mit einem deutlichen französischen Akzent.

      Die Spätvormittagssonne brannte auf die Ewige Stadt herunter und Emiliana merkte nicht, wie die Unbekannte sie dazu verleitete, einige Schritte mit ihr zu gehen. Als beide vor einem Kastenwagen in der engen Via Scossacavalli standen und die Unbekannte dessen Tür öffnete, hatte sie auf einmal ein komisches Gefühl. Dass sie dieses Gefühl ignorierte, da die Unbekannte so lieb und umgänglich war, würde sie Stunden später beim Polizeiverhör zu Protokoll geben. Dieselbe Polizei, die die Tür des Kastenwagens aufzubrechen hatte, weil Emiliana später verzweifelt dagegenschlagen und um Hilfe schreien würde.

      Erst einmal aber lag Emiliana besinnungslos in dem Kastenwagen. Die Unbekannte machte sich neben der Betäubten für ihren Auftritt zurecht. Sie applizierte Silikonteile, um ihr Gesicht emilianagerecht zu modellieren, schminkte sich, setzte mit Brustwarzen modellierte Silikonpolster über ihre nackten Brüste, um ihre zierlichen Brüste alla Emiliana herzurichten, zog eine rotblonde Perücke über, die genau der Haarfarbe, Haarlänge und sogar der Frisur Emilianas entsprach, legte den passenden Lippenstift auf und setzte schließlich das gleiche modische Brillenmodell auf die Nase, das Emiliana trug. Die Gläser der Brille waren zu den Rändern hin raffiniert geschliffen, um wie eine Brille gegen Kurzsichtigkeit auszusehen. Das sorgte für den typischen Verkleinerungseffekt und vermied einen von aufmerksamen Beobachtern erkennbaren Fensterglas-Look ohne Verzerrungen. Im Zentrum waren die Gläser allerdings plan, insofern konnte die Brille von Normalsichtigen ohne Sehbeeinträchtigungen benutzt werden – sofern man frontal heraus sah. Für das seitliche Sehen musste man den Kopf in die entsprechende Richtung drehen. Beim seitlichen Sehen per Augendrehen würde der Tarnschliff zuschlagen und die Brille wie eine optische Brille funktionieren – mit den entsprechenden Beeinträchtigungen für Normalsichtige.

      Die vorgebliche Touristin filzte Emiliana routiniert und entnahm aus ihrer Handtasche Schlüssel, Geldbörse, Handy und eine Zugangsmagnetkarte mit Emilianas Foto drauf, die ausschließlich für diesen Tag ihre Funktion haben sollte. Sie packte sie in ihre eigene – Emilianas Handtasche zum Verwechseln ähnliche – um. Die Unbekannte sah jetzt wie Emiliana aus, blickte noch zu der Betäubten, hob deren Unterleib an und steckte der ein ansehnliches Bündel aus Hundert-Euroscheinen in die Gesäßtasche ihrer Jeans.

      »Damit sich‘s auch für dich gelohnt hat, Mädchen… und du später nicht sagst, ich hätte dich beklaut«, flüsterte die falsche Emiliana und öffnete eine Hecktür des Kastenwagens. Sie stieg aus und versperrte den Wagen.

      ‚Emiliana‘ ging auf den Hintereingang des Hotel Columbus zu, um ihre Schicht als Kellnerin des hoteleigenen Toprestaurants ‚La Veranda‘ anzutreten. Das Restaurant war bis zum Abend Sperrzone für normale Gäste. Die Formulierung ‚Heute geschlossene Gesellschaft‘ prangte dann auch am Haupteingang des ‚La Veranda‘.

      Die falsche Kellnerin blieb stehen, als einer der beiden Bodyguards seine Hand der zierlichen jungen Frau entgegenstreckte. Es wäre ein Leichtes für sie gewesen, ihm seine Hand auszurenken, nahezu gleichzeitig dem anderen mit einem Sprungkick das Genick zu brechen und noch mit den Beinen in der Luft dem vor Schmerz schreienden Ersten dasselbe mit ihrem anderen Bein zukommen zu lassen. Die ganze Aktion würde irgendwas zwischen ein und zwei Sekunden dauern.

      »Ciao, ragazzi!«, sagte sie keck.

      »Ciao, Emiliana. Du solltest heute früher kommen.« Die menschliche Schrankwand in Anzug und Krawatte blickte auf die anderthalb Kopf kleinere ‚Emiliana‘ hinunter.

      »Ich weiß,