Jose DeChamp

Aphrodite Schatzsucherin


Скачать книгу

zurück auf ihre Ebene, ohne das sie es merkt. Es wird betrüblich genug für sie sein. Es mag sie traurig stimmen, so wie die wage Erinnerung an ein verlorenes Paradis. Je schneller sie zurückkehrt umso besser für sie."

      Athene nickt langsam. Sie macht eine Handbewegung in Richtung der Schlafenden, deren Gestalt daraufhin allmählich verschwindet.

      Zsófia erwacht mit dem Sonnenaufgang. Sie weiss nicht, wo sie ist. Was für ungewöhnliche Bilder und Gefühle? Sphärentöne, Düfte und Licht verwoben zu einem Teppich der Sinne, der sie einhüllt in Liebe und Wonne. Eine Klangwelt, die alles übersteigt, was sie je gehört hat. Die Begegnung! An die drei Farbenwesen zu denken, lässt sie auffahren. Heftig presst sie die Hände an ihren Kopf, wie um ihn am Zerspringen zu hindern. Drei Göttinnen? Aphrodite, die mit ihr spricht?

      “Ich verliere den Verstand!”, sie schreit. Wenn sie nicht den Verstand verloren hat; wo sind die Farbenwesen und warum ist sie nun hier? Halb wahnsinnig blickt Zsófia um sich und versucht ihren Atem zu beruhigen. Es ist ein Traum gewesen, sagt sie sich immer wieder wie. Nur ein Traum. Ein irrsinniger Traum. Sie sinkt zurück auf das Bett. Und doch - sie hatte sich so geborgen gefühlt. Selig und leicht. Sie ist erschüttert, nicht dort zu sein, wo sie doch hingehört. Mit den verstreichenden Minuten werden die Eindrücke undeutlicher. Nur die überwältigende Sehnsucht danach bleibt; an Frieden, an Freude, Heimat und Einheit. Etwas, was sie immer gesucht hat. Ein Leben lang. An diesem anderen Ort war es da gewesen. War alles gut gewesen.

      So ist ihr Erwachen wie eine mühevolle Rückkehr von einer Zeitreise. Als sei sie unendlich lange an einen fernen, überirdischen Ort gepilgert und als sei ihre Seele noch nicht zurückgekehrt. Ihre Beine schmerzen, als sei sie immerzu bergauf gewandert und dieser neue Morgen auf der Insel erscheint ihr falsch, flach und unwirklich. Hier will sie nicht sein, es ist ein fremder Ort. Die falschen Farben, Klänge und Gerüche, ein falsches Leben. Hier gehört sie nicht hin.

      Mechanisch packt sie ihren Rucksack, verabschiedet sich von der schläfrigen Pensionswirtin, geht mit schleppenden Schritten die holprige Strasse Richtung Hafen entlang. Auf ihrem Weg liegt die Bar und sie hält inne. Geht auf die eingezäunte Terrasse der Bar, biegt um die Ecke, wo eine Holzbank mit grossen Kissen an der weissgekalkten Hauswand steht. Dort hatte sie gesessen, als sie eine andere gewesen war. Dort hatte sie aufs Meer geschaut.

      Zsófia nimmt vorsichtig ihren Rucksack ab und setzt sich dort nieder. Sie ist ganz alleine. Die Bar noch verriegelt und die Stühle vom Vorabend an die Tische gelehnt. Das Strohdach der Terrasse bäumt sich auf und raschelt im Wind. Die Farben des Wassers, den Seegeruch, den Sand zwischen ihren Zehen. Wie ist es möglich, das sich eine Wahrnehmung von einem Tag auf den anderen fundamental verändern kann? Der Traum in der Nacht erinnert sie wage an ein Gefühl aus der Kindheit. Etwas, was sie damals besessen hatte. Einen Schatz, den sie verloren hat. Sich daran zu erinnern, überwältigt sie. Der Schmerz auf der Brust wird unerträglich und so denkt sie stattdessen an Georgos. Schreibt ihre verwirrten Gedanken in ein ledergebundenes Tagebuch. Von ihrer Sehnsucht nach Liebe. Von ihrer Hoffnung in Georgos einen Seelenverwandten gefunden zu haben. Jemanden, der sie versteht. Der sie berührt und beschützt. Zsófia schreibt von ihrem Wunsch, bei ihm zu bleiben. Angekommen zu sein. Endlich angekommen zu sein in einem Gefühl der Zugehörigkeit. Dann brennt sich das Bild von Elisabet in ihre Gedanken. Georgos hatte Elisabet’s Wange gestreichelt. Er hatte Zsófia nicht bemerkt. Was immer in sie gefahren war, als sie ihn am Wasser hatte stehen sehen – es hatte ihn nicht erreicht. Es war nur ihre Einbildung gewesen. Ein Hirngespinst entstanden aus ihrer Einsamkeit. Warum warten und den Schmerz vergrössern?

      Mit dem Morgenschiff verlässt sie die Insel und erst, als viele Seemeilen zwischen ihr, der Insel und Georgos liegen, wird sie ruhiger.

      Kapitel 5

      Langsam legt Zsófia den Hörer auf und scheint vergessen zu haben, dass sie im Postamt der Insel ist. Zuhause ist weit weg gewesen in den vergangenen Wochen. Aber der Anruf hat sie aus der Insel heraus katapultiert. Zurück nach Deutschland versetzt. Damit verbunden ein Druck auf Kehle und Brustkorb.

      Zsófia hat ihren Volkswagen schweren Herzens an Alexis Zorbas verkauft und einen Flug von Athen gebucht. Zu viele Reparaturen würden an dem Wagen nötig sein. Auch fühlt sie nicht genug Kraft, tausende von Kilometern zurück nach Deutschland auf der Strasse anzutreten. In das Ungewisse zu fahren hatte sie beflügelt. In das Alte zurück zukehren ist ermüdend.

      Mit Schaudern denkt sie an die Werbeagentur; Kostüme, Schuhklappern von hohen Hacken auf polierten Marmorfliesen, Verkaufsgespräche, Planung unter Zeitdruck inmitten scharfzüngiger Kollegen, die nur darauf warteten, dass sie einen Fehler macht. Das sie in Ungnade fällt. Sie ist schnell aufgestiegen und jetzt ist sie Teilhaberin. Schläft mit dem Chef. Gründe freundlich zu ihr zu sein und ihr heimlich nicht wohl gesonnen zu sein. Zsófia müsste es wissen, aber sie versunken in der inneren Schwere. Dankbar für jede Freundlichkeit, geheuchelt oder echt.

      Am Anfang hatte sie die Verkaufswelt fasziniert: Teil eines hyper aktiven Kraftfeldes zu sein. Das schnell und wichtig sein, Managerkalender unter dem Arm, Produzieren, bunte Probestreifen in der Grafik, ölige Farbengerüche in der Druckerei, Konferenzen, Mittagessen in Restaurants, an Stelle von selbstgeschmierten Broten. Geschäfts-Reisen und schliesslich Verantwortung; ihre eigene Abteilung. Es war ein Rausch gewesen. Zsófia weiss nicht, wann es aufgehört hatte, aufregend zu sein. Wann es zu einem weiteren Gefängnis geworden war.

      Ein junger Postbeamte will sich mit ihr unterhalten. Aber sie zu aufgewühlt, um ihn zu hören und verlässt schnell das weissgekalkte Häuschen, das Postamt und Andenkenladen zugleich ist.

      Draussen reisst ein heftiger Wind an ihren Kleidern. Zsófia fröstelt. Die Tische vor den Restaurants sind verwaist. Die gerade aufgereihten, leeren Stühle und die im Wind flatternden Tischdecken geben dem Platz etwas trostloses. Die meisten Touristen haben die Insel bereits verlassen. Zsófia schlendert den Hafen entlang. Kauft sich eine blau bemalte Vase. Sie würde sie brauchen - später - als Beweis, dass sie hier gewesen war. Als Ermahnung an einen Schatz, den sie vergessen hatte und der sich bereits wieder verflüchtigte.

      Mit dem Nachtschiff verlässt Zsófia Iloses’ Insel. Sieht noch einmal zurück auf den Hafen. Sagt in Gedanken Lebewohl zu Alexis Zorbas. Zu den Kellnern in ihrem morgendlichen Cafe, zu dem Postbeamten, der freundlich zu ihr gewesen war.

      Beklommen wandert sie durch das Halbdunkel der schmalen Gänge. Vorbei an überfüllten Sitzreihen, vollgestopft mit Menschen und Gepäckbergen. Manche schlafen, andere spielen Karten im Inneren des Schiffsbauches. In den Sälen und Gängen hängt ein schwerer Dunst von griechischen Zigaretten.

      Wieder fühlt sie sich ausgeschlossen. Das fremdsprachige Stimmengewirr der Reisenden verschwimmt zu einem unverständlichen, murmelnden Geräuschteppich.

      Mit Unbehagen denkt sie an die bevorstehende Nacht in einer Flughafenhalle. Denn eine Nacht in Athen will sie nicht mehr wagen, sonst versäumt sie womöglich ihr Flugzeug am Morgen. Dann wird sie wieder in Deutschland sein. Bei diesem Gedanken schiesst Angst in ihr hoch. Schnürt ihr die Kehle zu. Krampft sich in ihrem Magen. Sie will nicht zurück.

      Als die Passagiere ihre Taschen zu ordnen beginnen und sich Betriebsamkeit auszubreiten beginnt, geht Zsófia an Deck. Der Wind fegt den salzigen Geruch der See ungestüm in ihr Gesicht und weit entfernt erscheinen die Lichter von Piraeus, wie ein Meer von winzigen Punkten. Gebannt blickt sie auf den flimmernden Hafen, der sich in Zeitlupe nähert. Erregung erfasst sie. Wie an einem Faden lässt sie sich an den Bug des Schiffes ziehen. Sie weiss nicht warum sie es tut. Stellt sich auf die Zehenspitzen, um über die an die Reeling gedrängten Menschen einen weiteren Blick auf das näher kommende Athen werfen zu können. Dreht sich etwas seitlich, um einen älteren Mann vorbeizulassen und plötzlich sieht sie ihn.

      Es ist nicht möglich. Es kann nicht sein. Doch dort steht er und blickt genau wie sie auf das näher kommende Athen. Es ist Georgos.

      Milan Kundera und seine Gedanken über Zufälle des Lebens.

       " ... nicht die Notwendigkeit, sondern der Zufall ist voller Zauber ... "

      Zsófia