und habe in seinem Garten gegraben. »Ja, jetzt ist da ja weder ein Schloß noch ein Garten mehr; da, wo das einstmals gelegen, ist nur ein ganz gewöhnlicher Waldhügel. Aber es kann wohl geschehen, daß wer in einer dunklen Nacht durch den Wald geht, den Garten erblickt.«
Hier hielt die Alte inne und sah aufmerksam nach einer dunklen Ecke hinüber. »Rührte sich da nicht eben etwas?« fragte sie.
»Bewahre, Mutter, erzählt Ihr nur weiter!« sagte die Schwiegertochter. »Ich sah gestern, daß die Mäuse da in der Ecke ein großes Loch genagt haben, aber ich hatte soviel anderes zu tun, daß ich vergaß, es zuzustopfen. Erzählt Ihr uns nur, ob jemand den Garten gesehen hat.«
»Ja,« sagte die Alte, »ihr müßt wissen, daß mein eigener Vater ihn einmal gesehen hat. In einer Sommernacht kam er durch den Wald gegangen, und plötzlich sah er neben sich eine hohe Gartenmauer, und über der Mauer konnte er die herrlichsten Bäume erkennen; die waren so voller Blüten und Früchte, daß die Zweige tief über die Mauer herabhingen. Mein Vater ging ganz still näher heran und konnte nicht begreifen, woher der Garten gekommen war. Da tat sich plötzlich ein Tor in der Mauer auf, und ein Gärtner kam heraus und fragte meinen Vater, ob er seinen Garten nicht sehen wollte. Der Mann hatte einen Spaten in der Hand und er trug eine große Schürze so wie andere Gärtner, und Vater wollte gerade mit ihm gehen, als er einen Blick auf sein Gesicht warf. Im selben Augenblick erkannte mein Vater die spitze Stirnlocke und den Spitzbart. Es war leibhaftig Herr Karl, so wie mein Vater ihn auf Bildern abgebildet gesehen hatte, die in all den Schlössern hingen, wo Vater ...«
Hier wurde die Geschichte von neuem unterbrochen. Jetzt war es ein Scheit Holz, das sprühte, so daß Funken und glühende Kohlen auf den Fußboden flogen. Einen Augenblick wurde es hell in all den dunklen Ecken der Stube, und die Alte glaubte, einen Schimmer von einem Wicht gesehen zu haben, der neben dem Mauseloch saß und der Geschichte lauschte, sich jetzt aber beeilte davonzukommen.
Die Schwiegertochter holte Besen und Aufnehmer, fegte die glühenden Kohlen zusammen und setzte sich wieder hin. »Erzählt doch weiter, Mutter!« sagte sie. Aber die Alte wollte nicht. »Jetzt mag es genug sein für heute abend,« sagte sie, und ihre Stimme klang so sonderbar. Die anderen fuhren fort, sie zu bitten, aber die Schwiegertochter sah, daß die Alte blaß geworden war, und daß ihre Hände zitterten. »Nein, jetzt ist Mutter müde und muß zu Bett,« sagte sie.
Bald darauf kam der Junge wieder in den Wald zu den Wildgänsen zurück. Er nagte an einer Mohrrübe, die er vor dem Keller aufgelesen hatte und fand, daß er eine herrliche Abendmahlzeit bekommen hatte. Er war so froh, daß er mehrere Stunden in der warmen Stube hatte sitzen können. »Hätte ich jetzt nur ein gutes Nachtquartier,« dachte er.
Da fiel ihm ein, daß er nichts Besseres tun könne, als sein Nachtlager in einer buschigen Tanne zu suchen, die am Wege stand. Er schwang sich in den Baum hinauf und flocht ein paar Zweige zusammen, so daß er ein Bett hatte, in dem er liegen konnte.
Da lag er eine Weile und dachte an all das, was er in dem Bauerhäuschen gehört hatte, und vor allem von diesem Herrn Karl, der, wie man sagte, hier im Djulöer Walde spuken sollte. Schlief aber bald ein, und hätte sicher bis an den hellen Morgen geschlafen, wenn er nicht davon erwacht wäre, daß eine kreischende eiserne Pforte gerade unter ihm geöffnet wurde.
Der Junge ist sofort wach, reibt den Schlaf aus den Augen und sieht sich um. Ganz in seiner Nähe ist eine Mauer, so hoch wie ein Mann, und über der Mauer sieht man Bäume, die fast unter der Last ihrer Früchte brechen.
Anfänglich findet er, daß dies sehr sonderbar ist. Als er sich schlafen legte, waren da keine Obstbäume. Aber sobald er sich besonnen hat, weiß er, was für ein Garten es ist.
Das Sonderbarste von allem aber ist vielleicht, daß er gar nicht bange wird, sondern im Gegenteil eine unbezwingliche Lust empfindet, in den Garten hineinzugehen. Oben in der Tanne, wo er liegt, ist es dunkel und kalt, aber drinnen im Garten ist es hell, und es deucht ihm, als könne er Früchte und Rosen in dem starken Sonnenschein glühen sehen. Es würde gut tun, sich von der Sonne bescheinen zu lassen nach all der Kälte und dem Wind und den Regen, worunter er hat leiden müssen.
Es scheint auch nichts im Wege zu sein, daß er in den Garten kommen kann. Dicht neben der Tanne, wo der Junge liegt, ist ein Tor in der hohen Mauer, und ein alter Gärtner hat gerade die großen, eisernen Türen geöffnet. Nun steht er im Tor und sieht unverwandt in den Wald hinein, als erwarte er jemand.
Sofort ist der Junge vom Baum herunter. Er geht, die Mütze in der Hand, auf den Gärtner zu, verbeugt sich und fragt, ob es erlaubt ist, den Garten zu besehen.
»Bitte schön,« antwortet der Gärtner. »Tritt nur ein!«
Dann zieht er die Türen zu und verschließt sie mit einem schweren Schlüssel, den er in seinen Gürtel steckt. Währenddessen steht der Junge da und sieht ihn an. Er hat ein steifes, unbewegliches Gesicht mit einem großen Knebelbart, Spitzbart und Adlernase. Hätte er nicht eine blaue Gärtnerschürze umgehabt und einen schweren Spaten in der Hand gehalten, so würde ihn der Junge für einen alten Soldaten gehalten haben.
Der Gärtner geht mit so langen Schritten in den Garten hinein, daß der Junge laufen muß, um mitzukommen. Sie gehen auf einem schmalen Steig, und der Junge tritt versehentlich in das Gras. Sofort erhält er einen Verweis, das Gras nicht niederzutreten, und dann läuft er hinter seinem Führer her.
Der Junge hat eine Empfindung, als halte sich der Gärtner eigentlich für zu fein, seinen Garten so einem Wechselbalg, wie er es ist, zu zeigen, und er wagt nicht, ihn nach etwas zu fragen, sondern läuft nur hinterdrein. Von Zeit zu Zeit wirft ihm der Gärtner ein Wort zu. Gleich hinter der Mauer befindet sich eine Hecke, und als sie da hindurchgehen, sagt er, die nenne er den Kolmård. »Ja, groß genug ist sie, um dem Namen zu entsprechen,« sagt der Junge. Aber der Gärtner macht sich nicht das geringste daraus, zu hören, was er sagt.
Dann kommen sie aus dem Buschwerk heraus, und der Junge kann ein großes Stück des Gartens übersehen. Er entdeckt gleich, daß er nicht gerade groß ist, nicht viel mehr als ein paar Tonnen Land. Die hohe Mauer beschützt ihn nach Süden und Westen zu, nach Norden und Osten aber ist er von Wasser umgeben, so daß keine Umfriedigung nötig ist.
Der Gärtner steht still, um eine Ranke aufzubinden, und währenddessen hat der Junge Zeit, sich umzusehen. Er hat nicht viele Gärten in seinem Leben gesehen, aber ein Gefühl sagt ihm, daß dieser verschieden von allen anderen ist. Er muß auf irgendeine altmodische Weise angelegt sein, denn eine solche wimmelnde Masse von kleinen Hügeln und kleinen Blumenbeeten und kleinen Hecken und kleinen Rasenflächen und kleinen Lusthäusern sieht man heutzutage nirgends. Und auch nicht so ein Gewimmel von kleinen Teichen und gewundenen Kanälen, wie man sie hier auf allen Seiten erblickt.
Überall stehen die prächtigsten Bäume und die lieblichsten Blumen, und das Wasser in den kleinen Kanälen ist dunkelgrün und klar, so daß sich alles darin spiegelt. Und der Junge findet, daß das Ganze wie ein Paradies ist. Er schlägt die Hände zusammen und ruft aus: »Nie im Leben hab' ich etwas so Hübsches gesehen! Was für ein Garten ist dies doch nur?«
Das ruft er ganz laut, und der Gärtner wendet sich sofort nach ihm um und sagt mit seiner barschen Stimme: »Dieser Garten heißt Sörmland. Wer bist denn du, daß du das nicht einmal weißt? Er hat immer für einen der besten Gärten im Lande gegolten.«
Dem Jungen wird ja ein wenig sonderlich zumute bei der Antwort, aber er hat so viel damit zu tun, sich gründlich umzusehen, daß er gar keine Zeit hat, darüber nachzudenken, was das bedeutet. So schön es ist mit allen den vielen Blumen und den Bächen, die sich dazwischen hindurchschlängeln, so ist da doch noch etwas Ergötzlicheres, nämlich alle die kleinen Lusthäuser und Puppenhäuser, mit denen der Garten angefüllt ist. Sie liegen überall, am meisten aber am Ufer der kleinen Teiche und Kanäle. Es sind keine richtigen Häuser. Sie sind so klein, als seien sie für Leute gebaut, die nicht größer sind als er, aber sie sind alle außerordentlich fein und niedlich. Da sind alle möglichen Arten: einige sehen aus wie Schlösser mit Türmen und Flügeln, andere wie Kirchen, und wieder andere wie Mühlen oder Bauerhäuser.
Sie sind so allerliebst, daß der Junge am liebsten stehen geblieben wäre, um sich