Jose DeChamp

Aphrodite Schatzsucherin


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Büchern fest und schläft schliesslich ein, weil sie nichts anderes zu tun hat.

      Die nächsten Tage verlaufen in selbstgewählter Einsamkeit. Ihre Gedanken in der Heimatstadt bei einem Mann, der nicht gut für sie ist.

      Sie hat strenge Glaubenssätze und fühlt sie sich schlecht behandelt. Sie will gut sein und weiss nicht, dass unter ihrer Güte Wut schwelt. So versteckt sie sich im Lande der Rosen und der lächelnden Sonne – versteckt sich hinter ihrer Moral, die schon die ihrer Mutter und Grossmutter gewesen war, schwenkt sie wie eine unsichtbare Fahne vor sich her und sondert sie sich ab vom Insel-Leben.

      Einem überschaubaren Leben, wo sie schnell jeden Kellner und jeden Reisenden kennt. Allzu bald haben ihre Tage einen eingespielten Rhythmus. Morgens in aller Frühe, verlässt Zsófia ihr Zimmer. Dort sitzt der Pensionswirt Alexis am wackligen Holztisch auf der Veranda und bietet ihr starken Mocca und Feigen aus seinem Garten an. Gleichbleibend freundlich, mit einem Lächeln. Im Stillen nennt sie ihn Alexis Zorbas, nach der exzentrischen Hauptfigur des Kinofilmes. Anthony Quinn hatte ihn gespielt. Ihr Gastgeber hat stechende, dunkle Augen, kinnlange graue Haare. Wie alt mag er sein?

      Später wandert sie in das Hafen Cafe, bestellt als einziger Gast gesüssten Frappe mit Tiropites Teigwaren. Es ist früh, die Feriengäste schlafen noch, die Fischer jedoch sind längst auf See. Dann geht sie an den Strand, geniesst die Wärme der Sonne auf der Haut, bis der heisse Sand schliesslich mit Menschen bevölkert ist, die sie vom Rande beobachtet, wenn sie nicht liest.

      Abends geht sie am Hafen spazieren, sitzt am Meer, lauscht den Wellen. Es ist eine einschläfernde, ereignislose Zeit, die Zsófia erlebt, wie eine Beobachterin. Gestreichelt von Seewind, Wellen und Sonnenlicht; friedvoll, aber sprachlos und getrennt von den anderen Menschen.

      Eines Nachmittags bemerkt sie etwas Ungewöhnliches. Ein Blitzen in der Sonne. Aus einem der Fenster in ihrem Ferienhaus. Ein Spiegel? Eine Kamera? Es mag ein Fernglas sein. Wer beobachtet den Strand? Nach zwei weiteren Tagen weiss sie es. Es ist Alexis, der mit einem Teleskope am Fenster sitzt, und die Sterne studiert, wie er ihr beim Mokka erklärt. Und das Meer. Wohl auch die Badenden am Strand, denkt sie, aber sie sagt es nicht.

      Nun betrachtet sie den Mann genauer. Beobachtet sein Mienenspiel, seine Gesten, seine Gestalt. Das zerfurchte Alexis Zorbas Gesicht, das volle, graue Haar, die muskulösen Arme, den drahtigen Körper. Sie riecht sein Rasierwasser und nimmt zum ersten Mal seine Manneskraft wahr. Sie springt ihr nun geradezu ins Gesicht. Sie fühlt sich davon abgestossen. Aber sie beschäftigt sich in Gedanken mit ihm. Was er wohl denkt, wenn er dort am Fenster sitzt? Ob er sich wünscht, eine der badenden Frauen in den Armen zu halten? Hat er ein Liebesleben, wo sie mit ihrer Moral im luftleeren Raum erstickt? Tut das Land der Rosen erste Wirkung? Zsófia ist verwirrt, verflucht die Verwirrung.

      Als Alexis Zorbas bei einem ihrer Morgengespräche bemerkt, dass sie einen schönen Körper habe, denkt sie an das Fernglas. Sie errötet. Ärgerlich darüber zu erröten.

      Sie nimmt ihm sein Tun übel und doch sind die Gefühle mehrschichtig. Das Sonnenbad wird zu einer Art von Tanz für Zsófia. Sie ist nicht länger unsichtbar. Sie wird gesehen, aber sie kann nicht berührt werden. Sie mag das. Wenn sie geht und wenn sie sich bückt, tut sie es mit Anmut. Wenn sie sich in den heissen Sand schmiegt, sich dehnt und entspannt, dann geschieht es mit dem Gedanken, dass Alexis Zorbas sie womöglich betrachtet. Sie will beachtet werden. Sie will Frau sein. Aber sie will keine Nähe.

      Sie fühlt sich schuldig dafür, dass sie gesehen werden will. Verurteilt sich in Gedanken. Den Mann. Aber zumeist sich selbst. Schuld. Sünde.

      Die lächelnde Sonne beginnt sich in ihre Träume zu brennen. Sie ist hier, im Inselland der Mythen und Legenden. Eine ansteigende Unruhe lässt sie nicht mehr schlafen. Wenn sie dann nachts dem Wellenschlag des Meeres lauscht und die Umrisse ihres nackten Fleisches sich im Mondlicht vom Dunkel des Zimmers abheben, fühlt sie Sehnsucht. Ein Gefühl, sich zu verschwenden. Auszutrocknen – an einer Verpflichtung festzuhalten, die keine Berechtigung hat. An ihr festzuhalten aus Angst. Zu verdorren, weil sie es sich nicht erlaubt, eine wilde Frau zu sein.

      Sie wäre gerne wild und leidenschaftlich. Wie damals die Frauen an den Beltane Feuern von Avalon. Starke Frauen von Stämmen und Völkern lange vor den Religionen der Neuzeit. Bei Vollmond tanzen vor den Flammen, einen Mann nehmen, seinen Körper fühlen und lieben, lieben, lieben. Auf der braunen Erde, im saftigen Gras. Eine Beltane Nacht.

      Kapitel 4

      Drei Mädchen zelten am Strand zwischen knorrigen, windgeduckten Bäumen und Zsófia kommt mit ihnen ins Gespräch. Zsófia hat in diesem Jahr ihren siebenundzwanzigsten Geburtstag gefeiert. Nun, mit den drei Achtzehnjährigen, die so frei und unbeschwert wirken, fühlt sie sich alt.

      Die drei sind zusammen aufgewachsen, haben gerade ihre Schule beendet und sind hungrig auf das Erwachsensein. Nach diesem Urlaub würden sich ihre Leben verändern. Eine würde Musik studieren, die andere eine klassische Ausbildung als Sängerin beginnen, die dritte eine Banklehre anfangen.

      "Ich bin Musikerin", Zsófia sagt es, doch tief in ihr schreit alles ‘Lüge! Lüge!’ Sie ist keine Musikerin mehr. Ihr Beruf verschlingt ihre Zeit, verschlingt Zsófia. Wenn sie auf Musik-Konzerte geht, fühlt sie ein hässlich, nagendes Gefühl des Neides, weil sie die Hoffnung mehr aus ihrem Können zu machen, aufgegeben hat. 'Brotlose Kunst' hatte ihre verstorbene Mutter es genannt, “Wer hoch hinaus will, fällt tief hinunter.” Seltsam, wenn immer sie an ihre Mutter denkt, fallen ihr alte Sprichwörter ein. “Zeige mir deine Freunde und ich sage dir wer du bist. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.”

      Die Mädchen erzählen ihr ihre Geschichten. Drei Freundinnen, die zusammenhalten, zusammen lachen und weinen. Sie fühlt sich in der Runde fehl am Platze. Aber werden nicht auch die drei einander verlieren? Dies ist vielleicht ihr letzter gemeinsamer Urlaub, bevor es jede von ihnen in verschiedene Richtungen verschlagen wird. Der Gedanke stimmt Zsófia traurig.

      Das alles im Fluss der Veränderung ist - im grossen Leben-Sterben-Leben-Zyklus, eben damit Menschen sich erinnern und wachsen können - hat Zsófia vergessen.

      Aphrodite könnte es ihr erklären, aber noch schweigt sie dazu.

      Das Lachen wird schwer, wenn man es tief innen nicht fühlt. Als die drei Mädchen die Insel verlassen, um mehr zu entdecken, geht mit ihnen die Unbeschwertheit. Es ist besser, wieder allein zu sein und nicht mehr lachen zu müssen, sagt sich Zsófia. Und doch hat die Fröhlichkeit der Mädchen etwas in ihr geweckt. Zsófia schnürt leichtes Handgepäck, gibt ihren Bus in die Obhut von Alexis Zorbas und steigt erneut auf die weisse 'Theés Várka'. Sie ist neugierig geworden, will die gleichförmigen Tage durchbrechen, irgendwo absteigen. Auf Deck schaut sie auf die erste sich nähernde Insel. Wollten hier nicht die drei Mädchen landen? Sie weiss nicht recht warum, diese Insel gefällt ihr nicht und so wartet sie auf die nächste. Schlendert schliesslich die schmale Strasse des Hafens entlang.

      Wie auf allen kleinen Inseln des Mittelmeeres, die den Reisezirkus verschlafen haben, spielt sich auf dieser Strasse das ganze Leben ab. Hier reihen sich Tavernas mit wackligen Holztischen im Freien an kleine Bäckereien mit frischen Brotlaiben, an Krambuden und armselige Lebensmittelläden mit grossen Kühltruhen für Wasser in Plastikflaschen. Darin eingereiht eine kleine orthodoxe Kirche - von aussen ein weiss verputztes Haus wie alle anderen, nur die bunten Fenster und die immer brennende Kerze dahinter verraten seine Bedeutung.

      Zsófia findet ein Zimmer und geht gleich darauf an den Strand. Es ist ungewöhnlich windig und sie hängt fröstelnd ihren Gedanken nach. Der Wind trägt Mädchenstimmen herüber. Unverkennbar, das sind die drei. Zwischen den Felsen am Stand. Soll sie zu ihnen gehen? Wird sie stören? Zaghaft geht sie auf die Stelle zu und ist überrascht über die Freude, die sie auslöst.

      "Unsere letzte Reisestation war eine Katastrophe. Kein Platz zum Zelten. Wir hatten riesig viel Wind und Clara wurde krank. Aber hier ist es gut. Wir haben einen Job in der Bar und alle Getränke frei." Die schöne Elisabet schlingt anmutig ein wehendes blaues Tuch um ihr Haar. Goldenes Engelshaar, das ein ebenmässiges Mädchengesicht