Garten. Wir waren mehrere Mädchen aus Dalarna, und nun bekamen wir etwas höheren Tagelohn, aber sparen mußten wir trotzdem. In den Gärten sammelten wir alte Nägel und Knochen und verkauften sie an den Lumpenhändler, und für das Geld kauften wir eine Art steinharten Zwieback, den sie in der Militärbäckerei für die Soldaten buken. Ende Juli ging ich wieder nach Hause, um bei der Ernte zu helfen. Diesmal hatte ich dreißig Taler zusammengespart.
Im nächsten Jahr mußte ich wieder hinaus, um Geld zu verdienen. Da kam ich auf den Stallmeisterhof in der Nähe von Stockholm. In jenem Sommer war Feldmanöver auf dem Lagårdsgärd und der Marketender schickte mich hin, um die Aufwartung in einer Küche zu übernehmen, die er in einem großen Rüstwagen eingerichtet hatte. Und wenn ich hundert Jahre alt werden sollte, so vergesse ich niemals den Tag, als ich da draußen im Lager vor König Oskar dem Ersten auf dem Hirtenhorn blasen mußte. Und er schickte mir einen ganzen Speziestaler als Belohnung.
Dann war ich mehrere Sommer hintereinander Fährmädchen auf Brunsviken und ruderte zwischen Albano und Haga. Das war meine beste Zeit. Wir hatten ein Hirtenhorn im Boot, und manchmal nahmen die Fahrgäste selbst die Ruder, damit wir ihnen etwas vorblasen konnten. Wenn dann im Herbst das Rudern aufhörte, ging ich durch Uppland hinauf und half auf den Bauerhöfen beim Dreschen. Gegen Weihnacht pflegte ich mit hundert Reichstalern nach Hause zu kommen. Und dann hatte ich Saat beim Dreschen verdient, die holte Vater, sobald Schlittenbahn war. Ja, seht ihr, wenn ich und meine Schwestern nicht mit unserem Geld gekommen wären, so hätten die zu Hause nichts zu leben gehabt. Denn das Korn, das wir selbst bauten, war meistens verbraucht, wenn ich nach Hause kam, und Kartoffeln bauten die Leute damals nur wenig. So mußten sie denn Korn beim Kaufmann kaufen, und wenn der Roggen die Tonne vierzig Reichstaler kostete und der Hafer vierundzwanzig, so sollte man wohl sparen! Ich entsinne mich noch, daß wir mehrmals eine Kuh für eine Tonne Hafer hergaben. In jenen Zeiten buken wir Haferbrot mit feingehacktem Stroh zwischen dem Mehl. Es war nicht leicht, solch Strohbrot herunterzubekommen, das könnt ihr mir glauben. Man mußte zwischen dem Bissen Wasser trinken, damit es nur glitt.
So fuhr ich fort, hin und her zu gehen bis zu dem Jahr, als ich heiratete, und das war 1856. Seht, Jon und ich waren in Stockholm gute Freunde geworden. Und jedes Jahr, wenn ich heimzog, war ich gleichsam ein wenig bedrückt, daß die Stockholmer Mädchen seine Gedanken von mir wenden könnten. Sie nannten ihn ›den schönen Ton vom Moor‹, ›den schönen Dalekarlier‹, das wußte ich. Aber es war kein Falsch in seinem Herzen, und als er Geld genug zusammengespart hatte, machten wir Hochzeit.
Dann war da einige Jahre lang eitel Freude und keine Sorge. Aber das währte nicht lange. 1863 starb Jon, und ich stand allein da mit fünf kleinen Kindern. Aber es ging uns eigentlich nicht schlecht, denn jetzt waren bessere Zeiten in Dalarna. Da waren reichlich Kartoffeln, und da war reichlich Korn. Es war ein großer Unterschied gegen früher. Ich bestellte selbst das bißchen Land, das ich geerbt hatte, und ich hatte mein eigenes Haus. So verging ein Jahr nach dem anderen, und die Kinder wuchsen heran. Sie sind gut gestellt, alle die von ihnen am Leben sind. Gott sei dank! Sie können sich keinen rechten Begriff davon machen, wie knapp es die Leute in Dalarna hatten, als ihre Mutter jung war.«
Die Alte schwieg. Während sie erzählte, war das Feuer heruntergebrannt, und alle erhoben sich und sagten, es sei an der Zeit, nach Hause zu gehen. Der Junge kehrte auf das Eis zurück, um nach seinen Reisegefährten zu suchen, aber wie er so allein in der Finsternis dahinlief, klang ihm ein Vers in den Ohren, den er vor kurzem auf der Brücke hatte singen hören: »In Dalarna wohnte, in Dalarna wohnt bei Armut auch Treue und Ehre ...« Dann kam etwas, dessen er sich nicht mehr zu entsinnen vermochte, aber den Schluß des Liedes wußte er noch: »Sie mischten mit Rinde nicht selten ihr Brot, doch mächtigen Herren ward Hilfe in Not bei den armen Männern in Dalarna.«
Der Junge hatte nicht alles vergessen, was er von den Stures und von Gustav Wasa gehört hatte, er hatte nie begreifen können, warum die gerade Hilfe bei den Dalekarliern suchten, aber jetzt verstand er es. Denn in einem Land, wo es solche Frauen gab, wie die Alte da oben am Feuer, mußten die Männer ja ganz unbezwinglich sein.
XXXI. Bei den Kirchen
Sonntag, 1. Mai.
Als der Junge am nächsten Morgen erwachte und sich auf das Eis hinabgleiten ließ, konnte er sich eines Lachens nicht erwehren. In der Nacht war eine Menge Schnee gefallen, und es schneite noch immer weiter. Die ganze Luft war voll weißer Flocken, die so groß waren, daß man, ehe sie fielen, gut hätte glauben können, es seien die Flügel erfrorener Schmetterlinge. Auf dem See lag der Schnee mehr als zollhoch, die Ufer waren weiß, und die Wildgänse waren so beschneit, daß sie aussahen wie kleine Schneewehen.
Von Zeit zu Zeit bewegten sich Akka oder Yksi oder Kaksi ein wenig, aber wenn sie sahen, daß es noch immer schneite, steckten sie schnell den Kopf wieder unter die Flügel. Sie fanden wohl, daß sie in einem solchen Wetter nichts Besseres tun konnten als schlafen, und darin mußte der Junge ihnen recht geben.
Einige Stunden später erwachte er von dem Läuten der Rättviker Kirchenglocken. Jetzt hatte das Schneewetter aufgehört, aber es wehte scharf aus Norden, und draußen auf dem See war es schneidend kalt. Er freute sich, als die Wildgänse endlich den Schnee abschüttelten und dem Lande zuflogen, um sich Fressen zu verschaffen.
An jenem Tage war Konfirmation in der Rättviker Kirche, und die Konfirmanden, die rechtzeitig gekommen waren, standen in kleinen Gruppen vor der Kirche und sprachen miteinander. Sie trugen alle die Tracht der Gegend, und ihre Kleider waren so neu und bunt, daß sie förmlich schimmerten. »Liebe Mutter Akka, fliege hier ein wenig langsamer,« sagte der Junge, als die Wildgänse geflogen kamen, »damit ich die jungen Leute sehen kann!« Die Führergans fand scheinbar, daß das ein billiges Verlangen war, denn sie ließ sich so tief hinab, wie sie nur konnte, und flog dreimal um die Kirche herum. Es ist nicht leicht zu sagen, wie es sich in Wirklichkeit verhielt, aber als Niels Holgersen die Knaben und die Mädchen von da oben erblickte, meinte er, nie eine Schar prächtigerer junger Menschenkinder gesehen zu haben. »Ich glaube nicht, daß es feinere Prinzen und Prinzessinnen im Schloß des Königs gibt,« sagte er zu sich selbst.
Es war ziemlich viel Schnee gefallen. In Rättvik bedeckte er alle Felder, und Akka war nicht imstande, auch nur eine Stelle zu entdecken, wo sie sich niederlassen konnte. Da besann sie sich nicht lange, sondern flog südwärts, nach Leksand hinab.
In Leksand waren, wie gewöhnlich im Frühling, die meisten der jungen Leute fortgegangen, um Arbeit zu suchen. Es waren kaum andere daheim im Dorf als die Alten, und als die Wildgänse geflogen kamen, wanderte eine lange Reihe alter Frauen durch die stattliche Birkenallee, die zur Kirche hinauf führt. Sie kamen dahergegangen auf der weißen Erde zwischen den weißstämmigen Birken in schneeweißen Schaffelljacken, weißen Pelzkleidern, gelben oder schwarz und weiß gestreiften Schürzen und mit weißen Mützen, die das weiße Haar fest umschlossen.
»Liebe Mutter Akka,« sagte der Junge, »fliege hier ein wenig langsamer, damit ich mir die alten Leute ansehen kann!« Die Führergans fand scheinbar, daß das ein billiges Verlangen war, denn sie ließ sich so tief hinab, wie sie es nur wagen konnte, und flog dreimal über der Birkenallee hin und her. Es ist nicht leicht zu sagen, wie es sich in Wirklichkeit verhielt, aber der Junge meinte, nie alte Frauen gesehen zu haben, die so klug und milde aussahen. »Diese alten Frauen sehen so aus, als wenn sie Könige zu Söhnen und Königinnen zu Töchtern hätten,« sagte der Junge zu sich selbst.
Aber in Leksand war es nicht besser als in Rättvik. Überall lag hoher Schnee, und Akka sah keinen anderen Ausweg, als die Reise südwärts bis nach Gagnef fortzusetzen.
In Gagnef hatte an jenem Tage vor dem Gottesdienst eine Beerdigung stattgefunden. Der Leichenzug war spät zur Kirche gekommen, und hinterher war das Begräbnis in die Länge gezogen. Als die Wildgänse geflogen kamen, waren noch nicht alle in die Kirche gegangen; verschiedene Frauen gingen noch auf dem Kirchhof herum und sahen nach ihren Gräbern. Sie hatten grüne Taillen an mit roten Ärmeln, und auf dem Kopf hatten sie bunte Tücher mit farbigen Fransen.
»Liebe Mutter Akka, fliege hier ein wenig langsamer,« sagte der Junge, und die Wildgans fand scheinbar, daß das ein billiges Verlangen war, denn sie ließ sich so tief nieder, wie sie es nur wagen konnte, und flog dreimal über den Kirchhof hin