Stimme in sein Ohr brummen: »Was für einer bist du denn?«
Der Junge wandte sich schnell um, und im ersten Schrecken glaubte er, einem großen Felsblock gegenüberzustehen, der mit graubrauner Bartflechte bedeckt war; dann aber gewahrte er, daß der Felsblock breite Füße hatte, auf denen er gehen konnte, und einen Kopf und Augen und einen großen, brummenden Mund.
Er konnte kein Wort der Entgegnung hervorbringen, aber das schien das große Tier auch gar nicht zu erwarten. Er warf ihn um, rollte ihn mit der Pfote hin und her und beschnüffelte ihn. Es sah so aus, als wolle es ihn verschlingen, da aber kam es auf andere Gedanken und rief: »Murre und Brumme, kommt schnell, meine Kleinen! Hier ist was Leckeres für euch!«
Augenblicklich kamen zwei zottige Junge dahergestürzt, sie standen schlecht auf den Beinen und hatten ein weiches Fell so wie junge Hunde.
»Was habt Ihr da gefunden, Bärenmutter? Dürfen wir sehen, was es ist?«
»Also Bären sind es, unter die ich geraten bin,« dachte der Junge. »Dann fürchte ich, braucht sich Reineke Fuchs keine Mühe mehr zu geben, hinter mir drein zu jagen.«
Die Bärin schob den Jungen mit der Tatze den Kleinen hin, und eins von ihnen schnappte ihn weg und lief mit ihm davon. Aber es biß nicht hart zu, denn es war ausgelassen und wollte mit dem Däumling spielen, ehe es ihn tot biß. Das andere lief hinterdrein, um den Jungen zu ergattern, und kam so watschelnd und taumelnd daher, daß es dem mit dem Jungen gerade auf den Kopf fiel. Und so rollten sie über- und untereinander und rissen sich und bissen sich und brummten.
Währenddessen entkam der Junge, lief an die Felswand und begann hinaufzuklettern. Aber die beiden Bärenkinder kamen hinter ihm drein gestürzt, kletterten schnell und behende den Berg hinauf, holten ihn ein und warfen ihn auf das Moos hinab wie einen Ball. »Jetzt weiß ich, was eine arme kleine Maus empfindet, wenn sie in die Krallen der Katze geraten ist,« dachte der Junge.
Er versuchte mehrmals zu entschlüpfen. Er lief tief in den alten Grubengang hinein, verbarg sich hinter den Steinen und kletterte in die Birken hinauf, aber die Bärenkinder fanden ihn, wo er sich auch versteckte. Sobald sie ihn eingefangen hatten, ließen sie ihn wieder los, damit er ihnen wieder fortlaufen sollte, denn dann hatten sie das Vergnügen, ihn wieder einzufangen.
Schließlich wurde der Junge so müde und hatte das Ganze so satt, daß er sich an die Erde warf. »Lauf! Lauf!« riefen die Bärenkinder, »sonst fressen wir dich!« – »Meinetwegen!« sagte der Junge, »ich kann nicht mehr laufen.« Sofort stürzten die Kleinen zu der Bärenmutter. »Mutter, Mutter, er will nicht mehr spielen,« klagten sie. – »Ja, dann nehmt ihn und teilt ihn unter euch, aber ganz gerecht,« sagte die Bärenmutter. Als der Junge das hörte, wurde er so bange, daß er gleich wieder zu spielen anfing.
Als es Schlafenszeit war und die Bärin ihre Jungen rief, damit sie dicht an sie herankriechen und sich schlafen legen sollten, hatten sie sich so köstlich unterhalten, daß sie morgen dasselbe Spiel spielen wollten. Sie nahmen den Jungen zwischen sich und legten die Tatzen auf ihn, so daß er sich nicht rühren konnte, ohne sie zu wecken. Sie schliefen bald ein, und der Junge dachte, nach einer Weile wolle er versuchen, zu entschlüpfen. Aber nie in seinem Leben war so mit ihm herumgeworfen und getründelt und gejagt und gedreht worden, und er war so todmüde, daß er auch einschlief.
Ein wenig später kam der Bärenvater die Felswand hinabgeklettert. Der Junge erwachte davon, daß er Steine und Kies losriß, indem er sich in die alte Grube hinuntergleiten ließ. Der Junge wagte ja kaum, sich zu rühren, aber er drehte und wendete sich so, daß er den Bären sehen konnte. Es war ein mächtig großer, starkgliedriger Bär mit gewaltigen Tatzen, großen, schimmernd weißen Eckzähnen und kleinen, boshaften Augen. Der Junge konnte nichts dafür, daß es ihm kalt den Rücken hinablief, als er den alten König des Waldes erblickte.
»Es riecht hier nach Menschen!« sagte der Bärenvater, sobald er zu der Bärenmutter gelangt war, und dabei brummte er wie ein Gewitter.
»Wie kannst du nur auf solche Dummheiten verfallen!« sagte die Bärenmutter und blieb ruhig liegen, wo sie lag. »Es ist ja eine Verabredung, daß wir den Menschen kein Leid mehr zufügen wollen. Aber käme einer hier hinab, wo ich und die Kleinen hausen, so würde nicht so viel von ihm übrigbleiben, daß du es riechen könntest.«
Der Bärenvater legte sich neben die Bärenmutter, schien aber nicht ganz zufrieden mit der Antwort zu sein, denn er konnte es nicht lassen zu schnobern und zu wittern.
»Laß doch das alte Geschnober noch!« sagte die Bärenmutter. »Du solltest mich doch nachgerade genug kennen, um zu wissen, daß ich nichts, was Unheil anrichten kann, in die Nähe der Kleinen kommen lasse. Erzähle mir lieber, was du unternommen hast? Ich habe dich eine ganze Woche nicht gesehen.«
»Ich bin ausgewesen und habe mich nach einer neuen Wohnung umgesehen,« sagte der Bärenvater. »Zuerst ging ich nach Wärmland hinüber, um unsere Verwandten im Neuwald zu fragen, wie sie sich da im Lande befänden, aber die Mühe hätte ich mir sparen können. Sie waren alle fort. Da war auch nicht ein Bärenlager im ganzen Walde.«
»Ich glaube, die Menschen wollen die ganze Erde für sich haben,« sagte die Bärenmutter. »Wenn wir auch Menschen und Vieh in Ruhe lassen und nur von Preißelbeeren und Ameisen und Pflanzen leben, so werden sie uns doch nicht erlauben, im Walde zu bleiben. Ich möchte wohl wissen, wo wir hinziehen und sicher sein könnten, daß man uns wohnen ließe.« – »Hier in dieser Grube haben wir uns ja so viele Jahre wohlgefühlt,« sagte der Bärenvater, »aber ich kann mich nicht darin finden, hier zu wohnen, nachdem das große Bullerwerk ganz dicht neben uns gebaut ist. Ich bin jetzt zuletzt östlich vom Dalelf gewesen, nach Garpenberg zu, um mich dort umzusehen. Auch dort waren viele alte Grubenlöcher und andere gute Schlupfwinkel, und es schien mir, als wenn man da so ziemlich Ruhe vor Menschen haben würde ...«
Während der Bärenvater das sagte, erhob er sich und schnoberte nach allen Seiten. »Es ist sonderbar, jedesmal, wenn ich von Menschen spreche, spüre ich wieder den Geruch,« sagte er.
»Sieh selbst nach, wenn du mir nicht glauben willst,« sagte die Bärenmutter. »Ich möchte wohl wissen, wo ein Mensch hier versteckt liegen sollte.«
Der Bär machte die Runde durch die Höhle und schnoberte. Schließlich legte er sich, ohne ein Wort zu sagen, wieder neben die Bärenmutter. »Aber du glaubst natürlich nicht, daß auch andere als du Nase und Ohren haben.«
»Man kann nie vorsichtig genug mit so einer Nachbarschaft sein, wie wir sie haben,« sagte der Bärenvater ruhig. Aber dann fuhr er mit einem Gebrüll in die Höhe. Es traf sich so unglücklich, daß eins der Bärenkinder seine Tatze auf Niels Holgersens Gesicht gelegt hatte, so daß der arme Junge nicht atmen konnte, sondern niesen mußte. Jetzt war es der Bärenmutter nicht mehr möglich, den Bärenvater ruhig zu halten. Er warf die Kleinen nach rechts und nach links und gewahrte den Jungen, ehe er sich noch erhoben hatte.
Er würde ihn sofort verschlungen haben, wenn sich die Bärenmutter nicht ins Mittel gelegt hätte. »Rühr' ihn nicht an! Das ist das Spielzeug der Kinder!« sagte sie, »Sie haben sich den ganzen Abend so herrlich mit ihm belustigt, daß sie es nicht übers Herz bringen konnten, ihn zu fressen, sondern ihn zu morgen aufheben wollten.« Der Bär aber schob die Bärin beiseite. »Mische dich nicht in Dinge, für die du kein Verständnis hast,« brüllte er. »Kannst du denn nicht merken, daß es nach Menschen riecht? Den fresse ich sofort auf, sonst spielt er uns noch irgendeinen schlimmen Streich.«
Er öffnete schon den Rachen, nun aber hatte der Junge Zeit gehabt, sich zu besinnen, und er hatte in größter Eile seine Streichhölzer aus dem Ranzen geholt – sie waren das einzige Verteidigungsmittel, das er besaß. Er strich ein Streichholz an seinen Lederhosen an, und als es mit heller Flamme brannte, steckte er es dem Bären in den Rachen.
Der Bär schnob, als er den Schwefelgeruch in die Nase bekam, und dann erlosch die Flamme. Der Junge hatte ein neues Streichholz bereit, aber merkwürdigerweise wiederholte der Bärenvater seinen Angriff nicht.
»Kannst du viele von den kleinen, blauen Rosen anzünden?« fragte er.
»Ich kann so viele anzünden, daß sie dem ganzen