Selma Lagerlöf

Selma Lagerlöf - Gesammelte Werke


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vermochte jedoch Klorina nicht zum Schweigen zu bringen. »So, du glaubst also, daß ich lüge,« sagte sie. »Du kannst ja Cäsar einmal fragen! Er war gestern abend auch in der Stube. Cäsar lügt nie.«

      »Cäsar,« sagte Jarro, »du verstehst die Sprache der Menschen viel besser als Klorina. Sag' du, daß sie nicht richtig gehört hat. Bedenke doch, wie es werden würde, wenn die Menschen den Tåkernsee austrockneten und seine Ufer zu Ackerland machten! Dann gäbe es kein Entengrün mehr für die heranwachsenden jungen Enten und keine Fischbrut und keine Kaulquappen und keine Mückenlarven für die jungen Entlein. Dann würden auch die Binsenwälder verschwinden, in denen sich die kleinen Entlein jetzt verstecken können, bis sie flügge sind. Alle Enten müssen von hier fortziehen und sich eine andere Wohnung suchen. Aber wo sollen sie eine Zufluchtsstätte, wie den Tåkernsee, finden? Cäsar, sage du, daß Klorina nicht richtig gehört hat!«

      Es war eigentümlich, zu beobachten, wie Cäsar sich bei dieser Unterhaltung aufführte. Er war während der ganzen übrigen Zeit völlig wach gewesen, als sich aber Jarro an ihn wandte, gähnte er, legte seine lange Schnauze auf die Vorderpfoten und verfiel augenblicklich in einen tiefen Schlaf.

      Die Katze sah mit einem listigen Lächeln auf Cäsar hinab. »Ich glaube, Cäsar hat keine Lust, dir zu antworten,« sagte sie zu Jarro. »Ihm geht es so wie allen Hunden: Sie wollen niemals zugeben, daß die Menschen unrichtig handeln. Aber du kannst dich trotzdem auf mein Wort verlassen. Ich will dir sagen, warum die Menschen den See gerade jetzt trockenlegen wollen. Solange die Stockenten die Herrschaft über den Tåkernsee hatten, wollten sie ihn nicht trockenlegen, denn von euch hatten sie doch einigen Nutzen. Aber nun haben sich ja die Haubentaucher und die Bläßhühner und viele andere Vögel, die nicht eßbar sind, fast aller Binsenwälder bemächtigt, und die Menschen finden es nicht notwendig, um ihretwillen den See zu bewahren.«

      Jarro hatte keine Lust, Klorina zu antworten, er erhob nur den Kopf und rief Cäsar ins Ohr: »Cäsar! Du weißt doch, daß da auf dem Tåkernsee so viele Enten sind, daß es aussehen kann wie Wolken am Himmel. Sag' du doch, daß es nicht wahr ist, daß die Menschen die alle heimatlos machen wollen!«

      Da fuhr Cäsar auf und unternahm einen gewaltigen Ausfall gegen Klorina, so daß diese auf ein Wandbrett hinauf flüchten mußte. »Ich will dich lehren zu schwatzen, wenn ich schlafen will!« brüllte Cäsar. »Ich weiß sehr wohl, daß die Rede davon ist, in diesem Jahr den See trockenzulegen. Aber davon ist schon so oft geredet, ohne daß etwas daraus geworden ist. Und dies Trockenlegen ist eine Sache, die ich nicht billige. Denn was sollte wohl aus der Jagd werden, wenn der Tåkernsee trockengelegt würde? Du bist ein Rindvieh, daß du dich über so etwas freuen kannst. Womit sollen du und ich uns belustigen, wenn es keine Vögel mehr auf dem Tåkernsee gibt?«

      Sonntag, den 17. April.

      Ein paar Tage später war Jarro so munter, daß er durch die ganze Stube fliegen konnte. Und da verhätschelte ihn die Bäuerin, und der kleine Junge lief auf den Hof hinaus und pflückte ihm die ersten Grashalme, die aufgesproßt waren. Wenn ihn die Bäuerin streichelte, dachte Jarro, daß, obwohl er jetzt gesund genug war, um nach dem Tåkernsee hinabzufliegen, wenn es ihm beliebte, er sich nicht von den Menschen trennen wollte. Er hatte nichts dagegen, sein ganzes Leben bei ihnen zu bleiben.

      Aber eines Morgens in aller Frühe legte die Bäuerin eine Schlinge um Jarro, so daß er seine Flügel nicht gebrauchen konnte, und übergab ihn dann dem Knecht, der ihn draußen auf dem Hof gefunden hatte. Der steckte ihn unter den einen Arm und ging mit ihm an den Tåkernsee hinab.

      Das Eis war geschmolzen, während Jarro krank war. Die alten, trockenen Binsenhalme vom vergangenen Jahr standen noch am Ufer und rings um die kleinen Inseln herum, aber alle Wasserpflanzen hatten schon begonnen, in der Tiefe frische Schüsse zu treiben, und die grünen Spitzen reichten bis an den Wasserspiegel hinauf. Und nun waren fast alle Zugvögel heimgekehrt. Die krummen Schnäbel der Brachvögel guckten aus dem Röhricht hervor. Die Haubentaucher segelten mit einem neuen Federkragen um den Hals umher. Und die Bekassinen waren damit beschäftigt, Strohhalme für ihre Nester zusammenzutragen.

      Der Knecht stieg in einen Kahn, legte Jarro auf den Boden und stängelte auf den See hinaus. Jarro, der sich nun daran gewöhnt hatte, nichts anderes als Gutes von den Menschen zu erwarten, sagte zu Cäsar, der auch mit dabei war, er sei dem Knecht sehr dankbar, daß er ihn mit auf den See hinausgenommen habe. Aber der Knecht brauche ihn nicht so fest gebunden zu halten, denn er habe keineswegs die Absicht, davonzufliegen. Darauf erwiderte Cäsar nichts. Er war sehr wortkarg in dieser Morgenstunde.

      Das einzige, was Jarro ein wenig merkwürdig fand, war, daß der Knecht seine Flinte mitgenommen hatte. Er konnte sich nicht denken, daß einer von den guten Menschen im Bauernhofe Vögel schießen würde. Außerdem hatte ihm Cäsar gesagt, um diese Jahreszeit jagten die Menschen nicht. »Es ist Schonzeit!« sagte Cäsar, »aber das gilt natürlich nicht für mich.«

      Währenddessen ruderte der Knecht nach einer der kleinen, schilfumkränzten Schlamminseln hinaus. Dort stieg er aus dem Boot, sammelte altes Röhricht zu einem großen Haufen zusammen und legte sich dahinter. Die Schlinge um die Flügel, und mit einer langen Schnur an das Boot befestigt, durfte Jarro nun draußen auf dem Erdboden umherspazieren.

      Plötzlich gewahrte Jarro einige von den jungen Enterichen, in deren Gesellschaft er in alten Zeiten über den See hin und her geflogen war. Sie waren weit weg, aber Jarro rief sie mit einigen lauten Rufen zu sich heran. Sie beantworteten die Rufe, und ein großes, schönes Schaf näherte sich. Noch ehe sie ganz herangekommen waren, begann Jarro, ihnen von seiner wunderbaren Rettung durch die Güte der Menschen zu erzählen. Im selben Augenblick knallten zwei Schüsse hinter ihm. Drei Enten sanken tot in das Röhricht und Cäsar plumpste hinaus und fing sie ein.

      Da ging Jarro ein Licht auf. Die Menschen hatten ihn gerettet, um ihn als Lockvogel zu gebrauchen! Und es war ihnen gelungen. Er war schuld daran, daß drei Enten tot waren. Er war nahe daran, vor Scham zu vergehen. Selbst sein Freund Cäsar, fand er, sah ihn voller Verachtung an, und als sie nach Hause in die Stube kamen, wagte er nicht, sich zum Schlafen neben den Hund zu legen.

      Am nächsten Morgen wurde Jarro wieder auf den Werder hinausgeführt. Auch diesmal erblickte er bald einige Enten. Aber als er sah, daß sie auf ihn zugeflogen kamen, rief er ihnen entgegen: »Weg mit euch, weg! Nehmt euch in acht! Fliegt anderswo hin! Hinter dem Binsenhaufen liegt ein Jäger verborgen. Ich bin nur ein Lockvogel!« Und es gelang ihm wirklich, sie daran zu hindern, in Schußweite zu kommen.

      Jarro hatte kaum Zeit, ein paar Grashalme zu kosten, so in Anspruch genommen war er vom Wache-Halten. Er rief seine Warnung, sobald sich ein Vogel näherte. Er warnte sogar die Haubentaucher, die er sonst nicht ausstehen konnte, weil sie die Enten aus ihren besten Verstecken verdrängten. Aber er konnte es nicht übers Herz bringen, schuld daran zu sein, daß ein Vogel in Unglück geriet. Und dank Jarros Aufmerksamkeit mußte der Knecht nach Hause zurückrudern, ohne auch nur einen Schuß abgeschossen zu haben.

      Aber trotzdem sah Cäsar weniger mürrisch aus als am vorhergehenden Tage, und als der Abend kam, nahm er Jarro in sein Maul und trug ihn an den Herd und ließ ihn zwischen seinen Vorderpfoten schlafen.

      Aber Jarro fühlte sich nicht mehr wohl in der Stube; er war sehr unglücklich. Es quälte sein Herz, wenn er daran dachte, daß die Menschen ihn nie geliebt hatten. Wenn die Bäuerin oder der kleine Junge kamen und ihn streichelten, steckte er den Kopf unter den Flügel und tat so, als schlafe er.

      Mehrere Tage hatte Jarro auf seiner traurigen Wacht aushalten müssen, und er war schon am ganzen Tåkernsee bekannt. Da geschah es eines Morgens, während er wie gewöhnlich rief: »Nehmt euch in acht, Vögel! Kommt mir nicht zu nahe! Ich bin nur ein Lockvogel,« daß ein Haubentauchernest auf den Werder zugeschwommen kam, wo er angebunden war. Das war nun an und für sich nichts Merkwürdiges. Es war ein Nest vom vorigen Jahr, und da die Haubentauchernester so gebaut sind, daß sie wie ein Boot auf dem Wasser schwimmen können, geschieht es oft, daß sie ins Treiben geraten. Aber Jarro blieb doch stehen und sah nach dem Nest, weil es so geradeswegs auf die kleine Insel zusteuerte, daß es so aussah, als lenke jemand seinen Kurs über das Wasser.

      Als