Jose DeChamp

Aphrodite Schatzsucherin


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beschreibt sie den Sonnenuntergang im Rückspiegel und später den Vollmond an ihrer Seite, den sie als gutes Vorzeichen für das Gelingen ihrer Reise sieht. Stunden lang ist sie verzaubert von einem grünen Nachtmond, der ihr wie eine Ampel der Hoffnung erscheint, bis sie bemerkt, dass ihre Scheibe am oberen Rande getönt ist. Zsófia ist auf der Suche nach Wundern. Getrieben von einem kindlichen Hunger und einer unbändigen Vorstellungskraft. Unwillkürlich sorge ich mich um sie. So unvorbereitet und naïve. Ich denke an meine beiden Kinder die erwachsen werden. Vergleiche sie mit Zsófia und hoffe, dass sie ein Fundament haben, um ausgeglichene Erwachsene zu werden. Hoffe, dass sie weniger einsam und unglücklich sind als die Schatzsucherin. Sicher bin ich mir nicht, denn ihre Gedanken und Träume teilen sie nicht länger mit mir. Ich glaube, sie verachten mich ein wenig. Dafür, dass ich die Gediegenheit meines Lebens mit entschlossener Beharrlichkeit ausgebaut habe. Sie sind jung und wissen noch nicht, das Stürme mit Geduld ausgesessen werden müssen - dass es manchmal besser ist nicht so genau hinzuschauen. Das Ehe und Familienleben Ausdauer und eine Fähigkeit im Erdulden benötigen. Ich habe nie auf Wunder gewartet und auf das Beständige gesetzt. Es hat sich bewährt. Doch nicht alles kann gesichert werden und mein Leben, das viele Jahre in einem beständigen Flusse gewesen war, ist plötzlich ein reissender Strom in dem Altvertrautes von mir gerissen wird und Unbekanntes neben mir treibt während ich angestrengt schwimme und versuche etwas zum Festhalten zu finden. Die Geschichte der Schatzsucherin ist ein Teil dieses Unbekannten.

      Auch Zsófia hatte damals nach aussen hin funktioniert. Doch in ihren Tagebüchern lese ich Gedanken eines getriebenen Menschen, bizarre Traumbeschreibungen und immer wieder Hinweise auf ein Geheimnis. Wie in eine Wolke gehüllt, als vertraue sie der eigenen Wahrnehmung nicht. Ich sitze im Café und warte auf einen Mann, der Zsófia gekannt hat. Ich hatte seinen Namen in ihrem Adressbuch gefunden und mit ihm Kontakt aufgenommen. Er sei wieder in London, hatte er mir mitgeteilt und so warte ich auf ihn. Um mir die Zeit zu vertreiben lese ich in Zsófias Reisebeschreibungen.

      In Linz in Österreich übernachtet Zsófia auf dem Parkplatz einer Raststätte. Umgeben von riesigen Lastwagen rollt sie sich in ihre Decke. Das Lager ist ihr noch ungewohnt und sie fühlt sich verloren.

      Das Aufheulen schwerer Motoren lässt sie im Morgengrauen erwachen. Die LKW-Fahrer reisen weiter. Steifbeinig bereitet auch sie selbst sich auf die Weiterreise vor, kommt im Rasthaus mit einem Ungarischen Lastwagenfahrer ins Gespräch, der ihr sagt, dass die Durchfahrt von Serbien über Belgrad frei sei. Er spricht von einer hohen Autobahngebühr und willkürlichen Armee-Kontrollen. Zsófia schreibt dazu, “Was die Kontrollen angeht - es herrscht Krieg in Bosnien Herzegovina. Was also kann man anderes erwarten? Ich bin gespannt. Natürlich habe ich etwas Angst, aber ich bin zuversichtlich.”

      Auf der Autobahn durch Ungarn beschreibt sie Gegensätze, Hochhaus Silhouetten grau in grau. Sanft geschwungene Felder in verschwommenem Heugelb und Sommergrün. Viel grösser als in Deutschland. Unendlich weit.

      Stoppelfelder zum dahin galoppieren. Zsófia ist auf dem Lande aufgewachsen und wie viele junge Mädchen hat sie Pferde geliebt. Sonnenblumen Felder, Zsófia springt an einem Punkt aus dem Auto um bei den Sonnenblumen Feldern die Arme in die Luft zu werfen und zu tanzen. Sie beschreibt felsige Berge, Häuser mit spitzen Dächern an steile Hänge geklebt und freundliche, gemütliche Menschen an ihren Rastplätzen. Spätabends erreicht sie die Grenze zu Serbien. In Gedanken ist sie bereits auf der Insel. Eine lange Nacht verbringt sie in einer endlosen Schlange von Autos die in stockendem Schritt-Tempo auf die Grenze zu kriechen. Doch als sie endlich vor den Grenzpfosten halt macht, lassen die Beamten sie nicht auf die andere Seite. Sie hat kein Visum für Serbien.

      Zsófia schreibt von ihrer Endtäuschung und Erschöpfung. Die Nacht ist schwarz als sie umdreht. Sie fährt langsam und schliesslich hält sie an und weint. Ein Bullie mit einem Schweizer Nummernschild stoppt neben ihr und der Fahrer, kommt geradewegs auf sie zu. Zsófia verriegelt ängstlich ihre Tür, aber er fragt nur ob alles in Ordnung sei. Zsófia sagt ihm durch das geschlossene Fenster, dass sie wegen eines fehlenden Visas zurück nach Budapest müsse. Er bietet ihr an hinter ihm her zu fahren, da er auch auf dem Weg zu der Ungarischen Hauptstadt sei. Sie stimmt zu, aber ihr ist nicht wohl dabei. Auf einem Autobahnzubringer stoppt er mitten auf der Strasse, sodass auch Zsófia anhalten muss. Wieder steigt er aus und kommt zu ihr herüber. Er ist noch jung, bemerkt sie. Ein freundliches Gesicht. Er werde am nächsten Rasthof eine Pause machen. Ob sie dort mit ihm einen Kaffee trinken wolle. Zsófia lehnt freundlich ab. Sie sieht die Endtäuschung in seinem Gesicht. Später sieht sie den Rastplatz von dem er gesprochen hat, aber er blinkt nicht, kehrt dort nicht ein. Zsófia bleibt hinter ihm bis Budapest. Ihr Bus ist nicht schnell genug und immer wenn sie zurückbleibt, wird auch er langsamer. In der Hauptstadt gelingt es ihr endlich, ihn loszuwerden. Zsófia schreibt von ihrer Erleichterung. Etwas an ihm hatte ihr Angst gemacht. Dann schreibt sie von einer undichten Ölleitung. Der vergeblichen Mühe eine Werkstatt zu finden in der fremden Stadt.Vom Warten auf Parkplätzen am Wochenende bis das Serbische Konsulat wieder eröffnet würde. Von kurzen Ausflügen in der Altstadt, nichtssagenden Begegnungen und Gesprächen mit anderen Reisenden. Stets darauf bedacht, dass ihr niemand zum Wagen folgt. Von langen, unruhigen Nächten. Dem Erwachen von eigenen Angstschreien. Gedanken aufgeben zu wollen. Und dann wieder Hoffnung. Ein baumüberschattetes Café mit Blick auf die Donau, die hier Duna heisst. Nicht weit vom ‘Duna Castle Palast’, mit historischem Bad, in das sie zum Duschen geht. Ein alter Mann in dem Café, ein Ungar der Deutsch spricht, weil seine Eltern es ihn gelehrt haben. Zsófia schreibt, wie er auf unappetitliche Weise Eis schlürft und dabei immer wieder in seine Serviette spuckt. Klein und hässlich beschreibt sie ihn. Aber sie ist angetan von seinen Augen. Lebhaft, mit einem fast kindlichen Ausdruck der Neugierde. Er sei eigentlich Ingenieur, erzählt er Zsófia. Aber im Kommunismus habe er einen Gemüseladen betrieben. Nun habe er Kontakt mit einem Amerikaner ungarischer Abstammung aufgenommen und plane eine grosse Blumenkette. Englisch wolle er auch lernen. “Ich bin siebzig. Vielleicht lebe ich noch zehn oder fünfzehn Jahre, dann lohnt es sich doch”, sagt er grinsend, “Solange man nicht sterben will lebt man”. Er erzählt Zsófia von seinem Sohn. Er sei bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Das Gesicht des alten Mannes verzieht sich. “Er fehlt mir sehr.” Dann lacht er wieder und das Funkeln in seinen Augen kehrt zurück. “Wir haben weiterzumachen.”

      Haben wir das? Ich blicke auf, sehe auf den Strassenmusiker, der an der Wand hockt und halbherzig auf einer akustischen Gitarre klimpert. Mir liegt etwas Schweres im Bauch. Ein Kloss von Wut und Schmerz.

      Mit einem Visum ausgestattet ist Zsófia schliesslich mit undichter Ölleitung und mehreren Litern Reserve-Öl im Wagen weiter gefahren. Gehetzt, als habe sie befürchtet sonst womöglich aufzugeben und umzukehren. An der serbischen Grenze zeigt ihr Tachometer 1983 gefahrene Kilometer. “Es ist halb fünf am Nachmittag. Seit zwei Stunden in einer Warteschlange. Ich hoffe, dass ich um sieben über der Grenze bin.”

      Ich blättere durch leere Seiten. Zsófia hat nicht über Serbien und Mazedonien geschrieben. Fast ein Drittel des Tagebuchs hat sie freigelassen. Erst auf dem Fährschiff zur Insel gehen ihre Aufzeichnungen weiter. Ich klappe das Buch zu. Ich brauche eine Pause. Was ich lese ist nicht für mich bestimmt. Auch habe ich ein schweres Knäul aus Wut und Angst im Bauch das nichts mit der Schatzsucherin zu tun hat. Gerade stopfe ich das Tagebuch in meine Tragetasche, da fällt ein dünner Block daraus hervor, wie er früher in Restaurants benutzt wurde. Ich halte ihn hoch und sehe zwei Linien und eine Reihe von Nummern aufgedruckt. Zwei Buchstaben des Griechischen Alphabets. Ich blättere vorsichtig durch die hauchdünnen Seiten. Vergilbte, eng geschriebene Sätze. Deutsch. Ich vergleiche sie mit der Schrift in den Tagebüchern. Es scheint eine andere zu sein. Sicher bin ich mir nicht. Mühsam beginne ich die verblichenen Buchstaben zu entziffern:

       “Es war einmal .....

       ... an einem Ort, an dem sich die Menschen wenig zu sagen haben ... In einer Bar, auf einer kleinen Insel im Meer traf sie ihn.

       Was sie für ein Wunder hielt und er - doch das mag er selber wissen lassen.

      

       Denn hier ereignete sich das, was die Suchende später meine Wiederkehr